In der Region kennt man sie als Kriemhild bei den Nibelungenfestspielen, jetzt singt Jasmin Tabatabai wieder. Die Schauspielerin spricht über ihr neues Jazz-Album „Jagd auf Rehe“, die Pandemie-Lage in ihrer zweiten Heimat Iran und die Außensicht auf Deutschland.
Frau Tabatabai, hat es für Ihren Mann Risiken und Nebenwirkungen, wenn er Ihnen eine Schlagbohrmaschine zum Geburtstag schenkt?
Jasmin Tabatabai (lacht): Nein. Ich habe selbst viele Werkzeuge, weil ich Handwerken liebe. Ich liebe auch Baumärkte.
Die Frage stellt sich, weil sie darüber in Ihrer Version von Reinhard Meys „Männer im Baumarkt“ singen. Wie kamen Sie auf das Lied? Mey selbst hat es lange nicht gespielt und reagiert auch mal unwirsch auf Coverversionen, die ihm missfallen.
Tabatabai: Nicht bei uns. Das wusste ich gar nicht, dass er unwirsch reagiert. Wir machen ja immer ein Cover von ihm auf unsere CDs. Ich war neulich sogar echt platt, als sie mich in einer Talkshow mit einer Videogrußbotschaft überrascht haben, in der er wahnsinnig freundlich über unsere Version geredet hat. Die Art, wie wir seine Songs interpretieren, gefällt ihm ganz gut, glaube ich. Sonst würde er - wie Sie es sagen - anders reagieren. Das Kompliment geht natürlich an den musikalischen Leiter, David Klein, der unsere Alben produziert, denn er entwickelt ja die Vision des Liedes. Und ich lege da meine Stimme drauf.
Überhaupt verblüfft das Spektrum Ihrer Autoren von Schubert bis Slam-Poet Sebastian23, von Nick Drake, den Beatles und Annie Lennox bis Cole Porter oder Günther Noris. Wie kommt das zustande?
Tabatabai: Die Arbeit an der nächsten CD beginnt ja nach Beendigung der letzten. Die spielen wir dann normalerweise live, dabei fangen wir schon ganz früh an zu überlegen: „Das wäre doch mal ein tolles Lied, das müsste man unbedingt mal machen.“ Im Grunde ist es so, dass wir Material suchen, das zu meiner Stimme passt und wo eine Vision da ist, wie man das eigenständig interpretieren kann. Der Impuls kommt von uns beiden. Aber David hat so viele Ideen, der sprüht über. Darüber bin ich wahnsinnig glücklich, denn er kennt einfach unheimlich viel. Und letzten Endes vertraue ich ihm da auch sehr. Es ist ganz selten, dass ich sage: „Das? Nee, das mag ich gar nicht" oder "Damit komme ich gar nicht klar.“ Unser Vertrauensverhältnis, was die Musik betrifft, ist so groß, dass ich manchmal auch gute Erfahrungen damit mache, wenn ich sage: „Okay, ich hätte jetzt selbst nicht an diese Lied gedacht, aber ich lasse mich mal darauf ein.“
Wie läuft es dann ab?
Tabatabai: Dann bekomme ich ein Layout, wie er sich das vorgestellt hat. So war das von Anfang an und das ist natürlich für eine Sängerin ein unglaublich tolles, luxuriöses Leben, dass man einen Partner hat, der so viele Ideen hat und so übersprüht.
Erstaunlich, wie gut diese Mixtur als Album funktioniert. Wie haben Sie und David Klein eine Klammer um dieses unterschiedliche Material gezogen?
Tabatabai: Die Klammer ist meine Stimme - und es sind die Musiker, die in dieser Kombination ja auch schon viele Jahre zusammen spielen. Darüber hinaus setzen wir uns keine Grenzen, was Genres betrifft. Es gibt keine Ausgrenzung, nach dem Motto: „Das ist aber Pop oder ach, das ist ja Klassik, oder das ist zu jazzig.“ Das ist eine Freiheit in der Denke, die mir so gut gefällt an dem Projekt.
