Mannheim. Herr von Goisern, Ihr Album „Zeiten & Zeichen“ bringt nicht nur viele Aspekte des Jahres 2020 auf den Punkt. Es vereint so ziemlich alle westlichen Musikstile, die einem einfallen - von Andreas Schagers Operngesang bis Rap. Ist diese postmoderne Fülle auch ein Zeichen der Zeit, als Demonstration von Offenheit?
Hubert von Goisern: Wir leben auf jeden Fall in einer Zeit, in der sehr Vieles gleichzeitig passiert durch die Vernetzung, in der wir leben. Ich hatte einfach das Gefühl: Ich mag mich da jetzt nicht einengen lassen. Denn nichts ist mehr so, wie es mal war - auch in der Musikbranche. Das Albumformat an sich ist ja schon fast etwas Überholtes. Es wird fast nur mehr ins Netz gestellt und dann lädt man sich halt einzelne Songs runter. Aber so einen Bogen, der sich durchzieht, so etwas wie ein Konzeptalbum - das gibt es eigentlich so gut wie gar nicht mehr. Es gibt zwar schon noch Leute, die das machen, aber das sind Nischengeschichten. Insofern schlägt sich diese Art, wie Musik vertrieben wird, auch nieder. Trotzdem ist es noch ein Album geworden.
Das erste Stück „Freunde“ ist eine Art Moritat - über das tragische Ende von Fritz Löhner-Beda, des jüdischen Librettisten Franz Lehars, 1942 in Auschwitz. Sehr eindrucksvoll und eindringlich erzählt. War Ihnen diese Geschichte so wichtig, dass Sie das Lied an den Anfang des Albums stellen mussten?
Von Goisern: Ich habe bei der Zusammenstellung einfach keinen Platz gefunden, wo es reinpasst. Und ich wollte auch nicht damit aufhören. Deshalb habe ich den Stier bei den Hörnern gepackt und es an den Anfang gestellt. Inzwischen hab ich schon das Gefühl, dass es nicht nur am Anfang so losgeht, sondern dass die ersten drei Stücke alle so ein Gewicht haben, das mir ganz schön fordernd vorkommt. Wo man wirklich durch muss, bis man ans Licht kommt.
Nichts passt wohl besser zum zähen Corona-Jahr. „Brauner Reiter“ setzt als drittes Lied ein klares Zeichen gegen Nationalismus. Sie verwenden dabei typische Rammstein-Elemente und evozieren ähnliche Bilder im Kopf wie deren „Deutschland“-Video. Ist das eher Parodie oder mehr Hommage?
Von Goisern: Weder noch. Ich kenne das „Deutschland“-Video nicht. Ich habe den Rammstein-Sound zwar im Ohr, aber ich kenne jetzt kein einzelnes Stück. Mir war schon wichtig für diese Art von Inhalt so eine düstere Musik zu haben. Dann kommt da so was raus. Ich habe dabei nicht an Rammstein gedacht, aber den Vergleich habe ich inzwischen oft gehört. Schon in der Produktionsphase sagten die Leute: „Rammstein, Rammstein …“ Das war dann ganz lustig: Als das Ding dann aufgenommen war, habe ich Christoph Schneider, den Schlagzeuger von Rammstein, beim Skifahren getroffen (lacht). Ich habe ihm aber nicht gesagt, dass ich gerade etwas aufgenommen hatte, von dem alle Leute sagen, es klinge wie Rammstein.
Im zweiten Lied „Sünder“, Ihrer Adaption von „Sinnerman“, brennt es wieder wie in Ihrem Klassiker „Brenna tuat’s guat“. Zu einem schwebenden Vibraphon, Jazz-Groove und sirrender Geige zeichnen Sie ein dystopisches Bild der Gegenwart. Statt Klassenkampf verbeugen Sie sich vor der Klimasschutzbewegung - sind Sie froh, dass viele junge Menschen kämpferischer werden?
