Vor seinem Tourstart in Heidelberg spricht Ex-Irie-Révoltés-Sänger Mal Élevé über seine von der Corona-Pandemie gebremste Solokarriere, den neuen Song „Positiv“, Pazifismus in Kriegszeiten, die Wahl in Frankreich und Antifaschismus.
Mal Élevé, heute ist ein wichtiger Tag für Sie: Nach drei vergeblichen Anläufen startet in der Halle02 Ihre erste Solo-Tournee und auf „Solidaridad“ erscheinen sieben neue Songs. Wie gingen Ihnen die in der Pandemie von der Hand?
Mal Élevé: Ich habe versucht, trotzdem weiterhin kreativ zu sein. Am Anfang funktionierte das nicht. Den Titel „Solidaridad“ habe ich gewählt, weil in der Pandemie noch mal klarer wurde, wie wichtig Solidarität ist – über alle Ländergrenzen hinweg. Leider wurde das manchmal vergessen. Zum Beispiel im Geflüchtetenlager Moria und bei tausend anderen Beispielen, wo Leute in Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse eingeteilt wurden. Das Gleiche passiert gerade aktuell mit den Menschen aus der Ukraine. Die Solidarität mit den Geflüchteten finde ich super, das hat mich richtig gerührt: So kann es aussehen!
Aber die Geflüchteten mit mitteleuropäischem Aussehen haben es deutlich leichter ...
Mal Élevé: Ja, total. Das ist wie eine komplette Ohrfeige für alle, die zuvor abgelehnt wurden und nicht erwünscht waren in Polen, Ungarn, Tschechien und auch Deutschland. Es darf nicht sein, dass es für manche Menschen Solidarität gibt und für andere nicht.
Das ist richtig. Dass Frauen und Kinder ein größeres Schutzbedürfnis erwecken als junge Männer, egal welcher Hautfarbe, ist aber nachvollziehbar, oder?
Mal Élevé: Das ist verständlich. Aber das wurde zu sehr als Ausrede besetzt. Im Mittelmeer ertrinken auch Frauen und Kinder. In Moria und an der belarussischen Grenze sitzen nicht nur Männer fest. Außerdem finde ich es erstaunlich, dass so gut wie gar nicht darüber diskutiert wird, dass ukrainische Männer das Land nicht verlassen dürfen. Stellen Sie sich das mal hierzulande vor.
Die Kriegsbilder verstören uns alle. Dazu kommt die Stimmung nach zwei Jahren Pandemie, die auch ihre gut gestartete Solokarriere ausgebremst hat. Ihre neue Musik ist vielleicht etwas härter, aber trotzdem weiter kämpferisch und positiv. Wie gelingt Ihnen das?
Mal Élevé: (lacht) Die neue Single, die zu Tourbeginn erscheint, heißt sogar „Positiv“! Sie beginnt quasi mit Ihrer Frage: „Manchmal frage ich mich: Wie bleibt man positiv? Wenn es viel zu oft keine Hoffnung gibt?“ Gerade die letzten Jahre waren richtig Hardcore, auch für uns in Europa. Für ganz viele auf der Welt ist es permanent so, die erleben ständig Krieg oder Katastrophen. Für mich ist da die Musik ein Segen.
Inwiefern?
Mal Élevé: Sie ist für mich ein Sprachrohr, womit ich versuche, Sachen zu vermitteln und zu verarbeiten. Also ein Ventil. Gleichzeitig ist Musik aber auch etwas, das mir Energie und Kraft gibt. Es gibt bei mir keinen Tag ohne Musik. Ich höre verschiedene Richtungen und Stimmungen, viel Musik, die positiv ist, um mich aufzubauen. Ich bin seit dem zwölften Lebensjahr bewusst politisch aktiv und habe Leute gesehen, die nach so einer langen Zeit enttäuscht und verbittert sind. So möchte ich nicht enden! Dann bewege ich nichts mehr. Das tut mir nicht gut, meiner Umgebung und der Sache nicht. Deshalb habe ich mir unbewusst über die Jahre Methoden gesucht, um positiv zu bleiben.
Nach zwei Jahren endlich auf Tournee: Start am 22. April in der Heidelberger Halle02
- Bis zu einem spektakulären Abschiedskonzert 2017 in der Mannheimer Maimarkthalle waren Pablo Charlemoine alias Mal Élevé (schlecht erzogen) und sein Bruder Carlos 17 Jahre lang Teil der neunköpfigen Heidelberger Band Irie Révoltés (fröhliche Revoluzzer).
- Seitdem hat der am 19. Mai 1983 in Leimen geborene deutschfranzösische Sänger, Rapper und Politaktivist eine Solokarriere begonnen.
- Sein im März 2020 als CD und LP veröffentlichtes Debüt „Résistance mondiale“ setzt die mehrsprachige Mischung aus antirassistischen Texten, Hip-Hop, Dancehall-Reggae und Ska seiner früheren Band fort. Trotz Pandemiebeginn erreichte der Wahl-Berliner Platz 15 der Albumcharts.