Das Klangbild erinnert mitunter an Hildegard Knef - fehlt heutzutage diese Klangfarbe zwischen Jazz und Chanson?
Tabatabai: So weit denke ich eigentlich gar nicht. Wir machen das, was wir richtig und schön finden. Ich persönlich mag einfach melodiöse Musik. Ich finde aber, dass der Text sehr wichtig ist. Ich liebe auch die Arrangements und die Art, wie es produziert ist. Das ist für mich sehr zeitlos. Nehmen Sie zum Beispiel das iranische „Shekare Ahoo“: Das ist ein ganz bekanntes altes Volkslied, das ursprünglich im Sechs-Achtel-Takt geschrieben ist wie viele iranische Volkslieder. David hatte aber die Idee, es von der Folklore zu befreien, indem er es in einen Vier-Viertel-Takt umarrangiert. Das ist etwas sehr Subtiles, aber es macht das Ganze zeitloser. Jetzt ist es eine Ballade, die einfach schön ist. Andererseits ist da diese Raffinesse der Musiker, weil sie auf ganz hohem Niveau unterwegs sind. Wenn zum Beispiel „La Rose“ im Drei-Viertel-Takt und damit etwas eigener gemacht wird. Es hat ja keinen Sinn, Sachen eins zu eins nachzuspielen.
„Shekare Ahoo“ ist quasi der Titelsong und bedeutet „Jagd auf Rehe“. Für Hörer, die kein Persisch verstehen: Um was geht es in dem Lied?
Tabatabai: Es hat nichts mit Großwildjagd zu tun, sondern ist ein trauriges Liebeslied. Der Titel ist natürlich metaphorisch zu verstehen und wie vieles in der iranischen Kultur total offen, auch sehr religiös. Es bleibt Sache des Betrachters, des Zuhörers, zu interpretieren, was damit gemeint ist.
Aber ungefähr?
Tabatabai: Dazu muss ich sagen, dass die persische Sprache eine Besonderheit hat: Sie kennt kein Gender, sie hat kein Geschlecht. Das heißt, jedes Lied kann von einem Mann oder einer Frau handeln und von einem Mann gesungen werden oder einer Frau. Es ändert sich an Texten nichts. Es geht also um jemanden, der oder die verletzt wurde, vom Blick der oder des Geliebten erlegt, und ankündigt: „Ich gehe ins Gebirge.“ Was letzten Endes damit gemeint ist, bleibt total offen. Das kommt natürlich aus einer Kultur, in der vieles unausgesprochen bleibt. Vielleicht, weil es viele Tabus gibt. Aber das ist auch einfach Erzähltradition. Man lässt immer sehr viel Interpretationsspielraum. Das ist bei den Dichtern so, aber meines Erachtens auch ein Grund, warum iranische Filme international so erfolgreich sind.
Was denken Sie, warum?
Tabatabai: Weil man man aufgrund der Zensur gelernt hat, Bilder zu finden und Metaphern, die wahnsinnig viel ausdrücken oder viel Interpretation zulassen und die Menschen berühren. Daraus resultiert universelle Kunst, die überall auf der Welt verstanden wird.
Ich hatte die Assoziation, es ginge im Text von „Shekare Ahoo“ etwa um etwas vertrackt Sexuelles wie in „Sah ein Knab ein Röslein stehn“.
Tabatabai: Das ist ja nicht falsch. Es kann auch sein, dass es ein total sexueller Inhalt ist, der mit der Jagd transportiert wird. Das Vieldeutige ist genau das, was mir gefällt. Ich finde es total langweilig, wenn ich nur eine Interpretationsmöglichkeit habe.
Wie reagieren die Iraner auf Ihre Interpretation?