Von Goisern: Ich habe durch einen Zufall im neuseeländischen Film „Hunt For The Wilderpeople“ (deutscher Titel „Wo die wilden Menschen jagen“) die „Sinnerman“-Version von Nina Simone das erste Mal gehört. Das war nur ein Ausschnitt, aber diese treibende Kraft darin fand ich Wahnsinn. Dann habe ich recherchiert, bin auf Nina Simone gekommen und habe die Geschichte dieses Gospels zurückverfolgt. Was da drinnen ist, hat mich sehr berührt. Dieses Schweben zwischen Anklage und Erlösung. Das ist halt so ein richtiges Gospelteil, in dem es um Himmel oder Hölle geht. Natürlich beschäftigt mich auch die „Fridays for Future“-Bewegung. Ich war ja auch mit Greta Thunberg vor einem Jahr in Wien auf der Bühne und habe diese Dringlichkeit erlebt, die ihre Botschaft hat. Und - ich habe selber Kinder. Diese Verantwortungslosigkeit der Altvorderen was die Zukunft des Planeten angeht, da brauchen wir jetzt gar nicht von Erderwärmung reden, einfach der Ressourcenmissbrauch - das passiert seit zig, ach was seit hundert Jahren. Und die Informationen sind da, dass sich das alles nicht mehr ausgeht, wenn wir so weitermachen. Deshalb ist das Lied meine Hommage an Greta Thunberg mit der Zeile „Sogar die Kinder zeigen auf die Sünder an jedem freien Tag“ - damit ist der Freitag gemeint.
Nach diesem Stahlbad aus drei Songs kommt mit der anfangs zart getasteten, nachdenklichen Ballade „Future Memories“ der totale Kontrast. Als die Streicher einsetzen, fühlt man sich ähnlich wie später bei „Novemberpferde“ ins Great American Songbook versetzt. Ungeahnte Töne für eine Alpinkatze, das gab es ja länger nicht bei Ihnen?
Von Goisern: Es ist auch ein Zeichen von - das soll jetzt nicht überheblich klingen - Reife, dass man sich an diese Art von Tonalität und Arrangement herantraut. Natürlich gab’s das auch schon mal früher, die Studioproduktion von zum Beispiel „Heast as net“ auf „Wia die Zeit vergeht …“ 1995 war ja auch mit Synthie-Streichern. Aber mit richtigen Streichern zu arbeiten, hat mich immer schon gereizt. Das letzte Mal, das war 1998 auf der „Inexil“ mit „Tibet“ und im selben Jahr auf der „Gombe“. Jetzt hat sich mit dem Musikerzugang von Alessandro Trebo, der ein toller Keyboarder und Arrangeur ist, die Möglichkeit ergeben, ein paar Sachen auszuleben, die vorher nicht oder nur schwer denkbar waren.
Ihr gestiegenes Interesse an Amerika ist etwas antizyklisch. Seit George W. Bushs Präsidentschaft, spätestens wegen Donald Trump haben sich viele von den USA irritiert abgewendet. Sie nicht?
Von Goisern: Also, auf die Idee wäre ich jetzt nicht gekommen, dass die Platte so nach Americana klingt.
Naja, es gibt Rap und Ihre Version von „Sinnerman“, dann die Streicherballaden, später folgt ein Bluesrocker…
Von Goisern: Okay, wenn ich diesen Gedanken nicht von mir weise, würde ich sagen: Das, was da noch vorkommt, ist das Tolle an Amerika. Wenn wir schauen, was jetzt in den USA passiert, auch auf das, was da jetzt produziert wird an Musik - das ist ja alles sehr, sehr schwach und seicht gegenüber dem, was vor ein paar Jahrzehnten noch zu hören war. Und natürlich hat dieses Amerika der 1950er, 60er, 70er und auch 80er Jahre einen großen Einfluss auf mich gehabt. Das sind ganz tolle Bands und ganz großartige Musiker. Die haben ganz tolle Sachen produziert, was mir jetzt irgendwie schon fehlt. Ich gehe davon aus, dass es die Leute immer noch gibt, aber dass sie drüben genauso wenig Raum finden in den Medien wie hier.
