Schauspiel (mit Fotostrecke)

In Worms gehen die Nibelungenfestspiele erfolgreich baden

Nicht mit Pauken und Trompeten, aber mit Saxofon-Begleitung tauchten exzellente Darsteller im Becken vor dem Dom ab. "hildensaga. ein königinnedrama" heißt das Stück von Ferdinand Schmalz, Roger Vontobel führte erfolgreich Regie.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Sind in Worms heuer nah am Wasser und auf Sand gebaut: patriarchalisch geprägte Ehen und andere dynastische Beziehungen. Brünhild (Genija Rykova, v. l.) mit König Gunter (Franz Pätzold), dahinter seine Brüder Gernot (Nicolas-Frederick Djuren) und Giselher (Joshua Seelenbinder) sowie deren Schwester Kriemhild (Gina Haller) mit Gatten Siegfried (Felix Rech). © David Baltzer

Worms. „dort draußen lauern wölfische zeiten.“ Als Punkt Mitternacht unter dunstigem rheinhessischen Nachthimmel nach drei Stunden der bedrohliche letzte Satz fällt, gibt es für das Premierenpublikum nur eine Bewegung: aufwärts. Ungewöhnlich, weil im Sprechtheater selten, ist es, dass eine Schauspieluraufführung sofort mit Standing Ovations gefeiert wird. Auch wenn er seine Stücke hartnäckig in Kleinbuchstaben schreibt, so ist dem österreichischen Autor mit dem schönen Pseudonym Ferdinand Schmalz hier wirklich etwas Großes gelungen.

Der Dramatiker setzt auf die poetische Sprache des Nibelungenlieds, den Zauber alter Mythen, hintersinnige Wortspiele und klassische Erzählkunst – erzählt die bekannte Geschichte bis zu einem gewissen Punkt kunstvoll so wie wir sie kennen, dann aber völlig neu.

Kultur

Plötzlich abtauchende Darsteller bei den Nibelungenfestspielen in Worms

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Was, wenn die beiden „Hilden“, also Brünhild und Kriemhild, sich zusammentäten, statt sich innerhalb der von Männern vorgegebenen Systeme zu bekämpfen? Wenn sie das Heft in die Hand nähmen? Dieser Frage ging der Nestroy-Preisträger Schmalz in „hildensaga. ein königinnendrama“ nach. Es ist ein spannender Versuch, der kein konstruierter, blutleer knisternder Papiertiger, sondern pralles, szenisch intensives Theater geworden ist.

Den im Textbuch noch vorhandenen protokollarischen Königinnenstreit, welche der beiden zuerst in den Dom darf, ist in der Inszenierung Roger Vontobel konsequenterweise deshalb gleich ganz gestrichen, schon vor der Hälfte des Stückes gehen die Hilden den feministischen Weg gemeinsam.

Die Wormser Nibelungenfestspiele

 

Festspiele finden alljährlich im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz statt. Sie werden seit 2002 auf der Freiluftbühne vor dem Kaiserdom aufgeführt.

Im Zentrum des Festivals steht das „Spiel vor dem Dom“, für das Stückaufträge zum Thema Nibelungenlied an zeitgenössische Autoren vergeben werden.

Nach Moritz Rinke, Albert Ostermaier u.a. war nun nach Corona-Pause und „Luther“-Unterbrechung Ferdinand Schmalz beauftragt. Der österreichische Dramatiker wurde 2014 in der Kritikerumfrage der Zeitschrift „theater heute“ zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt, 2017 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis, 2018 den Nestroy-Theaterpreis. Sein Stück wird noch bis 31. Juli, jeweils 20.30 Uhr, vor dem Dom aufgeführt.

