Nachdem sich seine ersten beiden Studio-Alben 2014 und 2015 locker in den Top 10 platziert haben, peilt der Heidelberger Rapper Kurdo mit "Verbrecher aus der Wüste" heute seine erste Nummer eins in den deutschen Album-Charts an. Wie der Titel schon nahelegt, ist das Rezept von Bushido und Co. altbekannt: blanke Provokation zu düsteren Electro-Beats mit Gangsta-Macho-Klischees und gefühligen Einlagen.
Die handeln von harten Kindertagen und dem Wert der Familie, die über allem steht - selbstverständlich auch über dem hiesigen Rechtsstaat und seinen Ordnungshütern, die in den Texten nicht nur ständig beschimpft, sondern auch noch zu Marketing-Zwecken instrumentalisiert werden: Denn seit gut zwei Jahren provoziert Kurdo relativ regelmäßig Schlagzeilen mit völlig überlaufenen Autogrammstunden in Geschäften und Fachmärkten, die krawallartig eskalieren, so dass die Polizei eingreifen muss. So im Juni 2014 in der Mannheimer Innenstadt, Anfang 2015 in Stuttgart und zuletzt am vergangenen Freitag in Dortmund.
Tumult in Dortmund
Der Tumult mit gut 3500 Fans kam wohl gerade Recht. Ein paar Szenen wurden mitgedreht und eilig in das am Dienstag veröffentlichte Video zum Song "600 Tausend" eingebaut. Der soll vordergründig das Durchbrechen der 600 000-Fan-Marke auf Kurdos Facebook-Seite feiern, beginnt aber mit einem trophäenartig eingesetzten Radionachrichtenausschnitt aus Dortmund: "Laut Polizei entstand ein Sachschaden, zwei Personen wurden leicht verletzt. Es gab auch drei Festnahmen wegen Landfriedensbruch ..." Ansonsten hat der Song die handelsüblichen, durchsichtigen Tabubrüche zu bieten - mit bewusst rumpelnd gerappten Zeilen wie "Du Schwuchtel, sagst: ,Deutschland hat kein Ghetto?!' Kein Problem, dann mach' ich aus Deutschland ein Ghetto" oder "Ich bin Kurde, ich bin Deutscher so wie Adolf Hitler. Mann, ich wusste es, ich schaff' es auf die Titelseite." Wo "normale" Gangsta-Rapper familienbewusste Kino-Mafiosi wie Scarface oder den Paten verehren, rappt der Deutsch-Kurde: "F ... Al Pacino hier sind Peshmerga Helden!" (gemeint sind die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan).
An solchen Stellen wird seine mit Arabesken versetzte Musik für Sozialstudien durchaus interessant, weil der Heidelberger ein paar andere Inhalte transportiert als seine ausschließlich materialistisch orientierten Kollegen aus den diversen Aggro-Fraktionen des Deutsch-Rap: Als er acht Jahre alt war, floh die Familie des 1988 geborenen Kurdo Jalal Omar Abdel Kader aus dem krisengeschüttelten Nordirak nach Deutschland. Dort wuchs er seinen Liedtexten zufolge im elften Stock in einem der Hochhäuser im Emmertsgrund auf - einem Stadtteil, den er gern mit dem selben Härtegrad versieht wie Berlin-Neukölln ("Emmertsgrund-City: Ghettorap im Unterhemd").
Dass er ein Flüchtlingskind mit Kriegserfahrung sein will, ist zentraler Teil der Selbststilisierung inklusive Verherrlichung von Sturmwaffen, der kurdischen Heimat und traditionellem Familienbild. Sexismus gibt es nur in Richtung deutscher Frauen, wobei der 27-Jährige in dieser Hinsicht etwas zahmer agiert als üblich. In "normalen" Zeiten ginge "Verbrecher aus der Wüste" als ordentlich produzierte Genre-Platte mit bildungsfernen Pubertierenden aller Altersstufen als Zielgruppe durch. Während der sich zuspitzenden Flüchtlingsdebatte ist allein schon der Titel fahrlässig, weil er AfD, Pegida und Co. eine Steilvorlage bietet.
Abziehbild aller Vorurteile
Nichts von dem, was Rapper Kurdo textlich auffährt, hat man nicht schon krasser bei Bushido, Fler, Haftbefehl, Kool Savas, Azad oder Kollegah gehört. Normalerweise ist diese Art Hip-Hop ein Ventil für aufgestaute Aggressionen und damit relativ unproblematisch. Das Problem mit Kurdo ist der politische Kontext in diesen bewegten Tagen: Hier inszeniert sich einer wie das Abziehbild aller Vorurteile gegen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten - und tut damit nur seinem Konto einen Gefallen.
Da der 27-Jährige bei weitem nicht so beschränkt ist, wie er tut, sollte er sich schleunigst über seine Verantwortung als Pop-Star mit über 600 000 Facebook-Followern klar werden. Mit einer unkommentierten Parole wie "Vom Flüchtling zum Täter - in Deutschland illegal", mit der er 2012 als Youtube-Senkrechtstarter die Szene betrat, gibt er dasselbe verheerende Bild ab wie die Silvester-Grapscher in Köln. Und ein extrem schlechtes Vorbild für junge Schicksalgenossen, die jetzt in Deutschland ankommen und nach Orientierung und Idolen suchen.
In dieser Situation muss auch ein öffentlichkeitsscheuer Künstler wie Kurdo sein Talent besser nutzen und zumindest erklären, wo in seinen Texten die Grenze zwischen Fiktion und Fakten liegt.
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