Tabatabai: Ich kriege viele Reaktionen auf diesen Song. Ich habe auch ein Video dazu online. Die Iraner sind natürlich total berührt, weil es ein Lied ist, das jeder kennt. Dann schreiben sie mir zum Beispiel: „Ich erinnere mich an meinen Vater“. Die Iraner im Ausland verbindet ja auch der Heimatverlust extrem. Aber ich bekomme auch viele Reaktionen von Deutschen, die sagen: „Ich verstehe den Text zwar nicht, aber ich finde das so wahnsinnig traurig und so schön“. Und sie wollen dann wie Sie wissen, was er bedeutet. Aber ich möchte es gar nicht übersetzen. Der Text ist so metaphorisch, da käme es nur zu Missverständnissen. Es ist doch einfach wunderbar, wenn man es nicht versteht.
Warum haben Sie es jetzt ausgewählt?
Tabatabai: Ich hab es in erster Linie ausgesucht, weil ich es so wahnsinnig schön finde, von der Melodie und der ganzen Emotion her. Dann hab ich ja wie gesagt letztes Jahr den iranischen Film „Mitra“ gedreht, im Ausland mit Exil-Iranern um Regisseur Kaweh Modiri. Mein Partner war der Sänger und Schauspieler Mohsen Namjoo, der meinen Bruder gespielt hat. Er ist ein im Iran und im Ausland sehr bekannter iranischer Musiker. Wenn er in Berlin auftritt, ist der Saal rappelvoll. Die Leute singen jedes Lied mit. Ich habe Mohsen gebeten, mir für unsere neue CD ein iranisches Lied zu empfehlen. Da hat er mir drei Songs zugeschickt, da war auch das dabei. Dann war es gar keine Frage, wir haben uns sofort auf dieses Lied geeinigt.
Was ist „Mitra“ für ein Film?
Tabatabai: Ein iranischer Autorenfilm, der aber im Exil gedreht wurde, weil es auch ein sehr politisches Thema ist. Natürlich kann man so einen Film nicht im Iran drehen. Er wurde von dem iranisch-holländischen Regisseur Kaeh Modiri gedreht. Er liegt wie so vieles derzeit auf Halde. So ein Film braucht halt ein Festival, wenn's gut läuft. Deshalb rechne ich nicht mit einer Aufführung vor 2021.
Es fällt auf, dass Sie je nach Sprache etwas anders klingen - als ob sich ihre Persönlichkeit auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Persisch zumindest um Nuancen ändert. Liegt es an Unterschieden in der Singbarkeit der Sprachen oder an Ihrer Wandlungsfähigkeit als Schauspielerin?
Tabatabai: Ich weiß gar nicht, ob ich so wandlungsfähig bin. Aber ich bin natürlich in zwei Kulturen, in der persischen und der deutschen zu Hause. Das ist für mich eine ganz natürliche Sache. Ich war mit einem Amerikaner verheiratet, bin also auch sehr, sehr gut im Englischen. Das geht automatisch. Natürlich ist jede Sprache für sich was Besonderes. Ich hab dafür mal ein Bild gefunden, was ich dabei an mir bemerke: Dass jede Sprache eine Tür in mir aufmacht - eine andere Tür. Und natürlich ist es so, wenn ich auf Persisch ein altes Lied singe, dass dann andere Emotionen getriggert werden.
Zum Beispiel?
Tabatabai: Vielleicht die Sehnsucht nach diesem Land, in dem ich schon so lange nicht mehr war, und nach den Menschen. Es ist ja das Land meiner Kindheit. Das macht natürlich etwas mit mir. Was ich aber gar nicht so bewusst steuern kann, das passiert automatisch. Es ist auch als Schauspielerin so, wenn man in einer anderen Sprache spricht.
Sie sind ja international gefragt.
Tabatabai: Ich habe 2019 zum ersten Mal einen Film in der persischen Sprache gedreht - auch das macht andere Türen auf. Aber das ist ja auch das Schöne dran. Letzten Endes spiele und singe ich in den Sprachen, die ich spreche. Ich singe ja nicht in Chinesisch, Niederländisch, Italienisch oder anderen Sprachen, zu denen ich keinen Bezug habe.
