Tanz - La Trottier Dance zeigt „Follow Lucky“ im Stromwerk

„Follow Lucky“ begeistert auf Nachtmarkt im Stromwerk

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Sisyphos oder steinerner Gast? Lorenzo Ponteprimo im Stromwerk. © Lys Y Seng

Mannheim. Gute Nachrichten! Gregor Samsa, Franz Kafkas trauriger Held seiner Erzählung „Die Verwandlung“, ist nicht tot. Er heißt jetzt Pascal Sangl und tanzt in Mannheim. Er räkelt – zur Wand gewandt – schamhaft die schwarzen Chitingliedmaßen oder wendet sich offen seinem Gegenüber zu. Wenn er Glück hat, tanzt es sogar mit. Im sensationellen Interims-Theaterraum des Neckarstädter Stromwerks begegnen Pascal Sangl und seinen acht tanzenden Kolleginnen und Kollegen Corona-konform neugierige Tanzfreunde, die im offenen Format durchaus bereit sind, mit den Künstlern zu interagieren. Anlass einer dieser langersehnten Begegnungen von Tanzenden und Publikum ist die Premiere von La Trottier Dance. „Follow lucky“ nennt Éric Trottier, einst unter Ballettchef Philippe Talard Compagnie-Mitglied am NTM und später Mitbegründer des Eintanzhauses, seine Tanzinstallation in Kooperation mit dem Theater Felina Areal.

Intensive Begegnungen schaffen

Die fraglos schwerste Aufgabe hat an diesem einstündigen Theatererlebnis Lorenzo Ponteprimo. Im massiven Neoprenanzug leistet er harte, wenn auch horizontale Sisyphos-Arbeit. Er ist eindrucksvoll mit Backsteinen und Klettergeschirr gegürtet und mit unentrinnbarer Schwere geschlagen. Den schleppenden Lorenzo umflattert in nahezu unerträglich kontrastierender Leichtigkeit ein Kanarienvögelchen in hellem Gelb. Lisa Bless heißt die Flatterhafte. Es braucht eine Weile beim Durchschreiten des Raumes, bis man die Zusammengehörigkeit der Grazilen mit dem Schweren herstellen kann.

In der Ecke, dem angestammten Platz des Boxers, sitzt Pascal Sani, Anfang 60, einst Kollege Trottiers in Maurice Béjarts legendärer Compagnie „ballet du XXe siècle“. Boxhandschuhe trägt der sehnige Mann an Händen und Füßen. Vom geschlagenen Helden zur meditativen Skulptur zum aggressiven Selbstschläger wandelt sich diese Tänzerpersönlichkeit höchst kunstvoll.

Elisabeth Kaul leuchtet grün und erzählt leise, aber bestimmt vom Verhältnis zu ihrer Mutter, während Katharina Wiedenhofer in Mikroplastikblau zur Skulptur aus bodendeckenenden Plastikbahnen wird. Zum Bonbon dreht sie sich ein, wird zum leuchtenden Globus, um hernach, vom Boden gelöst, am Versuch zu verzweifeln, die zur Kopffessel mutierte Skulptur loszuwerden.

Melanie Riester hat sich die sinnig-stimmigen Kostüme erdacht, die im Verbund mit Trottiers Zugriff und den Klangcollagen von Steffen Dix und Peter Hinz zum runden Abend werden. Luches Huddleston jr. agiert wie ein Harvard-Professor in Sinnkrise – inklusive Ausraster – und erzeugt akademisches Niveau à la Tom Fords „A Single Man“. Martina Martin und Georgia Begbie machen es wie die Sonnenuhr, zeigen die heiteren Stunden nur. In Diskokugelhelm und Karohemd sind sie die freundlichen Verheißungen in Trottiers Wiederbelebungsreigen.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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