Kolumne

Idealisten sind arme Schweine

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
© kako

Habt ihr das auch schon gehört mit den zehn Reichsten der Welt, die sollen jetzt noch reicher sein. Dank Corona?“, fragt Caro empört. „Wie?“, fragt Bela. „Was?“ ruft Alya. Der Bildschirm zittert. Ich denke: Ja ja, der Materialismus stand schon immer im Gegensatz zum Idealismus. Wir vier sind irgendwie Idealisten. Und deswegen nicht reich. „Ja“ so Caro, „das Vermögen der Typen ist seit der Pandemie um eine halbe Billion Dollar gewachsen.“ „Sagt wer?“, fragt Alya. „Eine Studie“, sagt Caro und wird dabei ganz rot im Gesicht (und das ist ganz sicher nicht nur der Bildschirm). Ich geb’s zu: Das Thema ist überhaupt nicht lustig.

„Hey, eine halbe Billion – das ist mehr, als du brauchst, um Impfstoffe für die 7,7 Milliarden Erdenbewohner zu kaufen!“, sagt Bela. „Bist du sicher?“ Caro wirkt entnervt. Aber auch Alya, Bela und ich sind not amused. Was tun, fragen wir uns kollektiv. „Revolution“ ruft Caro. Bela und Alya sind da weniger radikal. Und wenn ich mir die Revolutionen so ansehe. Das war alles wichtig. Okay. Aber schön war es nicht. „Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen“, so Caro, „wir gründen eine …“

Karl Marx lässt grüßen. Die Revolution sei „die ruckartige Nachholung“ verhinderter Entwicklung, heißt es bei ihm. Was haben Götter und Menschen auf der Erde getan, dass alles ungerecht ist? Ich weiß: Freiheit geht immer einher mit Ungleichheit. Je freier, desto mehr kann der Aktive, Kreative und Unternehmende sich entfalten. Und unterdrücken. Unbestreitbar ist aber auch, dass jeder, der Geld ansammelt, dieses Geld in irgendeiner Form anderen wegnimmt. Geld ist endlich.

Irgendwann wird es jedenfalls sehr unanständig mit dem Reichtum. Die Grenze? Schwierig. Sicher dürfte sein, dass es Multi-Millionäre, Milliardäre und Billionäre nicht braucht. Andere leben schließlich auf der Straße und krepieren. Aber so ist das nun mal: Das Vorhandensein einer übertriebenen Anzahl nimmersatter Reicher endet eben in der Erschaffung einer übertriebenen Anzahl nie satter Armer.

Mein Gott! Wie moralisch! Ich wollte nicht so ernst werden. Ich hätte auch gern Witze gemacht. Wie früher. Covido ergo Zoom. Haha. Aber bei dem Thema ist das eben deplatziert. Tut mir leid, wenn ich heute Miesepeter bin. Aber so ist das als Idealist. Man will die Welt nicht nur interpretieren. Man (oder frau) will wenigstens versuchen, sie zu verändern – wenn auch nur mit Worten.

Marx war übrigens auch Idealist. Deswegen musste seine Frau nach seinem Tod verdutzt feststellen: „Ich wünschte, dass mein lieber Karl mehr Zeit damit verbracht hätte, Kapital anzuhäufen, statt nur darüber zu schreiben.“ Puh! Wir Idealisten sind arm, sollten mit unseren Visionen zum Arzt gehen, freie Materialisten werden und Geld scheffeln. Dann hätten wir am Ende zumindest die Mittel, um unseren Idealismus in Taten umzusetzen. Also ich würde mit einer halben Billion sofort die Welt vor Corona retten. Vor allem die armen Länder.

Der Bildschirm ist übrigens längst eingefroren. Alya, Bela und Caro verharren starr. Wir vier, wir sind arme Schweine. Und Säue.

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen