Stuttgart. Frau Ministerin, Sie sind Grüne, aber gemessen an Ihrem Alter, noch gar nicht lange. War das von Ministerin Theresia Bauer von langer Hand vorbereitet, dass Sie in die Partei eintreten, damit Sie sie eines Tages ablösen können?
Petra Olschowski: Dass ich 2016 Staatsekretärin geworden bin, war eine Idee des Ministerpräsidenten; zumindest hat er mich gefragt. Ich war damals Rektorin der Kunstakademie in Stuttgart, ohne politisches Amt und kein Parteimitglied. Über die ersten Jahre im Amt bin ich dann immer stärker in die politischen Prozesse und die Grüne Partei hineingewachsen, habe gemerkt, dass das für mich passt. Auch mit Theresia Bauer als Ministerin habe ich sehr gut zusammengearbeitet. Es waren einfach viele positive Erfahrungen, die zusammengekommen sind.
Es gab also keinerlei Druck auf Sie?
Olschowski: Überhaupt nicht.
Jetzt nach rund einem Jahr: Gefällt Ihnen der Job?
Olschowski: Absolut. Auch da habe ich wieder das Gefühl: Es passt.
Früher hat man ja immer von Stallgeruch gesprochen. Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie schon einen?
Olschowski: Ich glaube nicht, dass ich das beantworten kann. Da müssen Sie andere fragen. Manchmal sprechen mich Menschen an und sagen, dass ich nicht rede wie eine typische Politikerin. Meistens meinen sie das positiv. Und natürlich: Ich habe keine übliche Parteilaufbahn, ich bin nicht in zig Parteitagen geschult. Es gibt auch immer noch Dinge, die mir schwer fallen: dass man sich immer wieder zur Wahl innerhalb der Partei stellen muss. Ob es um eine Delegiertenkonferenz geht oder um mehr. Ich finde es psychisch herausfordernd, dass man in der Partei und auch durch die Öffentlichkeit dauernd bewertet wird. Gleichzeitig ist es oft hilfreich, dass ich immer noch die Perspektive der Menschen habe, die nicht in der Politik groß geworden sind. Es macht mich auch unabhängiger.
Seit Sie Ministerin sind, also seit 28. September 2022, kommen Sie, wahrscheinlich zu Fuß oder mit dem Rad, oft in dieses Gebäude, den Mittnachtbau. Gibt es etwas, das Sie sich jeden Tag aufs Neue fragen?
Olschowski: Der Weg ins Büro, den ich fast jeden Tag zu Fuß gehe, ist schon eine Art Wandlungsprozess. Ich gehe von zuhause die Stäffele als Petra Olschowski hinunter, und wenn ich in das Ministerium reinkomme, sagen die Kolleginnen und Kollegen: „Guten Morgen, Frau Ministerin“.
Wie eine Metamorphose?
Olschowski: Eine kleine, die ich täglich dankbar, aber auch mit Demut annehme - es ist ein auf Zeit verliehenes Amt und eine große Verantwortung.
Ich dachte aber auch an so etwas wie den Spruch von Emmanuel Macron, als er Präsident wurde und sagte: Die Leute sollten morgens aufstehen und sich nicht fragen, was der Staat für sie tun kann, sondern was sie für den Staat tun können. Sie sind ja auch Dienerin.
Olschowski: Für mich zählt da immer der Satz des Ministerpräsidenten: Politik macht nicht Spaß, sondern Sinn. Bei mir gibt es viele Überschneidungen zwischen dem privaten Umfeld und dem Politischen. Viele meiner Freundinnen und Freunde beschäftigen sich im weitesten Sinn mit gesellschaftlichen und politischen Fragen. Das hat schon Einfluss darauf, wie man Politik macht. Und ja, ich finde, es ist der Auftrag an meine Generation, eine Politik auf den Weg zu bringen, die für die Jüngeren eine gute Grundlage ist.
Frau Bauer hatte sich ja vor allem um die Forschung und Wissenschaft gekümmert, Sie um die Kultur. Sie überlassen jetzt wohl Staatssekretär Arne Braun das Feld Kultur. Tut das weh?