- Am 20. Mai erscheint die EP „Solidaridad“ mit der Auskopplung „Positiv“ und sechs weiteren neuen Songs, auf denen viele musikalischen Gäste mitwirken. Erhältlich ist das Kurzalbum auf CD schon beim Tourstart am Freitag, 22. April, 20 Uhr, in der Heidelberger Halle02. Es gibt noch Karten an der Abendkasse (22 Euro). Zum Einlass ist ein offizieller Antigen-Schnelltest nötig. Das Testcenter vor Ort ist bis 20 Uhr geöffnet.
Nach drei Tourabsagen: Haben Sie in der Pandemie mal überlegt, etwas anderes zu machen beruflich?
Mal Élevé: Ja, natürlich. Bei aller Positivität: Dass ich mit meinem ersten Soloalbum nicht auf Tour gehen konnte, war schon ein Desaster. Zumal es nicht so einfach war, an die Irie-Zeiten anzuknüpfen. Als das dann mit Platz 15 in den Charts gut anlief – Bäng, kam die Pandemie. Es war ja völlig unklar, wann es wieder weitergeht. Aber ich habe nie ausschließlich Musik gemacht. Nebenbei gebe ich zum Beispiel Rap-Workshops an Schulen oder für politische Arbeit. Dann bin ich Thaibox-Trainer, da mache ich ganz viel mit Geflüchteten. Das ging in der Pandemie teilweise aber auch nicht mehr. Da war ich schon an dem Punkt, mir etwas Anderes zu überlegen. Was genau, wüsste ich auch nicht.
Wie schwierig ist der Neustart?
Mal Élevé: Sehr! Das ist den meisten gar nicht bewusst. Allein beim Touren: Es haben nicht nur viele Techniker den Job gewechselt und ihr Equipment verkauft. Auch Nightliner für den Tourtransfer sind Mangelware und entsprechend teurer geworden. Dazu die Benzinpreise.
Sie sind aktiver Antifaschist und Pazifist. Denken Sie seit Kriegsbeginn um? Man staunt, wer jetzt alles über schwere Waffen diskutiert.
Mal Élevé: Ja. Ich bin Pazifist und lehne Gewalt ab. Aber es gibt Situationen, in denen ist sie unumgänglich. Zum Beispiel wie in der Ukraine als komplette Selbstverteidigung. Ich unterstütze auch politische Kämpfe, wo gegen staatliche Gewalt mit anderer Gewalt agiert wird. Die finde ich notwendig. Was militärische Gewalt angeht: Da erstaunt mich das Ausmaß des Diskurswechsels, der da in Nullkommanichts stattgefunden hat. Da merke ich, dass da bei mir immer noch eine Abwehrhaltung da ist. Aber es kann auch nicht sein, dass die Ukraine kampflos aufgeben muss. Ich versuche, die pazifistische Position trotzdem beizubehalten. Man muss immer wieder fragen: Haben wir wirklich alle anderen Möglichkeiten schon ausgeschöpft? Und ich glaube: Nein! Deswegen stehe ich auf jeden Fall gegen diese 100 Milliarden Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist Nonsense.
Für Donald Trump und manche Konservative ist die Antifa linker Terrorismus. Gegen Faschismus zu arbeiten, sollte in der Demokratie aber eigentlich Staatsräson sein. Wo stehen Sie als Teil der Szene auf dieser extremen Skala?
Mal Élevé: Antifa ist ja keine Einheit. Und was Trump sagt, ist lächerlich. Aus Antifaschismus eine kriminelle, terroristische Gefahr zu machen, ist Verleumdung. Es gibt ja 1000 Antifa-Gruppen. Da geht es um Selbstorganisation bei Aufgaben, bei denen der Staat versagt. Zum Beispiel waren die Einzigen, die bei den Anschlägen auf Geflüchtetenheime in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda Gegendruck gemacht haben, Antifa-Gruppen. Da flogen vor 30 Jahren vor laufenden Kameras Molotow-Cocktails in Häuser, die Polizei schaute nur zu – und hat dann denen Stress gemacht, die dazwischen gegangen sind. Es geht aber auch um Recherchearbeit zum Beispiel über Waffenfunde bei Neonazis, das genaue Hinschauen nach den Anschlägen der NSU oder in Hanau und Aufklärung. Dank der Antifa gibt es nicht noch mehr sogenannte „national befreite Zonen“. Es geht darum, auf allen Ebenen einen Gegenpol zu bilden gegen die sehr laute rechtsradikale Minderheit mit krassem Gewaltpotenzial. Ich bin froh, dass die Antifa da am Start ist und im Notfall dagegenhält.
Ihr Vater ist Franzose, was sich in Ihren Texten auch wiederfindet. Was ist in Frankreich eigentlich los, wenn bei der Präsidentschaftswahl 30 Prozent extrem rechts und gut 22 Prozent sehr links wählen?
Mal Élevé: Bevor der Krieg begann, hätte man Marine Le Pen fast an erster Stelle erwartet. Dazu kommt Éric Zemmour. Und Präsident Macron ist für mich auch konservativ, zumindest so FDP-mäßig. Von radikal rechts bis bürgerlich konservativ sind es rund 60 Prozent – das ist schon heftig. Sarkozy hat dazu seinen Teil beigetragen, Le Pens Front National natürlich auch. Wie oft waren die schon in den Stichwahlen? Um Le Pen zu verhindern, wählt die Mehrheit dann jemanden, den sie eigentlich auch nicht wollen.
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