Mit „Dunkelrot“ folgt ein sehr poetisches Liebeslied, dessen Sprechgesang fast lupenrein auf Hochdeutsch gehalten ist. Eigentlich ein ungewöhnlicher Zugang für ein so intimes Thema und einen altgedienten Dialektinterpreten wie Sie. Die Mundart ist ja gemeinhin näher am Herzen, oder?
Von Goisern: Ja das stimmt. Ich glaube, es gibt auf dem Album nur drei Lieder, die in Mundart gesungen werden. Alles andere ist Hochdeutsch, mit ab und zu kleinen Einsprengseln, in denen Umgangssprache durchkommt. Ich möchte eigentlich schon seit zehn Jahren gern mehr Hochdeutsch singen. Es hat nie geklappt. Es gab immer so einen Reflex, dass es in der Kehle zugemacht hat, wenn es zu Deutsch war. Aber dieses Mal ist es ganz von selber passiert.
War es jetzt einfacher, nachdem Sie einen Roman in Schriftdeutsch verfasst haben?
Von Goisern: Ja, ich glaube, es hängt viel mit dem Schreiben des Romans zusammen, dass ich jetzt auch so singen kann. Nachdem ich jetzt zwei Jahre in der Schriftsprache zu Hause war und mir das zu einer zweiten Natur geworden ist.
Das macht es den deutschen Chören leichter, die seit Jahren Lieder wie Ihre Ballade „Weit, weit weg“ gern singen, mit dem Oberösterreichischen aber zu kämpfen haben…
Von Goisern: Das ist mir bewusst (lacht). Es freut mich, wenn die Leute Freude daran haben und sich sprachlich nun leichter tun.
„Dunkelrot“ korrespondiert mit dem bluesigen „Dunkelblau“ - ist das eine Yin- und Yang-Korrespondenz?
Von Goisern: Das ist ein gutes Bild. Das Lied hat eine interessante Entstehungsgeschichte. Ich hatte für „Dunkelblau“ die Musik fertig und einen Pilottext einfach draufgesungen. Ich wusste genau, was ich singen möchte, eben so ein Liebeslied. Aber ich hatte es nicht ausformuliert. Ich hab es nur irgendwie draufgesungen. Und dann hab ich mich zurückgezogen und den Text geschrieben. Als ich dann aus meiner Klausur herauskam, fragte meine Frau: „Und wie ist es Dir ergangen?“ Ich fand es ganz toll und hab’s ihr vorgelesen. Sie war hin und weg und hat gesagt: „Wahnsinn, so schön. Wie geht da die Melodie?“ Dann habe ich das Playback aufgelegt und dazu gesungen. Und sie war danach ganz traurig und fand es total schade, dass der schöne Text mit einer so traurigen, bluesigen Melodie zusammenkommt. Normalerweise gibt sie keine Kommentare zu meiner Arbeit ab, das war eigentlich das erste Mal. Das hat mich dann so beschäftigt, dass ich stundenlang spazieren gegangen bin und mich gefragt habe: „Ja, vielleicht hat sie Recht? Ich setz mich jetzt mal hin und schau, ob mir eine andere Melodie einfällt.“ Das hat vielleicht zwei Stunden gedauert und das Lied war fertig, so wie es jetzt ist. Nur hatte ich dann für „Dunkelblau“ keinen Text mehr. Und dann ist mir die Idee gekommen, es umzudrehen Ich nehme den Text und drehe ihn um, so dass er diese bluesige Farbe reflektiert - das ist so wie die helle und die dunkle Seite des Mondes, Yin und Yang. Ein Freund von mir hat gesagt, „Dunkelblau“ ist das männliche Bild, „Dunkelrot“ die weibliche Seite.