Olschowski: Ich habe sehr bewusst entschieden, dass ich mich als Ministerin vor allem um Wissenschaft und Forschung kümmere. Mir fällt das nicht schwer. Im Gegenteil. Ich habe ja sechseinhalb Jahre lang Kulturpolitik gemacht und dort vieles von dem voranbringen können, was mir wichtig gewesen ist. In neue Themen zu springen und andere Felder zu erarbeiten - das habe ich schon in meiner Zeit als Journalistin geliebt. Außerdem überschneiden sich Wissenschaft, Forschung und Kultur ja in vielen Dingen, weil beide danach fragen, wie Neues entsteht.
Wer ist die neue Ministerin?
- Petra Olschowski wurde im Juni 1965 in Stuttgart geboren. Nach einer Lehre studierte sie an der Universität Stuttgart Germanistik und Kunstgeschichte.
- Als Redakteurin der „Stuttgarter Zeitung“ arbeitete Olschowski, ehe sie 2002 Geschäftsführerin der Kunststiftung Baden-Württemberg wurde. 2016 wechselte sie als Staatssekretärin ins Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
- Seit 28. September 2022 ist sie Nachfolgerin von Theresia Bauer als Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst.
„Die Kugeln fallen möglicherweise nicht mehr an ihren alten Platz zurück. Darin liegt eine Gefahr, aber darin liegt auch die Möglichkeit, Dinge in Bewegung zu bringen, zu dynamisieren in einem positiven Sinne.“ Das haben Sie im Juni 2020 zu mir gesagt. Es ging um die Pandemie und was danach kommt. Wagen Sie mal eine Einordnung?
Olschowski: Es ist vielleicht mehr auf den alten Platz zurückgefallen, als ich damals gedacht habe. Aber ein paar Sachen haben sich auch geändert und dynamisiert. Denken Sie zum Beispiel an die Digitalisierung in der Bildung und in der Wissenschaft. Auch in der Kultur gibt es Veränderung. Aber ich stelle fest, dass die Veränderungskräfte doch nicht so groß sind, wie ich mir das damals vorgestellt habe.
Die Grünen stehen immer für eine Kultur für alle. Geht das in einer so differenzierten Gesellschaft?
Olschowski: Ich suche immer noch nach einer besseren Formulierung als dieses „Kultur für alle“. Man darf nicht denken, dass jede Kultureinrichtung für die ganze Breite der Gesellschaft da sein kann und sollte. Aber die Breite aller Einrichtungen sollte schon für die Vielfalt in der Gesellschaft ein Angebot machen. Weder die Staatstheater noch der kleine Club kann alle im Blick haben, aber zusammen kann es gelingen.
Aber sollte Kultur nicht, statt für viele Gruppierungen einzelne Angebote zu verteilen, diese Gruppen zusammenführen? Wenn Kultur der vielzitierte Kitt der Gesellschaft sein soll, muss ich doch die Gesellschaft damit auch versammeln, wie es Bruce Springsteen auf dem Hockenheimring schafft.
Olschowski: Räume zu schaffen, in denen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in Austausch kommen - das sollte das Ziel sein. Kultur kann Bindungswirkung haben, sie individualisiert aber auch, trennt. In allen Zeiten hat Kultur auch das Ziel gehabt, sich zu separieren in die vermeintlichen Kenner und Liebhaber und in die anderen. Also beispielsweise zu sagen: Ich bin Wagnerianer. Ich bin Springsteen-Fan. Ich bin Fan türkischsprachiger Literatur. Das können drei unterschiedliche Welten sein, die sich bewusst abgrenzen. Und auch diese Abgrenzung kann wichtig sein. Aber natürlich kann Kultur auch wunderbare Momente der Gemeinsamkeit schaffen, indem man diese Brüche produktiv überwindet.
Staatssekretär Braun hat neulich in Mannheim betont, wie wichtig Pop ist. Ihr Ministerium teilte im Rahmen von Popländ im Mai mit: Die Trennung von U- und E-Kultur sei von gestern. Die Popkulturszene benötige verlässliche und zeitgemäße Fördervoraussetzungen. Warum soll E und U in einen Topf?
