Mannheim. Erfahrene Fans fahren zu einem Konzert von Guns N’ Roses (GN’R) immer noch mit einer Mischung aus euphorischer Vorfreude – und ein wenig Angst. Angst davor, dass die zwangsläufig hohen Erwartungen klang- und/oder spieltechnisch enttäuscht werden. Aber beim zweiten Konzert der US-Rock-Ikonen auf dem Mannheimer Maimarktgelände nach 1991 überwiegen die Höhepunkte bei weitem. Und die wenigen Aussetzer lassen sich verschmerzen – bei einer heutzutage seltenen Nettospielzeit von drei Stunden und zwanzig Minuten. Danach und einem rhythmischen, visuellen und buchstäblichen Feuerwerk zu „Paradise City“ verlassen die meisten der 50 000 Zuschauer den Maimarkt etwas ermattet – aber sehr zufrieden bis begeistert.
Okay, der Anfang rumpelt: die Band nicht kompakt, der Gesangston von Axl Rose mit Aussetzern, der Sound auf dem halben Gelände zu leise. Schade, um die rasanten Nummern „It’s So Easy“ und „Mr. Brownstone“. Die stehen mit Blick auf die Bandhistorie am Anfang der Show: Schließlich fanden sie sich im Juni 1987 auf der ersten GN’R-Single überhaupt. Anschließend zeigt „Chinese Democracy“, dass die Songs von Axl Roses gleichnamigem Soloalbum von 2008 besser sind als ihr Ruf (wie später auch das starke „Better“).
Als diese Songs veröffentlicht wurden, hatten die letzten Gründungsmitglieder Axl Rose und die Millionenseller-Band lange verlassen. Entnervt von Roses unberechenbaren Ego-Eskapaden. Dass Gitarren-Superstar Slash und Bassist Duff McKagan im April 2016 auf die Bühne der Gunners zurückkehrten, macht die seitdem laufende „Not In This Lifetime“-Tour zum Musikweltereignis.
Fast zu klarer Gesang
Warum das so ist, belegt die vierte Nummer, der lange traditionelle Startsong „Welcome To The Jungle“. Plötzlich ist alles da: das Herzinfarkttempo, hysterische Energie, überwältigende Wucht. „Ihr seid im Dschungel, Mannheim“, kreischt der bestens gelaunte Axl Rose. Für die Fans klingt das wie „Endlich daheim“. Denn wenn es bei Guns N’Roses läuft, läuft es richtig. Der lässige Uptempo-Punk von „Double Talkin’ Jive“ zählt zu den stärksten Momenten des Abends.
Spätestens beim opulent inszenierten Bond-Song „Live And Let Die“ ist der Rock-’n’-Roll-Zirkus angekommen. Über den Sound muss man jetzt nicht mehr groß nachdenken. Auch der Burgfrieden zwischen den drei GN’R-Granden hält: Wie engagiert Rose „Slither“ singt, belegt, dass man sich entgegenkommt – die Nummer stammt von der All-Star-Band Velvet Revolver, 2002 begründet durch Slash und McKagan.
Über den Gesang ist viel zu sagen: Zuerst einmal ist es schön, den 56-Jährigen Frontmann bei guter Gesundheit zu sehen. Für viele Fans ist er ja so etwas wie ein stets absturzgefährdeter Jugendkumpel, um den man sich im Hinterkopf immer Sorgen gemacht hat. Technisch gesehen ist er sogar in Topform, singt dosiert, klar und oft erstaunlich wohlmoduliert. Allerdings fast permanent in latent schmerzhaft hohen Sopran-Regionen. Das ist nicht immer schön, aber diese Band war ja einst auch angetreten, um den Hochglanz des Stadionrock der 80er Jahre abzuschmirgeln. Und das muss auch weh tun.
Das Problem: So schön es ist, dass Rose seine inneren Dämonen offenbar gut im Griff hat. Den Songs über sie fehlt dadurch die aus Selbsthass geborene, psychotische Aggression, die sich in seinem unvergleichlich dreckigen Gesangsstil niederschlug. Seine für GN’R charakteristische, wortlose Mischung aus Kreischen, Grollen und Fauchen fehlt bei vielen Nummern – selbst beim gefeierten Überhit „Sweet Child O’ Mine“.
In „Knockin’ On Heaven’s Door“ klingt sie an. Bei „Nightrain“ klingt Rose plötzlich so frenetisch wie früher. Das lässt die Stimmung noch einmal explodieren, die in der balladenlastigen zweiten Hälfte etwas ’runterdimmt. Auch weil nicht jede der vielen Coverversionen funktioniert („Wichita Lineman“).
Derlei kleine Abstriche gleicht der eigentliche Star des Abends mehr als aus: Slash. Der 52-jährige Lead-Gitarrist spielt nicht nur fast immer auf den Punkt. Seine oft minutenlangen Soli sind so inspiriert und einfallsreich, dass andere Bands aus dem melodischen Material mehrere Alben machen würden. Wenn er die Finger über die Saiten fliegen lässt, geht ein Leuchten über die Gesichter – viele lehnen sich in seinen unverkennbaren Sound zurück, wie in einen unsichtbaren Wohlfühlsessel. Grandios.
Trotzdem ist sich Slash nicht zu schade, mit satten Riffs den Bandsound zu bedienen. Er lässt auch etwas Rampenlicht für Rhythmusgitarrist Richard Fortus, der die soliden Dizzy Reed, Melissa Reese (beide Keyboards), Frank Ferrer (Drums) überstrahlt. Topsouverän: der Auftritt von Duff McKagan. Der agiert würdevoll wie David Bowie, kündigt aber seine einzige Gesangsnummer, „New Rose“ von The Damned, kernig an: „Guten Abend, Motherfuckers“. Ganz wohlerzogen kann die Band ja nicht über die Bühne gehen.
Guns N’ Roses – das Programm auf dem Maimarktgelände
- Hauptteil: 1. It’s So Easy (1987),2. Mr. Brownstone (1987), 3. Chinese Democracy (2008), 4. Welcome To The Jungle (1987), 5. Double Talkin’ Jive (1991), 6. Better (2008), 7. Estranged (1991), 8. Live And Let Die (1991, im Original von Paul McCartneys Wings), 9. Slither (Velvet Revolver), 10. Rocket Queen (1987), 11. Shadow Of Your Love (2018), 12. You Could Be Mine (1991), 13. New Rose (1993, The Damned), 14. This I Love (2008), 15. Civil War (1991), 16. Yesterdays (1991), 17. Coma (1991), 18. Slash-Gitarrensolo (unter anderem über Chuck Berrys „Johnny B. Goode“ und „Speak Softly Love (Love Theme From The Godfather)“ von Nino Rota), 19. Sweet Child O’ Mine (1987), 20. Wichita Lineman (Glen Campbell), 21. Used To Love Her (1988), 22. Wish You Were Here (Pink Floyd), 23. November Rain (1991, mit „Layla“-Intro), 24. Black Hole Sun (Soundgarden), 25. Knockin’ On Heaven’s Door (1991, Bob Dylan), 26. Nightrain (1987).
- Zugabe: 27. Don’t Cry (1991), 28. Patience (1988), 29. The Seeker (The Who), 30. Paradise City (1987).
- Wiederveröffentlichung: An diesem Freitag erscheint das Guns-N’-Roses-Debütalbum „Appetite For Destruction“ neu abgemischt mit Bonusmaterial als Doppel-CD und -LP sowie in einer Super-Deluxe-Edition mit vier CDs und einer Blu-ray.
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