Wie ist Ihr Zugang zur Musik?
Tabatabai: Rein intuitiv. Ich bin ja Autodidaktin. Ich hab nie eine Musikschule besucht, ich kann keine Noten lesen. Bei mir geht alles übers Gehör. Ich erschließe mir Musik übers Hören und über die Emotionen. Und ich habe ja schon in der Schauspielschule gesungen, dort war die Impulsgeberin meine Gesangslehrerin. Man hat auf der Schauspielschule ja Stimmbildung und Gesang einmal in der Woche. Das gehört zur Grundausbildung, weil die Stimme für einen Schauspieler eines der wichtigsten Instrumente ist. Und die hat zu mir damals gesagt: „Du kannst schon singen. Du singst. Such Dir ne Band. Geh auf die Bühne, und suche die Erfahrung.“ Das hab ich befolgt. Und deshalb hatte ich seit der Schauspielschule immer eine Band, mit der ich dann aufgetreten bin. Tatsächlich ein ganz ganz wichtiger Punkt in meinem Leben. Ich brauche diese Konzerte, nicht nur weil der Umgang mit der Musik so schön ist. Es hat für mich so etwas von Seelenhygiene, Lieder zu singen und schöne Musik um mich zu haben. Aber es geht auch um den Umgang mit dem Publikum, den Du als Filmschauspielerin - ich spiele ja relativ selten Theater - nicht hast. Das würde mir extrem fehlen. Denn es ist auch der Ursprung unseres Berufes.
Wären Autokino-Konzerte eine Option für Sie und das David Klein Quartett?
Tabatabai: Tatsächlich haben wir da auch ein Angebot, wir haben dafür gerade Termine gesucht. Am Anfang habe ich gedacht: Wie soll das eigentlich gehen bei unserer Musik? Dann wurde mir aber bestätigt, dass die Sound-Qualität sehr gut ist, weil es direkt vom Mischpult ins Autoradio geht. Und wir machen ja ohnehin nur bestuhlte Konzerte und die meisten Leute haben heutzutage unterwegs richtig gute Anlagen. Vielleicht ist das ja eine richtig gute Idee.
Als Filmschauspielerin stört Sie die überwiegend unpersönliche Resonanz nicht, oder?
Tabatabai: Das mangelnde Feedback ist mir relativ wurscht. Als Filmschauspielerin spielst du ja in so einem ganz kleinen Kosmos. Da hast du ja nur deinen Partner, den Regisseur und den Kameramann. Alle anderen drum herum, selbst vom Team, kriegen ganz oft nicht mit, was da gerade passiert. Denn eine Filmkamera ist wie eine Lupe. Das ist dem Studiogesang viel ähnlicher als Theaterspielen.
Sie singen Bette Middlers „The Rose“ auf Französisch - warum?
Tabatabai: „The Rose“ auf Französisch passt einfach so gut zu dem Song. Französisch ist ja eine Sprache, die einfach selbst schon Musik ist. Ich beherrsche sie ganz okay, ich kann mich gut unterhalten, aber nicht so gut wie auf Englisch, Persisch und Deutsch. Aber das muss man auch gar nicht, weil es so schön ist, in dieser Sprache zu baden und zu singen. Und das funktioniert für Balladen wahnsinnig gut. Wir haben auf jeder Platte immer ein französisches Lied. Das hat eine kleine Tradition. Ich bin auch mit dem Film von Bette Middler aufgewachsen. Aber das ist natürlich auch eine bewusste Entscheidung, wie: Wir machen Cole Porter nicht auf Englisch, sondern wir nehmen die deutschen Übersetzungen. Ich weiß gar nicht, ob sie für die Knef gemacht wurden, aber sie haben sie bekannt gemacht damals in Deutschland.
