Literatur - Elena Ferrante setzt mit "Die Geschichte der getrennten Wege" ihre erfolgreiche Saga um zwei Freundinnen fort

Glasklare Worte aus Neapel

Von 
Jeanette Stickler
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Die Schauplätze im Roman von Elena Ferrante beschreibt sie teilweise so, wie diese Gasse auf unserem Bild in Neapel aussieht

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Die gute Nachricht zuerst: endlich können auch deutsche Leser, wohl hauptsächlich Leserinnen, aufs Neue abtauchen in den neapolitanischen Kosmos um die beiden Freundinnen Elena, genannt Lenù, und Raffaella, besser bekannt als Lina oder Lila. Jetzt erscheint der dritte Band von Elena Ferrantes Saga mit dem Titel "Die Geschichte der getrennten Wege". Die schlechte Nachricht ist die, dass nur noch ein Band zu erwarten ist, der die Tetralogie der italienischen Schriftstellerin abschließt.

Inzwischen sind unsere beiden Heldinnen Mitte zwanzig, und wie der Titel bereits andeutet, hat sich Elena Greco längst aus Neapel verabschiedet, ein Studium absolviert und einen Roman veröffentlicht, während Lila nicht nur der Stadt am Vesuv verhaften bleibt, sondern auch dem Mikrokosmos des Rione, jenes armen und erbärmlichen Viertels, in dem die beiden Freundinnen aufgewachsen sind.

Zurück in alter Rolle

Erinnern wir uns kurz: Am Ende des zweiten Bandes, "Die Geschichte eines neuen Namens", war Elena zu einer Diskussionsveranstaltung über ihren Roman in einer Mailänder Buchhandlung eingeladen, bei der ein Kritiker ein vernichtendes Urteil fiel. Doch es meldete sich noch jemand, der den Roman in hohen Tönen lobte: niemand anderes als Nino Sarratore. Damit geht es jetzt weiter: Es ist jener Nino, in den Elena bereits als Schülerin verliebt war, und der sich dann in die bereits verheiratete Lina vernarrt hat: "Von da an schrie mein ganzes Ich im Stillen seinen Namen - wie lange hatte ich ihn nicht gesehen, vier Jahre oder fünf -, und obwohl ich vor Anspannung wie eingefroren war, stieg mir eine heiße Röte ins Gesicht."

Obwohl Elena jahrelang an einer Eliteuniversität studiert und einen akademischen Rede-und Schreibstil erlernt hat, muss sie erkennen, dass sie unversehens in ihre alte Rolle fällt. "Ich war wieder zu dem eifrigen Mädelchen aus dem Rione geworden, zu der Pförtnertochter mit dem Akzent aus dem Süden, die selbst erstaunt war, dass sie an diesem Ort gelandet war, um die junge, gebildete Schriftstellerin zu spielen."

Bereits auf den ersten Seiten stellt die Autorin die Weichen für den Fortgang der Geschichte. So verweist bereits die literarisch-politische Debatte, die sich zwischen Nino und dem älteren Kritiker entwickelt, auf die unruhigen Zeiten der siebziger Jahre, in denen das autoritäre Machtgefüge nicht nur an den Universitäten ins Wanken gerät. Die private Geschichte von Lila und Elena wird von Studentenunruhen, Demonstrationen, Festnahmen, von Gewalt und Blutvergießen grundiert. Auch das Selbstbild Elenas als Frau und Akademikerin, vor allem aber als Ehefrau und Mutter, spiegelt sich in den Debatten um das Rollenverständnis von Mann und Frau. Dabei geht es am Rande auch um Sexualität oder, wie Lila es in ihrer Art formuliert, um "die nervige Vögelei".

Freundschaft lebt auf

Trotz der Begegnung mit Nino heiratet Elena ihren Freund Pietro, Sohn aus allerfeinstem Intellektuellenmilieu. Und wie sie es von klein auf verinnerlicht hat, passt sie sich an, hält den Mund und verlegt Nino in ihre Träume. Pietro gibt ihr die Gewissheit, "dass ich der üblen Begabung meines Vaters zum Opportunismus und der Grobschlächtigkeit meiner Mutter entkommen konnte". Derweil lebt die Freundschaft zwischen Lila und Elena auf, die von Anfang an nicht ohne Ambivalenzen auskam.

Lila, die zusammen mit ihrem Sohn ihren Mann verlassen hat und unter erbärmlichen Bedingungen in einer Wurstfabrik arbeitet und mit ihrem Kinderfreund Enzo zusammenlebt, ist körperlich am Ende: ausgemergelt, krank, zu Tode erschöpft. Doch mit ihrer flirrenden Intelligenz, ihrer Fähigkeit, immer wieder neue Kraft zu mobilisieren und sich aus dem größten Schlamassel herauszuziehen, schafft sie es auch jetzt wieder, für sich, Enzo und ihren Sohn etwas Neues auf die Beine zu stellen. Währenddessen hadert Elena, Mutter zweier Mädchen, mit ihrem Leben: ein zweiter Romanversuch scheitert, der biedere, als Professor erfolgreiche Pietro verbringt seine Tage in der Universität und bleibt patriarchalen Strukturen verhaftet. Eines Tages bringt Pietro überraschend einen Gast mit zum Abendessen. Es ist niemand anderes als Nino Sarratore, dessen Charme Elena erneut erliegt.

Die Sogkraft in Ferrantes Romanen verdankt sich sowohl einer ausgeklügelten Ökonomie des Erzählens als auch ihrer so glasklaren wie eleganten Sprache, die Karin Krüger perfekt ins Deutsche übertragen hat. Auf den abschließenden Band warten wir also mit großer Neugier.

Freie Autorin

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