Heidelberg. Erst allmählich erkennt man die Köpfe, die sich vor dem Blau des Meers herausschälen. 13 sind es, um genau zu sein. 13 Menschen, die versuchen, auf einem Schlauchboot europäisches Festland zu erreichen. Drei Minuten war dieses Video lang, das Merle Kröger und Philip Schefner auf Youtube fanden. Für die Biennale für aktuelle Fotografie haben es die Filmemacher allerdings auf ganze 94 Minuten gedehnt.
"Wie behauptet sich Widerstand - mit Bildern und gegen sie?" fragt im siebenteiligen Ausstellungsreigen des Festivals eine Schau im Heidelberger Kunstverein. Und allein diese eine Arbeit zeigt, dass dabei die Menschen hinter der Kamera nur noch eine zweitrangige Rolle spielen. Die Frage ist vielmehr: Was tun diese Bilder mit uns, welche Reaktionen lösen sie aus?
Seit jeher sind Fotos eine Instanz ideologischer Kriegsführung. Sie sind Mittel der Propaganda, des Widerstands und der Kontrolle, quasi Gift und Heilmittel zugleich. Da liegt es nahe, dass Kurator Boaz Levin Demonstrationsfotos aus Zeitungen auf riesigen Tableaus von Willem de Rooij zeigt oder Politikerbilder wie Shepard Faireys Konterfei von Barack Obama, das sich im Internet immer weiter veränderte.
Umso ungewöhnlicher ist da allerdings auch dieser Film, den Kröger/Schefner gar nicht selbst machten, sondern fanden: Ausgehend von den Handybildern von einem Kreuzfahrtschiff hatten sie monatelang eigenes Material über Flüchtlinge recherchiert. Und dann vor der Flut an immer gleichen Aufnahmen ohne aufrüttelnde Wirkung kapituliert. Das interessanteste Exponat dieser Schau ist damit auch das sperrigste. Denn Levin reiht viele konzeptuelle Arbeiten aneinander, deren Kontext sich der Besucher mühsam mit Hilfe des Katalogs erarbeiten muss.
Grenzen der Darstellung
Wer seinen Biennale-Rundgang in Heidelberg startet, sollte in der Sammlung Prinzhorn beginnen: "Wer bist du? Das bist du!" heißt die Ausstellung hier und das Ausrufezeichen im Titel hat mehr als nur eine Symbolwirkung: Es ist eine Anspielung auf den Befehlston und das Gewaltpotenzial von (historischen) Bildern aus Akten psychisch Kranker, mit denen die Schau beginnt.
Kuratorin Christin Müller hinterfragt klug die Grenzen und Möglichkeiten von Porträts, die Ideologien, die sich mit ihnen verbinden, wie eine Serie von Jürgen Klauke zeigt, auf der er ein und dieselbe Person mit immer neuen Titeln von "Mörder" bis "Priester" versah. Es geht um das Spiel mit Stereotypen, für das sich die ohnehin dunkelhäutige Zanele Muholi schwarz schminkte. Oder um Zeitschriftenfotos von Männern und Frauen, die Marianne Wex in den 70ern nach ihrer Haltung der Arme, Beine und Köpfe sortierte.
Ihr Projekt "Weibliche und männliche Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse" brachte einst Ordnung in die bis dahin gefühlte Wahrheit von Rollenbildern - nicht zuletzt deshalb ist sie so verwirrend aktuell.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-faszinierendes-spiel-mit-der-wahrnehmung-_arid,1136613.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html