Karten zwischen 29 und 139 Euro gibt es unter 01805/33 71 71. (0,14 E/Min. aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 €/Min). Ferner gibt es Gastro-Arrangements wie „Dinner im Park“ (55 Euro, Reservierung: 06131/90 688 100). rcl

 

Allein ist dem Schreibenden und dem Inszenierenden der Erfolg freilich nicht zuzuschreiben. Eine ganze Nibelungehorde trägt hier zum großformatigen Gelingen bei. Genija Rykova gibt Brünhild nicht als grimme Amazone mit Brustpanzer, sondern als von Männern gedemütigte Frau, die sich zwar in diesen eher schüchtern und reflektierend gezeichneten Siegfried verliebt, den Felix Rech (mit den besten Texten des Abends) hinreißend gibt. Aber Wotans Willen (großartig gespielt von Werner Wölbern) kann und will sich Brünhild nicht fügen. Der Aufruhr gegen die Männerwelt beginnt hier mit einer verkorksten Tochter-Vater-Beziehung. Wie begegnet eine in Ansätzen bereits sehr moderne Frau ihrem germanischen Göttervater? Indem Sie ihm sagt, dass seine Zeit längst vorüber ist.

Auch Burgunds Königstochter Kriemhild (Gina Haller) könnte ein Nibelungenlied von unfähigen männlichen Verwandten singen. Eben jenes singen aber Sonja Beißwenger, Lia von Blarer, Susanne-Marie Wrage als musische Nornen. Sie weben Schicksalsfäden, doch auch ihnen pfuscht der alte weiße Mann Wotan ins Handwerk. So entstehen eben Dramen ... Auch am Burgunderhof, wo die Jungstruppe trotz aller Jugendlichkeit ziemlich alt aussieht.

Franz Pätzold lässt als androgyner Hipster keinen Zweifel daran, wie wenig Lust er als König Gunter auf Frauen und die alten Zöpfe hat.

Nicolas-Frederick Djurens Gernot neigt da schon eher zur feist-fatalen Nibelungentreue. Mehr als Kriemhilds Lieblingsspielbrüderchen zu werden, ist dem Giselher von Joshua Seelenbinder selbst unter der feinen Schmalz-Feder nicht vergönnt, was ein wenig schade ist.

Spektakuläre Auftritte

Wir sprachen von den spinnenden Nornen, kommen wir zum Strippenzieher: Kaum vier Tage hatte Heiko Raulin, der kurzfristig für den erkrankten Olaf Johannessen eingesprungen ist, Zeit, die Rolle des Hagen treffsicher einzustudieren. Überhaupt ist dies ein Abend des exzellenten Sprechens, ein Abend der großen Schauspielleistungen, der weniger auf TV-Sternchen, denn auf gestandene Bühnenprofis setzt. Das ist nun Verdienst von Regisseur Vontobel, dem es sogar vor dem monumentalen Dom gelingt, in konziser Figurenführung intensive, ja intime Szenen zu zeichnen. Auf der riesigen Wasserbühne von Palle Steen Christensen wahrlich kein leichtes Unterfangen, doch auch hier sorgen plötzliches Auf- und Abtauchen oder auch Prinzen-Pool-Partys für Überraschungsmomente. Der Inszenierung gelingt (ein für Worms bisher) seltenes Kunststück: Sie verbindet das High-End-Open-Air-Spektakel mit einem klugen wie funktionierende Text. Und Vontobels Regie vermittelt. Hier wird nichts aufgestülpt, bedient, lautstark klappernd auf Effekt getrimmt, sondern man kommt den Figuren und ihren Konflikten im weiten Raum am Rheine erstaunlich nahe, weil eben alles passt: Die extrem anspruchsvollen Amphibien-Kostüme von Ellen Hofmann, die dynamisierend-rockenden Klänge von Matthias Herrmann und Keith O’Brien sowie das Videodesign von Clemens Walter, der allenfalls am Ende, wenn die zu erzählende Geschichte das Gleiche tut, mit blutig-wabernden Ranken und Mario-Adorf-Projektion auf der Domwand ein wenig zu viel des Guten tut. Den Ritt zu den Hunnen an die Donau spart man sich, hier räumt Brünhild schon am Rhein auf, wo Kriemhild männlicher Gewalt zum Opfer fällt. Wie gesagt, „dort draußen lauern wölfische zeiten.“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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