Olschowski: Auch für mich ist die Zeit seit vielen Jahren vorbei, in der man Kultur in ernst oder unterhaltend unterteilte. Ich glaube, ich habe das noch nie für zielführend oder relevant gehalten. Die Grenzen sind so fließend, dass wir damit nicht weiterkommen. Wichtiger ist für uns im Ministerium, darauf zu schauen, für was wir Förderinstrumente haben und für was nicht. Wir überlegen, ob wir neue Strukturen aufbauen müssen speziell für die Popkultur, die bisher auch aus ihrem eigenen Verständnis heraus nicht unbedingt öffentlich gefördert werden wollte. Was am Ende raus kommt, wissen wir noch nicht. Vielleicht braucht es keine neuen Strukturen, sondern nur mehr freie Fördertöpfe. Wir werden sehen.
Sollten wir nicht Dinge unterstützen, die allein nicht leben können? Dem Pop ist das im Allgemeinen immer noch ganz gut gelungen…
Olschowski: Ich glaube auch nicht, dass wir beim Pop-Dialog da landen, dass wir sagen: Jetzt bekommen die Bands vom Land dauerhafte Förderung. Vielleicht kann man über Stipendien am Anfang der Karriere nachdenken. Da ist der internationale Markt hart. Deshalb haben wir ja eine Popakademie, die diesen Start in die Karriere professionell begleitet. Aber am Ende unterstützen wir keine individuellen Künstlerinnen und Künstler. Wir fördern Strukturen, Initiativen oder Einrichtungen. Für mich steht daher noch nicht fest, dass der Pop-Dialog am Ende allein ein Geld-Thema ist. Vielleicht brauchen wir eher mehr Pop-Büros; vielleicht mehr Vernetzung; vielleicht müssen wir uns um die Clubs kümmern. Das sind aber nur Stichworte. Wir sind in einem Prozess.
Ihr Vorgänger als Staatssekretär war Jürgen Walther, ein großer Jazzfan, was man auch an der Politik bemerkt hat. Dann kamen Sie und hatten einen weiten Blick auf die Kulturszene. Nun gewinnt man den Eindruck, dass Arne Braun sich sehr für die Popmusik einsetzt. Wird es da einen Paradigmenwechsel bei der Kulturpolitik des Ministeriums geben?
Olschowski: Arne Braun werden Sie auch in der Oper oder im Ballett treffen. Die Popkultur ist ein Akzent, den er jetzt setzt, ein Prozess, der als Auftrag an unser Haus angelegt ist im Koalitionsvertrag. Es ist immer ein neuer Blickwinkel, der mit einer neuen Person hinzukommt. Der Rest bleibt verlässlich.
Bayreuth war in diesem Jahr erstmals nicht ausverkauft… Vor zehn Jahren war Bayreuth immer vielfacht überbucht. Es findet ein Wandel statt. Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim sanieren ihre großen Häuser. Sind die nicht alle zu groß für die Zukunft?
Olschowski: In Stuttgart im Staatstheater sind die Zahlen heute besser als vor Corona. Karlsruhe kommt auch zurück. Mannheim hat mit dem Interim eine schwere Zeit. Es kommen viele Faktoren vor Ort zusammen. Alle drei großen Häuser stecken ja in einer Sanierung oder haben sie vor sich. Das ist eine belastende Zeit, in der es auch darum geht, ein anderes Publikum anzusprechen, ohne das alte zu verlieren. Man sieht generell, dass die, die in der Krise alles dafür getan haben, den Kontakt zum Publikum nicht zu verlieren - zum Beispiel über Abos - und die überhaupt ein sehr heterogenes Publikum haben, besser aus der Pandemie rausgekommen sind als andere. Aus den deutschen Metropolen hören wir, dass der Kulturtourismus noch nicht wieder richtig läuft. Auch das hat Einfluss auf die Zahlen.
Was erwarten Sie von den großen Tankern, Museen und Theatern, die mit den hohen Kosten, in den kommenden Jahren?
Olschowski: Als erstes, dass sie das Publikum zurück in die Einrichtungen holen. Das ist eine klare Erwartungshaltung und hier passiert sehr viel. Ich wehre mich ja gegen eine reine Fokussierung auf die Publikumszahlen, aber sie sind ein Kriterium unter mehreren. Es geht vor allem um Qualität, Vielfalt, unterschiedliche Perspektiven. Das erwarte ich schon, dass das alles berücksichtigt wird. Und für jede Einrichtung hat es unterschiedliche Konsequenzen und Schwerpunktsetzungen.