Sie meinen den Standard „I Get A Kick Out Of You“ alias „Nichts haut mich um - aber du“, übersetzt von Mischa Mleinek. Das hat Hildegard Knef 1968 veröffentlicht, glaube ich.
Tabatabai: Ich finde, das sind so tolle Übersetzungen. Der beste Beweis, dass es natürlich doch irgendwie geht, dass man Texte gut übersetzt, so dass sie dann auch in einer anderen Sprache wie Deutsch, die so anders ist als Englisch, gut funktionieren. So Zeilen wie „Mich haut' kein' Rum wirklich um“ und „Nach sieben Gin bin ich auch noch nicht hin“ - also ich muss darüber wahnsinnig lachen. Das ist fast besser als das Original.
Fragt noch jemand nach Ihrer Band Even Cowgirls Get The Blues oder alle nach einer „Bandits“-Fortsetzung?
Tabatabai: Ach, immer mal wieder. Wir, die Cowgirls, sind auch miteinander in Kontakt. Immer wenn alle in der Stadt sind, machen wir einen Grillabend. Mittlerweile mit den ganzen Kindern. Da kommen natürlich auch immer wieder Ideen, ob wir wir nicht mal wieder zusammen auftreten wollen. Bei „Bandits“ gibt es das natürlich auch.
Und wie denken Sie darüber?
Tabatabai: Ich persönlich halte nicht viel davon, so etwas neu aufzulegen. Was für eine zündende Idee muss da kommen, dass man die aus dem Jenseits zurückholt? Und ganz ehrlich, ich hab bisher nicht annähernd etwas gehört, was mich überzeugt. Deshalb bin ich immer der Meinung: Lass es doch lieber. Aber wenn es ein gutes Drehbuch ist…
Man könnte „Bandits“ ja in 20 Jahren in einen Alte-Damen-Kosmos versetzen...
Tabatabai: Ein Film steht und fällt mit dem Drehbuch. Das ist wie der Song. Es gab noch nie einen guten Film aus einem schlechten Drehbuch. Ich glaube, da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster. Und gerade „Bandits“ ist ja ein Film, der so viele Menschen berührte, weil er damals einen Nerv getroffen hat. Nicht nur bei Frauen, auch bei Männern. Es kommen immer noch Leute auf mich zu, die jetzt in den 30-ern sind und den Film als 13-Jährige gesehen haben, und die mich darauf ansprechen. Das ist unglaublich. Ich verstehe einerseits, dass es schön wäre, wenn es eine Fortsetzung gäbe. Und andererseits denke ich: „Ach, zerstöre die Legende nicht.“
Sie haben eine Tournee geplant. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie - mit coronabedingtem Abstand - stattfinden kann?
Tabatabai: Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht. Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich auf die Bühne können. Denn unsere Musik ist handgemacht und lebt davon, dass sie live gespielt wird.
Wie schätzen Sie die Corona-Lage im Iran ein?
Tabatabai: Die Lage ist undurchsichtig. Ich habe natürlich privaten Kontakt. Wer kann, bleibt zu Hause, vor allem ältere Leute, die eventuell Vorerkrankungen haben. Und ansonsten ist es das Gegenteil von hier: Es ist überhaupt nicht transparent. Es wurde ja nicht viel gemacht von Seiten des Staates, um das Ganze aufzuhalten. Dann höre ich aber wieder, sie seien ganz gut organisiert. Am Flughafen wird jeder sofort getestet. Aber ich lebe auch schon seit mehr als 30 Jahren im Ausland und habe genau wie Sie den Blick von außen. Deswegen bin ich immer etwas belustigt, wenn ich zum Beispiel in Talkshows als Iran-Expertin befragt werde. Was man denn tun müsse, damit sich die Situation ändert. Mein Gott, was weiß ich?
Sie kennen zwei Kulturen gut. Wie erklären Sie Iranern die Lust der Deutschen, sich selbst zu zerfleischen? Wie aktuell beim Pandemie-Thema, aber auch bei fast allem anderen von Relevanz.