Die Ballade „Meiner Seel“ klingt zunächst tief romantisch. Man kann es aber auch als Plädoyer gegen „verschwor’ne Narren“ verstehen, die Gelb zu Blau erklären und in Fantastilliarden-Stärke durch Berlin oder Leipzig marschieren.
Von Goisern: Ja, genau, so ist das gemeint. Ich bin fassungslos darüber, dass es so viele Leute gibt, die eins und eins nicht zusammenzählen können. Wenn Sie das Albumcover genau anschauen, gibt es darauf ein Graffito für jedes Lied. Für „Meiner Seel“ ist es „Eins und eins ist nicht elf“ (lacht).
Der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo zählt zu den prominentesten Querdenkern. Sie haben mit ihm schon gearbeitet, er hat sie 2008 auf Ihrer Schiffstournee teilweise begleitet, einmal in Mainz sogar vertreten. Was sagen Sie zu seinem aktuellen Verhalten?
Von Goisern: Ich kann das eigentlich gar nicht beurteilen. Ich bin nur fassungslos darüber, was ich da immer wieder höre. Keine Ahnung, ob das Ausreißer sind oder ob er auch anders reflektiert. Mein Gedanke ist, ob ihm Leute etwas reinbröseln, was nicht gut ist (lacht). Aber im Ernst: Das tut mir echt total leid. Der Mann hat so ein Charisma, so eine Bühnenpräsenz und kann die Leute so berühren, wie kaum einer, den ich kenne. Umso bedauerlicher finde ich es, wenn er so abdriftet. Aber das machen gerade ziemlich viele Leute.
Der nächste große Kontrapunkt auf der Platte ist „Eiweiß“ mit bestens gelaunten Mariachi-Bläsern und einem fast satirischen Text. Beneiden Sie Dieter Nuhr um seine regelmäßigen Proteststürme, oder warum spötteln Sie über die „ach so bedrohte Pfote“ des Eisbären und Veganer? Beim Schreiben kommt Ihnen die Schere im Kopf offensichtlich nicht in die Quere.
Von Goisern: Nein. Ich reflektiere natürlich schon und denke darüber nach, was passieren kann, wenn das rausgeht. Kann das jemand in die falsche Kehle bekommen? Vor kompletten Fehlinterpretationen ist man ohnehin nie gefeit. Bei der Geschichte habe ich überhaupt kein schlechtes Gefühl. Leute, die sich vegan ernähren, haben meine große Bewunderung. Tierhaltung- und -massentransporte sind eine unglaubliche Schande für die Menschheit. Jeder, der weniger Fleisch isst, rennt bei mir offene Türen ein. Ob man auch auf Milch oder Eier verzichtet, ist ja auch jedem selbst überlassen. Aber unser Umgang mit tierischem Eiweiß hat auch viel mit Klimawandel zu tun. Deshalb auch die Mariachi-Klänge, mit denen quasi die Hitze nach Grönland kommt, wo der Eisbär lebt. Auch diesem Lied liegt eine interessante Begebenheit zugrunde.
Erzählen Sie…
Von Goisern: Vor vier, fünf Jahren war ich in Grönland und habe dort auch ein Konzert gespielt. Ein guter Freund hat mich begleitet und geholfen, das umzusetzen. Ein sehr einfühlsamer Mensch. Nach drei, vier Tagen wurde ich Zeuge eines Gesprächs, das er mit einem Einheimischen geführt hat, dem er sagte: Ich würde so gern mal einen Eisbären sehen.“ Dieser Grönländer hat ihn fassungslos angeschaut und geantwortet: „Diese Scheiß-Eisbären! Die sind allgegenwärtig, du kannst nicht ohne Knarre aus dem Dorf rausgehen. Sie sind einfach eine Bedrohung hier.“ Es kommt immer drauf an, von wo man die Dinge betrachtet. Wir sehen das bedrohte Tier, die Einheimischen fürchten es - und freuen sich womöglich über die Erderwärmung. Wir machen es uns zu leicht in solchen Dingen. Etwa, wenn wir glauben, die Welt zu retten, indem wir unsere Hunde und Katzen auch vegetarisch ernähren. Das ist Tierquälerei, darauf ist das Lied vom menschenfressenden Eisbären durchaus als Seitenhieb zu verstehen. Das sind nun mal keine Kuscheltiere. Ansonsten finde ich toll, was Vegetarier und Veganer machen.
