Im Erdgeschoss des Schauspielhauses, wo früher eine Diskothek beheimatet war, ist eine kleine Spielstätte entstanden, mit einem ansprechenden Foyer (blanke Mauersteine, Holztäfelung, weißen Wänden) und einem wandelbaren Theatersaal für neue Stücke, natürlich "Diskothek" genannt. 4,6 Millionen Euro gab die Stadt Leipzig dafür, größte Einzelinvestition für Kultur der letzten Jahre.
Die flexibel bespielbare Black Box, die bis zu 199 Plätze bietet, soll zur Plattform für junge Autoren und Autorinnen werden und will unterschiedliche Formate wie Uraufführungen, Stückentwicklungen und Auftragswerke zeigen.
Für Intendant Enrico Lübbe (Bild), Schauspieldirektor in Chemnitz, ehe er mit Beginn der Spielzeit 2013/14 nach Leipzig kam, sind aktuelle Stücke ein Kontinuum in seiner Arbeit: "Die Programmatik der zeitgenössischen Dramatik hängt tatsächlich mit allen meinen bisherigen Leitungstätigkeiten zusammen und hat ihren Ursprung in Chemnitz, wo wir bereits viele Kontakte zu AutorInnen begonnen haben zu knüpfen und deshalb gleich ab der ersten Leipziger Spielzeit so erfolgreich starten konnten." So wurde Wolfram Höll für die Uraufführungen seiner Stücke zweimal mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet, Ferdinand Schmalz mit seinem in Leipzig uraufgeführten "am beispiel der butter" nach Mülheim eingeladen, und in diesem Jahr war Claudia Bauers Inszenierung "89/90" beim Berliner Theatertreffen dabei.
Programmatisch eröffnet wurde die neue "Diskothek" mit Elfriede Jelineks "WOLKEN.HEIM", ihrem immer noch aufwühlenden Text von 1988, der ihr Durchbruch war.
Für die Inszenierung von Enrico Lübbe hat Titus Schade, Meisterschüler von Neo Rauch, gemeinsam mit Maria Lena Lapata das Bühnenbild entworfen. Jelineks "Kiosk" zieht sich hier über die gesamte Bühnenbreite, ein etwas schiefes Fachwerkhaus, realistisch-surreal, mit Türen, Türchen und qualmendem Schornstein.
Jelineks Text wabert zunächst aus dem Off in den Saal, wo erst mal munter weiter geredet wird, doch dann kommt Leben in und vor den Kiosk.
Spannendes Bildertheater
Zwei Frauen (Anna Keil, Bettina Schmidt) in Flatterkleidern der 1950er, drei Männer (Tilo Krügel, Hartmut Neuber, Hubert Wild), mal im grünen Frack des Privatgelehrten, mal als Romantiker in schwarzweißer Kleidung und wehendem Schal (Kostüme: Sabine Blickenstorfer), arbeiten sich mit Vehemenz durch Jelineks Textblock über das Deutschsein. Zum Glück macht Lübbe keine Vorlesung daraus, sondern spannendes Bildertheater. Auch der Untertitel der Inszenierung war programmatisch: "Leipziger Nachspiel". Denn in der "Diskothek" will man das tun, was bei neuen Stücken so oft versäumt wird: Nachspielen. Ein zweiter, dritter, auch vierter Blick soll möglich sein (auch wenn das nicht unbedingt Meriten im Feuilleton bringt).
Der Erfolg seiner Strategie hängt für Enrico Lübbe auch mit Leipzig zusammen: "Das Schauspiel Leipzig hat einen sehr jungen Zuschaueraltersdurchschnitt (37,5 Jahre) und Leipzig ist eine sehr junge, studentische, offene Stadt, die neuen Ästhetiken, Spielweisen, Theaterformen aufgeschlossen ist."
Und für dieses Publikum gibt es als Schmankerl nach jeder Premiere in der "Diskothek" ein kostenloses Konzert.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-grosse-offenheit-fuer-neue-theaterformen-_arid,1152465.html