Der neue Film

Film "The Fall Guy" mit Ryan Gosling und Emily Blunt ist Kinetik pur

Regisseur David Leitch gibt wieder ordentlich Gas - bei seinem neuem Film „The Fall Guy“, mit Ryan Gosling als Stuntman und Emily Blunt als Filmemacherin. Wie das funktioniert

Von 
Gebhard Hölzl
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Der mehrfach Oscar-nominierte Ryan Gosling ist in David Leitchs neuem Film „The Fall Guy“ als Stuntman Colt Seavers zu sehen. © Universal Pictures/dpa

Als die Bilder zum Ende des vorletzten Jahrhunderts laufen lernten, war die Idee, eine durchgängige Geschichte zu erzählen, noch nicht geboren. Die Erfindung war eine Jahrmarktattraktion, dem Zirkus und seinen „Sensationen“ verpflichtet. Lichtspielhäuser gab es noch nicht, Schausteller zogen mit ihren Projektoren von Ort zu Ort, zeigten kurze ungeschnittene Filme. Wie etwa die Brüder Lumière, die im Hinterzimmer eines Pariser Cafés „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“ (1895) oder „Babys Frühstück“ (1895) vorführten. Das neue Medium, nicht der Inhalt, war der eigentliche Clou.

Ryan Gosling

  • Als aufmüpfiger Jugendlicher, Außenseiter, Soziopath oder Herumtreiber wird Ryan Gosling gerne besetzt. 1996 gab er in „Frankenstein: Immer Ärger mit den Monstern“ sein Leinwanddebüt, als Skinhead in „The Believer“ (2001) machte er sich - mit dem Jury-Preis von Sundance bedacht - einen Namen.
  • Gosling, 1980 in London, Ontario, geboren, wuchs in einer Mormonenfamilie auf, sprach als 12-Jähriger für eine Rolle in Disneys „Mickey Mouse Club“ vor, wurde engagiert und spielte fortan neben Britney Spears und Justin Timberlake.
  • Dem breiten Publikum wurde der Schulabbrecher durch „The Notebook - Wie ein einziger Tag“ bekannt, sein leidenschaftlicher (Regen-)Kuss mit Rachel McAdams brachte dem zeitweise liierten Paar den MTV Movie Award für „Best Kiss“ ein.
  • Inzwischen hat sich der Teen-Schwarm als Charakterdarsteller etabliert, glänzte Oscar-nominiert als drogenabhängiger Lehrer in „Half Nelson“, als Jazzfan in „La La Land“ bzw. Ken in „Barbie“. Überzeugend agierte er als (Polit-)Strippenzieher in „The Ides of March - Tage des Verrats“, als Fluchtfahrzeugfahrer in „Drive" oder Nachwuchsmusiker in „Song to Song“.
  • Ryan Thomas Gosling, Schulspitzname „Trouble“ (= „Ärger“), Gitarrist und Pianist mit eigener (Indie-)Band namens „Dead Man’s Bones“, betreibt mit Freunden in Beverly Hills das marokkanische Restaurant „Tagine“ und hat mit Kollegin Eva Mendes zwei Töchter (*2014/*2016). geh

Was sich in der Folge schnell änderte. Statt den Alltag zu dokumentieren, hielt die Fantasie in die Kinematographie Einzug. Der französische Filmpionier Georges Méliès unternahm 1902 „Die Reise zum Mond“, sein US-Kollege Edwin S. Porter setzte 1903 „Der große Eisenbahnraub“ in Szene. Als Geburtsstunde des Western wird der zwölfminütige Film bezeichnet - inklusive der berühmten Schlussszene, in der Justus D. Barnes als Anführer der Banditen seine Waffe direkt auf die Kamera richtet und somit ins Publikum schießt. „Überfall, Verfolgung, Showdown ...“, alles was einen Actionfilm ausmache, sei - laut Western-Experten Joe Hembus - im „ersten richtigen Film der Filmgeschichte“ da. Damit auch die Stuntleute, die für die Schauspieler in allen waghalsigen Szenen einspringen.

David Leitchs "The Fall Guy" mit Ryan Gosling ist eine Mischung aus Action, Komödie und Romanze

So einer ist Colt Seavers. Ältere Fernsehfans werden den Mann kennen. Von 1981 bis 1986 war er in Person von Lee Majors tätig, der auf Hollywood-Filmsets seinen Hals riskierte und im Nebenberuf als Kopfgeldjäger arbeitete. In fünf Staffeln, in 113 Folgen, war er hierzulande im ZDF unterwegs, „The Fall Guy“ hieß der TV-Dauerbrenner im Original. Wie nun die sehr freie Leinwandvariante von David Leitch („Bullet Train“) - nach dem Drehbuch von Drew Pearce („Fast & Furious: Hobbs & Shaw“) und Glen A. Larson („Magnum“) -, der den seit „Drive“ Stunt- und Bleifußerfahrenen Ryan Gosling in der Titelrolle besetzt hat.

