Mannheim. Er kam, dirigierte und siegte, denn Alexander Soddy kann nach sechs Jahren als Generalmusikdirektor (GMD) am Nationaltheater Mannheim mit Stolz auf „sein“ Orchester blicken: Es steht qualitativ sehr gut da, was, man kann es nicht anders sagen, sein Probenverdienst ist. Am Montag dirigiert Soddy sein letztes Akademiekonzert als GMD, im Juli folgt noch die „Ring“-Tetralogie Wagners im Opernhaus. Nach dem 30. Juli dämmert es dort den Göttern. Die Welt brennt, das Theater schließt und Soddy zieht von dannen – gen Wien.
Herr Soddy, die Suche nach einem Nachfolger für Sie scheint schwierig. Hat Sie Opernintendant Albrecht Puhlmann schon gefragt, ob Sie nicht doch ein Jahr als GMD dranhängen wollen?
Alexander Soddy: (lacht) Nein, es war zwar immer wieder mal Thema vor einiger Zeit, aber jetzt nicht mehr.
Hätten Sie Ja gesagt?
Soddy: Nein, und es wäre auch kein guter Grund zu verlängern, nur weil noch kein Nachfolger für mich feststeht. Alle guten Dinge haben ihre Zeit. Ich will, dass es jetzt so endet, quasi in der besten Phase.
Was werden Sie nun tun, und wo?
Soddy: Ich ziehe im Sommer mit meiner Familie nach Wien. Ich habe in den nächsten Jahren viele Abende an der Wiener Staatsoper zu dirigieren. Wiederaufnahmen und eine Uraufführung. Wir haben lange überlegt, hierzubleiben, weil Mannheim eine tolle Location ist, perfekt für eine internationale Karriere mit dem Flughafen. Wir haben hier viele Freunde, aber ich werde eben vor allem in Wien arbeiten. Dort haben wir auch Freunde, so kann ich auch mehr mit meiner Familie zusammen sein. Da ich dann erst mal frei arbeite, habe ich Zeit, mein Profil zu ändern. Ich war ja gar nicht richtig am Markt, weil ich zu vielem Nein gesagt habe wegen meines Engagements am NTM.
Was wäre Ihr Traumhaus für eine weitere Festanstellung?
Soddy: Da gibt es viele, ich will das auch unbedingt wieder, weil es für mich keine schönere Arbeit gibt als mit eigenem Orchester. Wir machen jetzt die „Ring“-Proben. Da arbeitest du tiefer, kannst viel direkter hineingehen in die Musik, es ist für alle gut. Die größten Orchester wurden auch immer langfristig von Dirigenten geprägt. Das macht Sinn. Nach Mannheim müsste es aber schon eines der deutlich größeren Häuser sein, und dort dirigiere ich ja auch schon. In Wien, Berlin und London habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.
Alexander Soddy
- Ausbildung: Mannheims Generalmusikdirektor Alexander Soddy (39) stammt aus Oxford. Er absolvierte eine Ausbildung als Chorsänger, studierte an der Royal Academy of Music Dirigieren und Gesang und Musikwissenschaft und Analyse in Cambridge.
- Karriere: Direkt nach dem Studium wurde er 2004 Korrepetitor und Dirigent am National Opera Studio in London, 2005 Korrepetitor an der Hamburgischen Staatsoper, dann 2010 Kapellmeister in Hamburg, 2013/14 Chefdirigent am Stadttheater Klagenfurt und 2016 GMD in Mannheim. Seinen Fünfjahresvertrag hat er um ein Jahr bis 2022 verlängert.
- Akademiekonzert: 13./14. Juni, 20 Uhr, Mahlers Auferstehungssinfonie, Rosengarten (Info: 0621/260 44).
Was haben Sie am NTM gelernt?
Soddy: Sehr gute Frage. Sicher ist: unendlich viel. Ich habe einfach gelernt, wie ich besser dirigieren kann. Ich merke das daran: Ich habe vor fünf Jahren an der Met in New York dirigiert und dann eben vor einiger Zeit wieder. Und was ich dorthin mitgebracht habe als Dirigent, ist nicht vergleichbar mit vor fünf Jahren. Daran merke ich, wie viel ich gelernt habe. Ich bin handwerklich viel besser geworden, ich probe effizienter und habe mehr Instinkt dafür, was ich tun muss, um auszudrücken, was ich haben will. Ich habe auch mehr musikalische Klarheit entwickelt. An großen Häusern musst du das haben, sonst hast du keine Chance vor dem Orchester. Das sind so starke Charakter, wenn du da nicht sofort musikalische Autorität zeigst, bist du verloren. Das habe ich in Mannheim entwickelt.