Tabatabai: Interessanterweise wird das von außen gar nicht so wahrgenommen. Von außen wird wahrgenommen, wie gut wir durch die Krise gekommen sind, wie gut alles organisiert ist. Es wurde wahrgenommen, wie empathisch sich Deutschland 2015 verhalten hat, dass es als einziges Land mehr als eine Million Menschen aufgenommen hat. Dass Deutschland von einer besonnenen Wissenschaftlerin regiert wird, die nicht ständig ausflippt bei irgendwelchen Pressekonferenzen, die Leute beschimpft und merkwürdige Ratschläge gibt. Ich glaube, diese Streitereien und Polarisierungen gibt es ja überall auf der Welt. Ich denke aber auch, dass die Mehrheit der Deutschen sehr besonnen ist und gar nicht auf dieses Geschrei steht. Im Ausland sehe ich nur die bewundernden Blicke auf Deutschland. So nach dem Motto „Mensch, geht's Euch gut.“ Allein, weil die Bundesliga so früh wieder gespielt hat.
Interessiert Sie das? Besonders Kulturmenschen sahen den Re-Start der Profi-Fußballer oft sehr kritisch…
Tabatabai: Ich bin großer Fußballfan. Ich war aber auch sehr kritisch. Ich dachte zuerst, das klingt ja wie in der Turnhalle. Mittlerweile habe ich mich aber total an die Soundkulisse gewöhnt. Und die ganze Welt guckte erstmal sehnsüchtig auf uns: „Bei denen rollt der Ball ... Wir können uns da was abschauen.“ Natürlich entgeht es den Leuten nicht, wie relativ glimpflich die Pandemie in Deutschland abläuft - auch mit der Sterberate. Und wenn du ausländischen Künstlern erzählst, dass hier innerhalb von zwei Tagen Geld zum Beispiel an Solo-Selbstständige ausgezahlt wurde, dann können die das gar nicht glauben. Denn all das, was wir als selbstverständlich erachten, ist es anderswo eben nicht so. Aber natürlich bekommen die auch unsere internen Kritik daran mit, dass zunächst die Kulturschaffenden und vor allem die Filmschauspieler total vergessen wurden. Denn wir sind keine Selbststständigen. Wir haben einen ganz anderen Status.
Welchen genau?
Tabatabai: Wir sind kurz befristet Beschäftigte. Wir haben gar keinen Anspruch auf einen Rettungsschirm. Daran muss sich was ändern.
Und wie erklären Sie Iranern die Besessenheit für Baumärkte, die kein Virus mildern konnte?
Tabatabai: Das muss ich ihnen gar nicht erklären. Iraner sind selbst begeisterte Handwerker und bewundern alles Deutsche voller Liebe - die deutsche Ingenieurskunst, alle Made-in-Germany-Sachen.
Von den Cowgirls über „Bandits“ und Worms zur Solo-Musikkarriere
- Jasmin Tabatabai wurde am 8. Juni 1967 in Teheran als Tochter einer Deutschen und eines Iraners geboren. Während der Revolution verließ die Familie 1979 das Land.
- Die Deutsch-Iranerin machte 1986 Abitur in Planegg (Landkreis München) und studierte Schauspiel in Stuttgart. Heute lebt sie in Berlin.
- Die erste Hauptrolle hatte sie 1992 im Schweizer Film „Kinder der Landstrasse“ von Urs Egger. Der große Durchbruch folgte 1997 in Katja von Garniers Musikfilm „Bandits“.
- Zu ihren Theatererfahrungen zählt die Rolle der Kriemhild bei den Nibelungenfestspielen in Worms 2006 und 2007.
- Von 1993 bis 1997 veröffentlichte die Sängerin mit der Band Even Cowgirls Get The Blues drei Alben. Seit 2002 erschienen fünf Soloplatten, zuletzt „Jagd auf Rehe“.
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