Begegnung, Dialog, Inspiration: Die Konkordien-Kantorei um Leiterin Heike Kiefner-Jesatko geht neue Wege. Ein Sommerkonzert, das auf den ersten Blick mit völlig gegensätzlichen musikalischen Ausrichtungen antritt: Die Kantorei mit ernsten, aber leichtfüßig interpretierten A-cappella-Chorsätzen und das Tango-Jazzquartett Gozo mit federleichten Balladen rund um den argentinischen Tanz. Das sichtlich ergriffene Publikum erlebt ein Kirchenkonzert, das – jenseits aller verkopften Bibel-Exegese – den Weg alles Sterblichen musikalisch sinnstiftend zusammenführt.
Wie läuft der Brückenschlag? Über Virtuosität, raffinierte Intonation, feine Dynamik und viel Fingerspitzengefühl auf beiden Seiten. Dazu ein Konzept, das den Konzertablauf geschickt verschränkt und die beiden sich stetig abwechselnden Ensembles am Ende wie von selbst verbindet. „A capella“ singen, das kann die Kantorei unter Dirigentin Heike Kiefner-Jesatko. Geschulte Stimmen, hohe Aufmerksamkeit untereinander, immer dem Publikum zugewandt. Doppelchörig oder fünf- und sechsstimmig ein Großteil der ausgewählten Sätze, filigran und transparent vorgetragen.
Über den 100. Psalm von Heinrich Schütz und eine Motette von Johann Heinrich Schein geht es rasch in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Besonders bewegend: „Der Mensch lebt und besteht nur eine kleine Zeit“ von Max Reger, eins der bewegendsten Lieder der jüngeren Chorliteratur (1914). Als Klammer streut die Kantorei-Leiterin die drei Lied-Strophen des strahlenden säkularen „Sommarpsalm“ des Schweden Waldemar Ahlen ins Programm. Zunächst verwirrend, wie die geistlichen Chorsätze im Gegensatz zum Tango wie ein verschämtes Eingeständnis an die zurückhaltende europäische Musikkultur zu wirken scheinen.
Feinsinniger Sing-Stil
Nein, auch in unseren Breiten gibt es Ausbrüche aus der getragenen Gottergebenheit. Das feurige, agitierende „Sanctus“ des Schweizer Frank Martin etwa, aus seiner um 1925 komponierten Doppelchor-Messe. Die Konkordien-Kantorei meistert auch diesen anspruchsvollen Akt mit vielen Stimmteilungen vom Bass bis zum Sopran unangestrengt. Gelungen beschwingt auch das „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Dieser feinsinnige Sing-Stil schafft es, mit den lebenszugewandten Tango- und Milonga-Arrangements des Ensembles Gozo um den Mannheimer Arrangeur und Komponist Johannes Stange an der Trompete zu korrespondieren. Mit Norbert Kotzam (Bandoneon) und Bassist Tobias Schmitt bereitet er einen summend-wiegenden, rhythmisch sanften Klangraum für Sängerin Mercedes Dragovits. Die gebürtige Argentinierin bietet die manchmal wehmütigen Romanzen aus Buenos Aires mit warmer Stimme erfrischend und genussvoll dar. Die eingestreuten temperamentvolleren Milongas fachen das Tempo an. Trompeter Johannes Stange bringt den leidenschaftlichen Lateinamerika-Sound des Astor Piazzola ganz instrumentenuntypisch zum Fließen,
Zum Finale umarmen sich Chor und Ensemble effektvoll beim „Por una cabeza“. Zur frechen Tango-Hymne (Carlos Gardel) gestalten die 80 Stimmen im Scat-Stil den jazzigen Background. Mercedes Dragovits strahlt, die Musiker feiern mit dem Publikum langanhaltend das gelungene Experiment.
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