Ein gefragter Spezialist ist er, wie er gleich zu Beginn erzählt. Man sprengt ihn in die Luft, schießt auf ihn, setzt ihn in Brand, wirft ihn aus großer Höhe aus dem Fenster, lässt ihn für waghalsige Verfolgungsjagden hinterm Steuer Platz nehmen. Lässig, nonchalant erläutert er seinen Beruf. Dann hakt er sich in sein Sicherungsgeschirr ein und lässt sich rückwärts in die Tiefe fallen. Kein „super!“ Kein „danke schön, nächste Szene“, diesmal. Der Stunt ist schiefgegangen. Mit ein paar gebrochenen Wirbeln landet er im Krankenhaus.

Rund ein Jahr später ist er wieder auf den Beinen. Der Traumfabrik hat er den Rücken gekehrt. Stattdessen parkt er für die Gäste eines Restaurants deren Autos ein. Nicht unbedingt ein Traumjob - dafür aber ungefährlich. Das ändert sich, als er einen Anruf von Gail Meyer (Hannah Waddingham) erhält. Die Erfolgsproduzentin bittet ihn, wie früher die Actionsequenzen des eitlen Filmstars Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) zu übernehmen. Colt will nicht. Doch Meyer weiß ihn zu ködern. Mit Jody Moreno (Emily Blunt). Mit der Ex-Kameraassistentin war er liiert, als das Unglück geschah. Seitdem hat er sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Was ihn bedrückt. Jetzt bekommt er die Chance, sie wieder zu treffen. Bei ihrem Regiedebüt, dem Science-Fiction-Opus „Metalstorm“ - nomen est omen -, einer wild-verqueren Lovestory zwischen Mensch und Alien, die sie gerade in Australien dreht.

"The Fall Guy" von David Leitch ist eine Mischung aus Action und Komödie

Eine Mischung aus Action und Komödie, Romanze und Intrige. Kein Subtext, nur Oberfläche nebst einschlägigen Filmzitaten. Die Story ist dünn und vorhersehbar, die Dialoge sind mal witzig, mal albern. Was aber nicht von Bedeutung ist. Die Schauwerte zählen - und die sind vom Feinsten. Es kracht und scheppert nonstop. Menschen und Fahrzeuge fliegen durch die Luft, Reifen quietschen und qualmen, aus allen Lebenslagen wird geschossen. Ein Spektakel, der Frühzeit des Kinos verpflichtet. Die Gesetze der Schwerkraft scheinen außer Kraft gesetzt, Logiker in Sachen Handlung sind fehl am Platz. Popcorn-Unterhaltung, befeuert von einem Hit-Soundtrack mit Songs wie Taylor Swifts „All to Well“, Christina Aguileras „Genie in a Bottle“ oder - leitmotivisch zu hören - der Ohrwurm „I Was Made for Lovin’ You“ der Heavy-Metal-Band Kiss, den Blunt in einem hinreißenden Karaoke-Auftritt zum Besten gibt.

Emily Blunt und Ryan Gosling tragen mit ihren Leistungen den Blockbuster "The Fall Guy"

Sie und Gosling tragen diesen potenziellen Blockbuster, kabbeln sich, schmollen und fallen einander final freilich in den Armen. Taylor-Johnson („Kick-Ass“), der zwischendurch verschwindet und gefunden werden muss, gibt den ultimativen Unsympathen, Waddingham („Ted Lasso“) die fiese Strippenzieherin, die für Profit Menschenleben opfert. Kolportage feinsten Wassers. Gewollt. Makellos fällt das Werk in sämtlichen technischen Bereichen aus. Ein exakt durchdekliniertes, strahlendes High-End Produkt, angesiedelt vor toller Kulisse - das berühmte Opernhaus von Sydney inklusive. Vergnüglich gestaltet, wenn auch nicht besonders originell, ist der Abspann, bei dem im Splitscreen-Verfahren zu sehen ist, wie die zahllosen schwierigen Stunts realisiert wurden. Ein Blick hinter die Kulissen, eine Hommage an alle Kaskadeure, die für den Nervenkitzel sorgen - und wohl an Jean-Claude Van Damme, „The Muscles from Brussels“, den der Regisseur einst doubelte.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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