Theaterkritik

Festspiele Ludwigshafen starten mit einer Art „König der Löwen“ aus der Schul-Aula

Mit Akram Khans kurioser aber bejubelter „Dschungelbuch“-Show "Jungle Book reimagined" eröffnet Tilman Gersch sein hochkarätiges Festival

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Zumindest optisch bärenstark: Dschungel mit Tanzeinlagen. © Ambra Vernuccio

Die gute Nachricht: Theater sorgt immer wieder für Wunder! Beim Kritiker allerdings auch für Verwunderung. Selten ist ihm unwohler, als bei Abenden, nach denen feststeht, dass er gegen die Begeisterung jubelnder Zuschauer wird anschreiben müssen, sofern er seinen Kriterien und Einschätzungen treu bleiben will.

Die mittlerweile renommierten, weil hochrangigen Festspiele Ludwigshafen mit Rudyard Kiplings 1967 zum berühmtem Disney-Film gewordenen „Dschungelbuch“ zu eröffnen, ist mit Blick auf den jubelnden Saal wohl die richtige Entscheidung Tilman Gerschs gewesen. Aber was ist das? Will das Ballett, Showdance, Schauspiel oder Film sein? Nennen wir es, auch auf die Gefahr hin, dass sich Pina Bausch im Grabe rumdreht - und mit Einschränkung: „Tanztheater“.

„Jungle Book reimagined“, also neu vorgestellt oder auch neu bebildert, soll dieses Dschungelbuch sein. Das „Tanzstück“, so nennt es der Pfalzbau, ist ein Werk von Akram Khan, ein Brite mit bangladeschischen Wurzeln, der weltweit und mit großer Bandbreite mit Künstlern wie Steve Reich, Kylie Minogue oder Florence and the Machine zusammenarbeitet und nicht zuletzt einer der Choreographen war, die 2012 spektakulä die Olympischen Sommerspiele in London eröffneten.

Überlagert vom Disney-Film

Akram Khan hat als Kind in einer indischen Tourneeproduktion selbst den Mowgli gespielt, seine Beschäftigung mit Kiplings nicht unumstrittenen, weil kolonialistisch grundierten Buch währt somit lange. Er gibt vor, es neu zu erzählen - und anders als die ikonografische, aber ebenfalls stark vom Original abweichende Zeichentrickversion Walt Disneys. Das stimmt nur teilweise. Die fraglos glänzend getanzten Figuren des Bären Balu und des Panthers Baghira orientieren sich etwa eins zu eins an ihren Disney-Vorgängern. Kritisch und umweltbewusst will die Produktion programmheftgemäß auch sein, nun ja. Wenn es genügt (freilich in glänzenden Bildern), steigendes Wasser zu zeigen und zigmal Greta Thunbergs „How dare you!“ einzuspielen, dann ja.

Die Handlung schleppt sich in (nur teilweise übertitelten) Playback-Szenen überlang dahin, ergänzt untermalt und unterbrochen von fantastischer Schwarz-Weiß-Videokunst (YeastCulture).

Tanz spielt in diesem ästhetisch-poetischen Bilderbuch, man darf es durchaus auch kitschig nennen, eher eine untergeordnete Rolle. Synchron, aber ausschließlich in tänzerischen Einzelpositionen gehalten, bieten die überwiegenden Tutti-Auftritte des Ensembles wenig, das in Erinnerung bleibt - und Khans kantige Choreographiesprache der kleinen Gesten wenig Originelles und eher Gefälliges.

Dass das „Tanzstück“ gut ankommt, ist der Tatsache geschuldet, dass es eine rührende Geschichte voller emotional ausgespielter Szenen mit aufwendiger Videotechnik erzählt. Das ist natürlich in Ordnung, wirkt aber, Pardon, dennoch meist wie ein zur Tourneeproduktion gepimpter „König der Löwen“ aus der Schul-Aula.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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