Sollten Theater die Popkultur mit in die Arbeit aufnehmen?
Olschowski: Viktor Schoner zum Beispiel macht das in Stuttgart, auch weil er weiß, dass er in der Sanierungszeit ein jüngeres Publikum gewinnen muss. Er arbeitet unter anderem mit Max Herre zusammen, macht Aktionen mit Skatern. Und schon verändert sich das Haus. Dieses neue Publikum weiß teilweise gar nicht, was die unausgesprochenen Regeln in so einem Opernhaus sind. Es geht zwischendurch zum Rauchen raus, ruft dazwischen, springt von den Sitzen, macht Handyfotos, trinkt was. Ich finde es ganz erfrischend, dass die Codes des Opernpublikums in dem Moment so selbstverständlich über den Haufen geworfen werden und die Rituale des Pop-Publikums plötzlich ins Haus getragen werden. Verschiedene Menschen, die sonst wenig miteinander zu tun haben, kommen für eine begrenzte Zeit in einem Raum zusammen und handeln aus, was da wie passiert. Mir gefällt so was.
Etwas ganz anderes: Julian Nida-Rümelin stellt in seinem neuesten Buch die provokante These auf, dass „Cancel Culture“ die Demokratie gefährde, mehr: dass sie auch die Werte der Aufklärung bedrohe - nämlich dass der Mensch ein selbstständig denkendes Individuum ist, das Gedanken frei äußern darf ohne Rücksicht darauf, vielleicht jemanden damit zu verletzen, vielleicht auch nicht. Gehen Sie da mit?
Olschowski: Wir kommen aus einer Gesellschaft, die über eine lange Zeit auf bestimmte Gruppen der Gesellschaft überhaupt keine Rücksicht genommen hat. Da ist es gut, dass sich daran etwas ändert, dass wir überlegen: Welche Wörter benutzen wir? Wie sprechen wir bestimmte Themen an? Was wird thematisiert? Es gibt Sensibilitäten, gewisse Sachen sind nicht mehr akzeptabel. Gleichzeitig ist die Freiheit der Kunst ein enorm hoher Wert. Und dass man sich an Kunst reibt, dass sie einen provoziert, ist ja nun mal auch ein Wert, an dem wir alle, die wir sie lieben, gewachsen sind. Es sind also immer wieder neue Aushandlungsprozesse. Und natürlich ist die Kultur der Ort in der Gesellschaft, wo so etwas wie unter einer Lupe stattfinden kann.
Ist es gut, ein paar älteren Damen zu verbieten, internationale Tänze in Kostümen des jeweiligen Landes öffentlich aufzuführen?
Olschowski: Ich weiß nicht, ob das gut und nötig ist. Die Frage nach kultureller Aneignung hat ja mit Machtstrukturen zu tun. Also muss man fragen, nützen die Tänzerinnen ihre Überheblichkeit aus, um sich eine andere Kultur anzueignen oder nicht. Da ich glaube, man versteht etwas, das einem fremd ist, manchmal besser, in dem man sich ganz in es hineinversetzt - und da ich glaube, Kunst lebt oft genau von diesem Verwandlungsprozess auf Zeit - stehe ich solchen Prozessen zunächst offen gegenüber. Auf einer Bühne, vor einer Kamera, vor einem Blatt Papier findet in der Fantasie doch immer eine Verwandlung statt. Und das kann Empathie zum Beispiel ermöglichen. Aber auch das Gegenteil: Abwertung. Ich habe in meiner Jugend auch Flamenco-Tanz ausprobiert, weil ich dachte, ich verstehe das besser, wenn ich es mal selbst mache, habe dann aber schnell gemerkt, es passt nicht zu mir, hat mir mit nichts zu tun. Dann habe ich aufgehört. Schwierig wird es an dem Punkt, an dem ein Machtgefälle da ist, wenn sich eine stärkere Gruppe auf Kosten einer weniger starken etwas aneignet und diese damit abwertet, ihr die eigene Stimme, die eigene Perspektive nimmt. Und so was passiert leider immer noch sehr oft.