Das NTM-Orchester gilt ja auch als Orchester mit starken Persönlichkeiten. Haben Sie den Kampf um die Autorität gewonnen?
Soddy: Nun, ich sehe das weniger als Kampf, eher, dass man sich seine Autorität verdienen muss. Man hat gute und schlechte Tage, das ist normal. Aber ich mag den Ehrgeiz in dem Orchester, das ist für mich viel spannender, als Leute motivieren zu müssen.
Was haben Sie menschlich gelernt?
Soddy: Geduld, Vertrauen und Respekt. Man muss, wenn man an ein Haus kommt, erst mal anerkennen, was schon da ist. Dann kann man mit dem Polieren beginnen.
Haben Sie das, was Sie sich vorgenommen hatten, erreicht?
Soddy: Ja, ich bin natürlich immer noch traurig, dass Corona kam. Wir waren gerade in einer Phase, wo wir das Erreichte genießen konnten.
Sie lieben das Risiko, haben Sie vor sieben Jahren zu mir gesagt: Wo sind Sie in Mannheim das größte Risiko eingegangen?
Soddy: (denkt lange nach) Ich glaube, die Strauss-Tage waren fürs Orchester eine Riesenbelastung. Wir haben ja nicht 130 Mitglieder, so dass man rotieren kann. Es sind nur gut 100. Das ging an die Grenzen. Aber es hat sich gezeigt, dass ein besonders gutes NTO eines ist, das auch mal an seine Grenzen geht, auch wenn sie das nicht zugeben würden. Aber plötzlich war alles möglich, es war unglaublich. Messiaens „Turangalîla“-Sinfonie aufzunehmen, war auch ein hohes Risiko. Auch der „Ring“ wird eine Herausforderung, weil die Probezeit recht kompakt ist.
Es gibt außer Bayreuth auch keinen Ort, wo ein „Ring“ kompakt in einem Monat rauskommt …
Soddy: Erstaunlich, ja. Zum Glück kennt das Orchester den „Ring“ sehr gut und ich auch. Aber es ist eine Riesenherausforderung.
Worauf sind Sie stolz?
Soddy: Auf das gestiegene Niveau – nicht nur der Höhepunkte, sondern von allem. Das Grundniveau. Auch dass wir im Haus ein richtig gutes Team aufgebaut haben. Die Zusammenarbeit war immer durch Produktivität und der Freude an der gemeinsamen Arbeit gekennzeichnet. So haben wir viel erreicht, ohne den gegenseitigen Respekt zu verlieren. Albrecht (Puhlmann) und ich hatten eine Vision und konnten sie umsetzen. Zudem ist eine tolle Atmosphäre entstanden. Wir inspirieren uns gegenseitig. Darauf bin ich stolz.
Sie kommen aus Oxford und London, das eine facettenreiche Stadt zwischen Upper Class und Arbeiteratmosphäre ist. Sie haben im schönen Hamburg und am Wörthersee in Klagenfurt gelebt. Wie sind Sie mit dem Industriecharme Mannheims klargekommen?
Soddy: (lacht) Industriecharme, das klingt gut (denkt nach).
Sie verlassen Mannheim. Sie müssen nicht mehr diplomatisch sein.
Soddy: Ich will das gut formulieren. Es ist nicht das, was ich kenne. Ich bin sehr nah an der Natur aufgewachsen. Meine Frau als Norwegerin natürlich auch. Unsere Seelen sind schon dort verankert. Es ist schon manchmal schwer hier. Du fährst hier rum und denkst: Ja, das muss man schon lieben. Aber das, was ich daran liebe, das ist auch beim Theater so: Es gibt keine Oberfläche. Es funktioniert. Es zählt, was drinnen passiert. An den großen Häusern sind auch 50 Prozent der Leute Touristen. Die kommen wegen der Architektur und des schönen Ortes wegen, nicht wegen der Musik. In Mannheim kommen die Menschen, weil sie die Kunst lieben. Es hat etwas Authentisches, und das schätze ich mittlerweile sehr.
