Rhein-Neckar. Mensch und Natur, ein zunehmend prekäres Verhältnis. Mitten im Raum breitet ein ölverklebter Pelikan die Schwingen aus. Auf einer Wandfahne über die Ziele des Internet steht „…The only thing that matters are the labour the technology the people…. money money money…”, hinter einem schwarzen Vorhang dringen Stimmen hervor, irgendwo sieht man das Foto einer leuchtenden Maus und gegenüber einen ausgeglichen dreinblickenden jungen Mann mit gebogenem Kabel auf dem Kopf: Neil Harbisson sei, heißt es, stolz darauf, der erste Mensch mit Kopfprothese auf dem Passfoto zu sein, denn er ist farbenblind und fühlt sich mit seiner Neuro-Verbesserung als Cyborg.
Diese Dinge und noch viel mehr kann man im Wilhelm-Hack-Museum bewundern, die Fußreise eines Polen von Wales in seine Heimat sowie Ansichten afrikanischer und iranischer Lebensumstände im Ludwigshafener Kunstverein und schließlich Umweltzerstörung in Portugal, Indien und Nepal im Mannheimer Museum Weltkulturen. Wie passt das alles zusammen und was machen wir damit als Betrachter – denn einfach nur ansehen ist wohl nicht genug.
Alle Infos zur Fotobiennale auf einen Blick
Die Fotobiennale hat das Thema „From Where I Stand“ (etwa: aus meiner Perspektive). Kuratorin Iris Sikking präsentiert Foto- und Videoarbeiten von rund 40 Künstlern an folgenden Orten:
- Hauptbahnhof Mannheim, Fotoinstallation „Tools for Conviviality“ von Anna Ehrenstein und Iris Sikking
- Heidelberger Kunstverein, „Changing Ecosystem“
- Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, „Shaping Data“
- Ludwigshafener Kunstverein, „Bodies in eMotion“
- Port 25, Mannheim, „Collective Minds“
- Museum Weltkulturen, „Narratives of Resistance“
- Kunsthalle Mannheim, “Contested Landscapes”
Die Biennale dauert bis 22. Mai, Basis-Öffnungszeiten sind Di bis So 11-18 Uhr, außer in der Kunsthalle Mannheim besteht das Prinzip „Pay What You Want“ (zahlen Sie, was Sie möchten). Eintritt Kunsthalle: 12 Euro. Der Katalog im Verlag Fw:Books kostet 16 Euro (108 S, zahlreiche Abb., Texte Deutsch, Englisch).
Ein umfangreiches Begleitprogramm, das Fotokurse, Workshops und Führungen enthält, ist abrufbar unter biennalefotografie.de.
Umweltzerstörung und der Kampf indigener Völker um Lebensraum und Selbstbestimmung – Biennale-Kuratorin Iris Sikking breitet an sechs Standorten (denen sich weitere anschließen) und mit rund 40 internationalen Künstlern ein ebenso bedrängendes wie in seiner Breite kaum noch einzugrenzendes Thema aus. Angesichts der Fülle von Bildern kommt es einem so vor, als hätte man ähnliche Szenen in Crowdfunding-Broschüren von Umweltschutz- und Menschenrechts-Organisationen schon gesehen und stellt sich irgendwann beim Rundgang zwei Fragen: Einmal –kommt das Themenprojekt dieser Biennale zehn Jahre zu spät, wäre damals der richtige Zeitpunkt gewesen, um Betrachter aufzurütteln? Und zum andern – kann man mit Bildern heute überhaupt noch jemand aufrütteln angesichts ihrer globalen Verfügbarkeit im öffentlichen Raum und in den sozialen Medien? (Manche von normalen Usern gepostete Bilder bei Twitter sind nachdrücklicher als manches, was in der Biennale, freilich in anderem Format, zu sehen ist.)
Der Pelikan im Hack-Museum, ein Werk des Niederländers Thomas Kuijpers, erinnert an die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexico 2010 und stellt die Nachschöpfung eines weltweit bekannten Fotos dar. Wie es zum Thema passt, dass der in Deutschland lebende Ägypter Heba Y. Amin hinter dem schwarzen Vorhang ein (sehr eindrückliches) Labyrinth mit Monitor-Aufzeichnungen zur ägyptischen Revolution 2011 gegen Präsident Mubarak installierte – es ist nicht ganz einzusehen, obwohl die Angst, Verzweiflung und Einsamkeit der aufbegehrenden Menschen einen tief bewegt. Dass ebenfalls im Hack-Museum der von cleveren Chirurgen befeuerte Schönheits- und Optimierungswahn vorgeführt wird – es weckt natürlich Fragen, wie wir mit dem eigenen Körper umgehen und warum wir auf höchst destruktive Weise die Natur verändern müssen? Warum muss man einer Maus die Lumineszenz-Gene einer Qualle implantieren? Klar – weil wir es können. Aber Fragen von Moral wirft die Biennale nicht auf, die müssen wir uns schon selber stellen.
Wem müssten wir sie stellen angesichts eines Videos der Iranerin Mashid Mohadjerin über iranische Frauen, die im Außenraum als gehorsame Menge schwarzer Figuren auftreten, zum andern im Innenraum ekstatisch tanzend jedes Bewusstsein ihrer selbst aufgeben (Kunstverein Ludwigshafen)? An der Ratlosigkeit dreier junger (offenbar arabischer) Migranten können sich Europäer schon eine Mitschuld geben (Video des in Spanien lebenden Kolumbianers Felipe Romero Beltrán): Sie lesen vor der Kamera die endlosen Artikel des (spanischen) Einwanderungsgesetzes vor, und es ist klar, dass sie damit jede Form der Selbstverfügbarkeit verlieren.
Wie lässt sich das Thema der Biennale definieren? Was haben politische Misere und die Zerstörung unseres Planeten miteinander gemeinsam? In einem weit gefassten Rahmen, der einem freilich erst allmählich bewusst wird, besteht die Tatsache, dass die aggressive technische Zivilisation für beides verantwortlich und dass ihre eigene Selbstzerstörung immer schneller voranschreitet. Mit einem zögernden Bewusstsein zwischen Nostalgie und noch vorhandener Selbstgewissheit besinnen sich indigene Menschen weltweit auf ihr Potential. Von einem Gegenentwurf kann man noch gar nicht sprechen, aber die Inderin Poulomi Basu, 1983 in Kalkutta geboren, greift zumindest zur Kraft von Fantasie. Im Rahmen ihrer preisgekrönten Fotoserie „Centralia“ schuf sie zusammen mit dem Filmemacher Cj Clarke das Video „Ghost Dance“ (Museum Weltkulturen). Ausgehend von NASA-Aufnahmen der brodelnden Sonne entsteht das Szenario einer gigantischen Umweltzerstörung im Inneren des indischen Kontinents und des Widerstands der indigenen Bevölkerung gegen multinationale Konzerne. Es ist in einem aus Fakten und Science Fiction gewebten Geschehen vor allem ein Kampf der Frauen. Vielleicht sind sie es ja, die noch eine humane Zukunft gestalten können.
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