Kunst - Ab Sonntag dokumentiert eine Ausstellung in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen zeitgenössische Architektur in China

Glanz des Turbo-Kapitalismus

Von 
Karin Leydecker
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Gigantisch und glitzernd: Diese "Beijing Konstruktion" von Miao Xiaochun aus dem Jahr 2007 zeigt den Prunk der aktuellen chinesischen Baukunst.

© rem/Carolin Breckle

Der chinesische Architekturmarkt ist der dynamischste der Welt. Unzählige "Super Tall Towers" von über 300 Metern Höhe sind aktuell in der Volksrepublik im Bau, und ein Ende dieses Booms ist nicht abzusehen. Während früher ausschließlich die riesigen staatlichen Designkombinate tonangebend waren, dominieren heute unabhängige chinesische Büros und internationale Architekturprominenz das Baugeschehen. Ihre oft gigantischen Projekte entwerfen das glitzernde Bild des neuen chinesischen Zeitalters.

Die Reiss-Engelhorn-Museen zeigen nun in faszinierenden Fotoarbeiten und Modellen die schöne neue Welt des chinesischen Turbokapitalismus: 100 zeitgenössische Architekturprojekte - visionär, futuristisch und auch geprägt von einer Suche nach einer spezifisch chinesischen Baukultur.

Der Künstler Fang Zhenning, der bereits den chinesischen Pavillon bei der diesjährigen Biennale inszenierte, hat die facettenreiche Mannheimer Schau kuratiert, die Projektleitung lag in den Händen des China-Spezialisten Christoph Lind. Wichtig war den Ausstellungsmachern, eine große Bandbreite der Bauaufgaben und ein "repräsentatives Bild der zeitgenössischen chinesischen Architektur" zu zeigen. Die Stars der internationalen Architekturszene wie Zaha Hadid, Herzog & de Meuron, gmp und Rem Koolhaas sind darunter, der frischgebackene Pritzker-Preisträger Wang Shu, chinesische "Global Player" wie MAD Architects oder Shao Weiping sowie eine Reihe chinesischer Büros, die eine Baukultur zwischen Tradition und Innovation anstreben.

Attraktive Prachtbauten

Wunderschön sind die Bilder: das mächtige "Vogelnest" des Olympia-Stadions (Architekten: Herzog & de Meuron), die majestätisch aufragenden Muschelschalen des neuen Opernhauses in Zhuhai (Architekt: Zhu Xiaodi) oder der rund drei Milliarden Euro teure Wolkenkratzer "China Zun" (2016), der mit 528 Metern das höchste Gebäude in Beijings Central Business District sein wird.

Das aktuelle Baugeschehen in China ist deutlich gekennzeichnet von vielen Brüchen: Der westliche Architekturimport dauert an; nirgends werden Stile und Trends so schnell aufgegriffen und verwertet wie von chinesischen Architekten. Immer noch blüht die Praxis der "dekorierten Schuppen", es gibt vielfältige Verschnitte der internationalen Moderne und natürlich die computergenerierten organischen Formen. Dem Gestaltungsspielraum scheinen keine Grenzen gesetzt, und man erkennt auf vielen Bildern der Ausstellung, dass sich die Metropolen Chinas unaufhörlich verdichten.

Neben riesigen Wohnblocks rauschen mehrgeschossige Autobahnen vorbei, werden Shopping Malls aus dem Boden gestampft und auch schon wieder abgerissen. In einem rasenden Kreislauf wächst und vergeht Architektur. Damit schwindet auch die traditionelle Stadtbaukunst des alten China. So zum Beispiel sind die historischen Hutongs - die einstöckigen, durch Gässchen erschlossenen Wohnquartiere - bis auf wenige Rudimente abgerissen. Die Ausstellung dokumentiert das Ergebnis dieses Prozesses in geradezu überwältigenden Bildern. Den kritischen Diskurs, der den Preis dieser Entwicklung beleuchtet, führt sie aber leider nicht.

Bei wichtigen chinesischen Architekten führten die unwiederbringlichen Verluste inzwischen zu einem Bewusstseinswandel und dem Bruch mit der gängigen chinesischen Praxis, Architektur als reines Konsumprodukt zu bewerten. Nicht das rein Spektakuläre steht nun im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Authentizität. Dies fordert von den Architekten konkrete Auseinandersetzungen mit den spezifischen Gegebenheiten des Ortes, des Klimas und der Topografie.

Anknüpfen an Tradition

Deutlich wird diese Neuorientierung bei Architekten wie Wang Lu, Liu Jiakun oder bei URBANUS, die mit ihren Rundhäusern an überlieferte Wohnformen anknüpfen. Ganz wichtig in diesem Kontext ist natürlich der Pritzker-Preisträger Wang Shu (Jahrgang 1963).

Seine Bauten - das archaische Geschichtsmuseum in Ningbo und die Kunstakademie in Hanzhou (beide südlich von Shanghai gelegen) - lösen sich konzeptionell vom internationalen Diskurs. In gebauten "Bildern der Erinnerung" suchen sie einen neuen chinesischen Weg, der sich endlich zu den Bautraditionen der großen Vergangenheit bekennt.

China zu Gast in den Reiss-Engelhorn-Museen

  • Mit zwei Ausstellungen feiern die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen das chinesische Kulturjahr 2012 in Deutschland.
  • Die Dokumentation "Architecture China - The 100 Contemporary Projects" präsentiert 100 Höhepunkte aktueller chinesischer Architektur.
  • Begleitend zeigt der Künstler Ma Fudan mit der Ausstellung "Neue Bilder aus Dunhuang" die zeitgenössische Auseinandersetzung mit buddhistischer Wandmalerei.
  • Die Ausstellung im Zeughaus C 5 der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen ist von Sonntag, 16. September, bis 13. Januar 2013 zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, er kostet an der Museumskasse 34,90 Euro.
  • Öffnungszeiten: Di- So 11-18 Uhr, Mo geschlossen, Öffnungszeiten an Feiertagen: 11 - 18 Uhr, außer an Heiligabend (24.12.) und Silvester (31.12.). Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro.
  • Weitere Informationen unter Tel.: 0621/2 93 31 50 und auf der Homepage www.rem-mannheim.de

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