„Elektro“ hält dann, was der Name verspricht - der funkigste Von Goisern bisher?
Von Goisern: Ja. Auf „Inexil“ hatte ich schon mal einen tibetanischen Operngesang mit solchen stampfenden Rhythmen unterlegt. Aber das liegt lange zurück. Seitdem habe ich das so konsequent nicht mehr gemacht.
Gegen Ende geht es viel und teilweise sehr verspielt um Tiere - in „Grönlandhai“, „Novemberpferde“ und zum Schluss „Tierische Polka“?
Von Goisern: Das ist einfach so passiert. Ich bin oft draußen in der Natur und habe riesigen Respekt vor Lebewesen, die nicht im geschützten Rahmen überleben können. Wie die da draußen über die Runden kommen, gerade in den Bergen. Was da an Getier ist, seien es Vögel, Gämsen, Hirsche, Rehe, Hasen… Ich freue mich immer, wenn ich die Gelegenheit habe, sie in freier Natur zu beobachten. Und darüber, dass es für diese Tierwelt noch Raum gibt, den der Mensch noch nicht erobert hat.
In „Glück ohne Ruh“ vertonen sie Goethes frühes Liebesgedicht „Rastlose Liebe“. Sind Sie mit 68 Jahren noch ein Stürmer und Dränger?
Von Goisern: Das mag ich jetzt nicht beantworten (lacht). Die Entstehungsgeschichte dieses Liedes liegt auch lange zurück: 1988 ist ein Regisseur an mich herangetreten und wollte das Gedicht „Rastlose Liebe“ gern als Teil der Filmmusik haben, die ich für ihn geschrieben habe. Ich fand das eigentlich daneben. Das ist natürlich ein Supertext, aber die Art und Weise, wie es Schubert umgesetzt hatte, gefiel mir nicht. Ich hätte es anders gemacht und auch den Text a bissel umgeschrieben. Das Ergebnis hat ihm nicht gefallen. Seither hatte ich das in meinem Kopf. Nichts gegen Schubert - ein großartiger Komponist und Liedschreiber. Aber Goethe hat die „Rastlose Liebe“ mit Anfang 20 geschrieben, Schubert war etwa gleich alt, als er das Gedicht vertont hat. Für mich war das viel zu aufgewühlt, auch damals schon.
Aber was darf, ja muss aufwühlend sein, wenn nicht Liebe?
Von Goisern: Für mich war Liebe auch als junger Mann immer etwas Romantisches. Wenn man von Leid spricht, wie es in dem Gedicht steht, ist es für mich etwas schwermütig Leidendes und kein stechender Schmerz. Eher etwas Dunkles und kein helles Blutrot. Darum habe ich das jetzt so gemacht. Auch weil ich mit Alessandro Tremo einen Superpianisten an meiner Seite hatte, funktioniert es.
Es gibt ansonsten auf der Platte eine Art Cajun-Polka, einen Trauer-Jodel, ein explodierendes Akkordeon-Instrumental, dazwischen einen lakonischen Geradeaus-Rocker wie „A Tag wie heut“. Was außer Ihrer Person ist das Bindeglied zwischen all dem? Die Welt, die auf Sie einströmt?
Von Goisern: Zwischen allen 17 Songs gibt es außer mir kein Bindeglied. Aber eine Vielzahl der Lieder sind im Grundstock von denselben Musikern eingespielt. Das zieht sich auch durch. Da musste sich auch keiner musikalisch verrenken, die wurden alle in diesen Klangräumen sozialisiert. Aber im Grunde genommen ist es so: Ich bin der Wanderer durch diese musikalischen Landschaften. Und wenn man mir folgt, kommt man am Ende auch wieder raus (lacht).