Die Frage ist: Lässt man es bleiben aus Angst, jemand könnte sich aufregen, oder macht man mal und schaut dann, was passiert?
Olschowski: Noch davor würde ich fragen: Warum mache ich das? Mache ich es aus reiner Unterhaltung oder übernehme ich etwas, um es zu kontrollieren? Und wenn ich dann jemanden kränke, dann muss ich mich damit auseinandersetzen, in den Dialog gehen. Selbstkritisch. Wenn ich mich also als Japanerin verkleide, kann ich ja mal mit dem japanischen Kulturverein reden und fragen, wie die das finden? Das größte Problem besteht vor allem dort, wo Kulturen in einem ausbeuterischen Verhältnis zueinander stehen.
Ich habe neulich „Anatevka“ gesehen. Da haben Sänger und Theatermenschen Jüdinnen und Juden gespielt. Wo ist der Unterschied zum Black-Facing, was heute ja unmittelbar zur Cancel Culture führt?
Olschowski: Das muss man sich genau anschauen. Es ist eine sehr schwierige Frage. Ich versuche es mal so: Für eine Religion entscheide ich mich. Man sieht sie mir nicht an. Bei der Hautfarbe ist das nicht so. Sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Geschlecht und Religion - das ist ja nicht alles das Gleiche, das ist jeweils etwas Anderes. Eine Frage kann sein: Wird man aufgrund seines Äußeren diskriminiert? Oder aufgrund eines Glaubens oder einer Art zu leben? Das kann Konsequenzen haben, wie ich eine Rolle besetze. Wie gesagt: die Verwandlung in der Bühnenkunst ist ein zentrales Moment auch des Verstehens. Aber es gibt Grenzen, die wir miteinander aushandeln - um am Ende geht es auch darum, sensibel mit den Gefühlen von benachteiligten Gruppen umzugehen. Und manches muss man einfach nicht mehr machen.
Ist es für Sie unangenehm, sich jetzt zu solch heiklen oder komplizierten Fragen öffentlich zu äußern?
Olschowski: Wenn man ernsthaft darauf antworten will und differenziert, dann ist es schwierig. Eine meiner schwierigsten Erfahrungen der letzten Monate war die Absage des Europäischen Dramatiker:innenpreises an Caryl Churchill wegen Antisemitismus-Vorwürfen. Freitagabend kommt die Nachricht. Montagmorgen kommt die Jury zusammen und muss entscheiden. Dieses Wochenende war für mich so intensiv mit der Frage nach der Freiheit der Kunst und der Reichweite politischer Provokation besetzt. Mir ist es nicht unangenehm, darüber zu reden. Unangenehm ist zu spüren, dass man sich in manchen Fragen eigentlich eine absolute Klarheit wünscht. Und so klar ist es eben nicht. Für mich ist die Freiheit der Kunst immer das höchste Gut. Und ich merke immer mehr, dass Freiheit nicht losgelöst von anderen gesellschaftlichen Fragen gesehen werden kann.
Letzte Frage: Sie sind ja Lebenspartnerin von Wolfgang Schorlau. Er hat einige Bücher geschrieben, in denen auch Landesregierungen nicht gut weg kommen. Das geht bis hin zu Verschwörungstheorien die Landeskriminalämter, den BND und die Regierungsbeamten betreffend. Können Sie ihm nach vielen Jahren im Amt am Frühstückstisch sagen: Ja, das stimmt, du hast Recht! Oder sagen Sie: Alles falsch, wir sind alle ganz sauber?
Olschowski: (lacht laut) Wer ist schon ganz „sauber“? Aber für seine Bücher ist „Verschwörungstheorie“ das falsche Wort. Wir haben einen guten und intensiven Austausch über das Schreiben und auch über die Politik. Ob das die Produktion seiner Bücher verändert, müssten Sie ihn fragen. Wenn er aber das Gefühl haben sollte, dass ihm meine Arbeit zu nahe kommt und seine Fantasie einschränkt, müsste er etwas dagegen tun. Momentan ist das aber nicht der Fall - glaube ich. Ich lese ja teilweise immer noch Korrektur und muss das dann auch aushalten, was da steht. Insofern werde ich darauf achten, dass die Wissenschaft erstmal nicht vorkommt (lacht).
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