Als Zugereister hat man auch einen kritischen Blick auf das Leben vor Ort. Was können die Mannheimer und die Stadtverwaltung besser machen, wo sind Sie sehr gut?
Soddy: Ich spüre hier eine sehr persönliche Verbindung zum Theater und zur Kunst. Das Theater gehört dem Publikum. Das spürt man sehr stark. Es gibt aber zwei Gefahren: Ich habe den Eindruck, dass einige Akteure in der Politik immer weniger verstehen, warum wir ein Theater haben. Das liegt an der musikalischen Ausbildung. Wir bekommen allmählich eine Politikergeneration, die keine klassische musikalische Ausbildung mehr hatte …
… oder klassische Bildung …
Soddy: … ja. Und wie kannst du das – auch mit Geld – unterstützen, wenn du selbst nicht verstehst, worum es geht! Wenn wir dieses Verständnis und die Selbstverständlichkeit, dass Kultur ein Teil unseres Alltags sein muss, verlieren, dann mache ich mir Sorgen. Das ist eine Gefahr – nicht nur in Mannheim. Auch Corona hat gezeigt: Wir wurden als Erstes geschlossen und waren die Ersten, die kritisiert wurden, wenn wir nicht genug gemacht haben. Kunst und Künstler sind ein sehr einfaches Ziel. Das Andere ist: Eine reiche Geschichte ist nicht genug. Man darf darauf stolz sein, aber das reicht nicht. Man braucht ständig Investitionen, um sie weiter zu entwickeln und am Leben zu erhalten. Wir sind Spielball. Wie die Künstler am NTM im Vergleich zu anderen Häusern bezahlt werden, ist eine Schande und passt nicht zu der Qualität am Haus. Der Ruf ist so gut. Die Leute sagen: Wow, Mannheim! Da steht ein Schatz.
Gab es Dinge, die Sie nervten?
Soddy: Ich hätte gern mehr Zeit gehabt, um tiefer in die Materie vorzudringen. Wir mussten immer sehr schnell arbeiten an diesem Haus.
Nun stehen mit Wagners „Ring“ und Mahlers „Auferstehungssinfonie“ noch Großereignisse an. Ist es Zufall, dass Ihre Zeit so endet?
Soddy: Ein bisschen. Aber es ist auch unglaublich, dass das Letzte, was hier gespielt wird, die „Götterdämmerung“ ist. Das passt sehr gut. Das Orchester definiert sich über diese Musik, Wagner ist in der DNA der Leute.
Die Akademiekonzerte machen Sie ja noch ein Jahr weiter. Warum?
Soddy: Der wichtigste Grund: Sie werden keinen GMD haben. Darüber hinaus sind etliche Akademiekonzerte während der Pandemie ausgefallen, mit der kommenden Saison habe ich die Chance, noch einmal intensiv mit meinem Orchester zu arbeiten. Die Musikalische Akademie verfügt über einen treuen Stamm an Abonnent*innen, die sich bereits jetzt auf die kommenden Konzerte freuen, und wir sehen aktuell den Eingang von zahlreichen Neubestellungen, was ich auch als Bestätigung unserer gemeinsamen Arbeit sehe.
Ist es denkbar für Sie, noch an der Oper zu gastieren?
Soddy: Ja. Es gibt aber keine Pläne. Auf jeden Fall wird das NTO der Einladung zum Daegu International Opera Festival in Südkorea mit dem „Ring“-Zyklus folgen, worauf ich mich schon sehr freue.
Könnten Sie zum Schluss noch den Satz vervollständigen: Mannheim und dem Nationaltheater wünsche ich, dass …
Soddy: … es den Menschen, die ja zu Freunden geworden sind, gut geht, sie glücklich und motiviert sind, auch musikalisch erfüllt. Das Orchester ist voller großer Herzen. Wenn es gut läuft, glühen diese und sind glücklich. Das wünsche ich ihnen in der sicher nicht so leichten Sanierungszeit, und dass sie, wenn sie nach der Sanierung zurückkommen, immer weiter und weiter machen und besser und besser werden. It’s a long journey.
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