Können Sie das alles live umsetzen, auch die Streicher-Arrangements?
Von Goisern: Das wird spannend, ich denke aber schon. Aber sicher nicht eins zu eins, denn wir werden sicher kein Streichorchester mit auf Tour nehmen. Aber wir haben großartige Musiker zur Verfügung, die eine enorme Bandbreite an Instrumenten spielen können. Mal schauen, was herauskommt, wenn wir es auf das Sextett reduzieren, mit dem wir unterwegs sein werden. Ich habe aber schon den Traum, dass es die eine oder andere Aufführung geben wird, zu der wir Gäste einladen können, die auf dem Album mitgespielt haben. So dass es immer wieder auch mal eine Überraschung gibt, wenn wir auf der Bühne sind. Vielleicht schaffen wir’s einmal, dass alle dabei sind. Mal schauen.
Was ist Ihr Gefühl: Können Sie wie geplant am 28. Mai 2021 im normalerweise ausverkauften Mannheimer Rosengarten auftreten?
Von Goisern: Ich hoffe es. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir zwar planen müssen, uns aber auch vor Augen halten, dass alles möglicherweise wieder umgestoßen werden muss. Wir hatten eine toll durchgeplante Herbsttournee, jetzt beginnen wir im April. Ich bin eigentlich ganz guter Dinge, dass es klappt. Aber mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Zur Not verschieben wir nochmal. Aber es ist schon jetzt ein riesengroßes Chaos, denn die vielen verschobenen Konzerte ballen sich natürlich jetzt schon zusammen mit denen, die eh für den Zeitraum geplant waren. Wenn man das alles nochmal verlegt…
So energisch wie Sie auftreten, ist es vermutlich keine Option, zweimal pro Abend zu spielen und das Publikum aufzuteilen, so dass Abstand möglich ist?
Von Goisern: Für mich wäre das vom Stimmlichen her nicht denkbar.
In Deutschland klagt die Kultur über das Quasi-Berufsverbot seit März, die großzügig angekündigten Staatshilfen fließen je nach Bundesland unterschiedlich zäh. Wie geht es freischaffenden Musikern in Österreich?
Von Goisern: Ich kann nur über meine Kollegen sprechen. Denen versuche ich mit Vorschüssen zu helfen, bis es wieder richtig weitergehen kann. Aber die Lage ist nicht schönzureden. Man muss irgendwie lernen, damit umzugehen. Ich erinnere mich an die Frühzeit meiner Karriere, in der ich auch monatelang kein Engagement hatte und substanziell kaum etwas reingekommen ist. Da lebte ich von der Hand in den Mund oder bekam Zuwendungen von Freunden, bei denen ich zum Beispiel eine Weile leben konnte, ohne Miete zahlen zu müssen. Das Kreative kann sich auf alle möglichen Arten durchschlagen. Aber es wird auch so sein, dass manche Künstler aufhören, weil sie den Leidensdruck nicht aushalten. Das ist nicht leicht, da gehört auch immer a bissel Glück dazu. Aber ich glaube, die guten Leute werden sich durchsetzen.
Seit der letzten Tour zu „Federn“ haben Sie ihren ersten Roman geschrieben: Der ist interessant gebaut, Sie verwenden mehrere Perspektiven, auch weibliche. Ist das der Vorteil von Prosa gegenüber Songs?
Von Goisern: Ich glaube schon, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die in einem Song in eine andere Rolle schlüpfen können und nicht immer nur aus der eigenen Perspektive schreiben. Das ist eine Bereicherung, vielleicht denke ich darüber nach. Aber in „Eiweiß“ singe ich ja auch aus der Perspektive des Eisbären und verlasse mein eigenes Ich.
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