Diese verflixte Formel! Jeder hatte sie im Mathe-Unterricht, erfunden vor 2500 Jahren von den Griechen. Aber erst um 300 vor Christus brachte sie Euklid zu Papier. Der Goldene Schnitt teilt eine Strecke in einen längeren und kürzeren Teil, etwa zwei Drittel zu einem Drittel. Das Verhältnis der beiden Teile entspricht exakt dem Verhältnis zwischen ganzem Teil und längerem Teil. Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach.
Die besten Beispiele gibt die Natur. Die Blätter von Bergulme und Feigenbaum sind nach dem Goldenen Schnitt geteilt. Und Akelei oder Heckenrose haben fünf Blüten, die ebenfalls im Goldenen Schnitt zueinander stehen, so dass sie genug Licht erhalten. Die Schale der Ananas wiederum hat Schuppen mit 8, 13 oder 21 Spiralen, wie die Fibonacci-Reihe. Auch die Blüten von Gänseblümchen und Margeriten ergeben Fibonacci-Zahlen.
Basis für berühmte Kunstwerke
Der Mathematiker Fibonacci entdeckte im Mittelalter ein Zahlenverhältnis, das sich dem Goldenen Schnitt rechnerisch annähert. So ähnelt das Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen dem Verhältnis des Goldenen Schnittes. Auch Künstler wie Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Raffael und Michelangelo sollen sich der Formel bedient haben. Sie wurde nämlich erst in der Renaissance wiederentdeckt.
So findet sich die Proportion oft bei berühmten Kunstwerken, bei Leonardos geheimnisvoll lächelnder "Mona Lisa" von 1503-06 und bei Dürers "Selbstbildnis im Pelzrock" von 1500. Und in Leonardos Wandbild "Das letzte Abendmahl" von 1494-98 sind sowohl die Anordnung der Figuren als auch die Maße der Tafel durch Goldene Rechtecke definiert.
Wer freilich die Bilder auf ihre Kompositionslinien reduziert, riskiert den Verlust ihrer Aura und macht die schöne Kunst zum schnöden Produkt der Mathematik. Aber hängen Ästhetik und Mathematik tatsächlich zusammen? Natürlich sind Proportionen und Perspektiven wichtig. Doch bei keinem der erwähnten Künstler findet sich ein Bekenntnis zum Goldenen Schnitt, auch nicht bei Dürer, der sich lange mit Proportionen beschäftigte. Vermutlich wurde die Formel eher intuitiv genutzt.
Ideale Proportionen
Sogar der Parthenon-Tempel auf der Athener Akropolis hat, aber nur in der Vorderfront, die Maße des Goldenen Schnittes. Da jedoch von der Akropolis und von vielen anderen Bauten keine Pläne überliefert sind, kann man füglich streiten über die bewusste oder unbewusste Nutzung der Formel. Kurzum: Wenn wir etwas als schön empfinden, findet sich oft der Goldene Schnitt. Die Formel garantiert eine gute Proportion und wurde im 19. Jahrhundert regelrecht populär, trotz wackliger Beweise.
Auch das Internet wimmelt von kuriosen Beispielen, bis hin zum Schönheitsraster im Gesicht von Marilyn Monroe. Vor allem die Variante der Goldenen Spirale taucht oft auf - immerhin hat sie frappante Ähnlichkeiten mit dem Nautilus-Kopffüßler und den Spiralen der Galaxien. So ist die Bedeutung der Formel mehr denn je umstritten, aus gutem Grund.
Nicht zu unterschätzen ist etwa der Einfluss der genormten Dinge, von der Scheckkarte über das DIN-A4-Format bis zum Fernseher. Unsere Sehgewohnheiten sind also einem steten Wandel unterworfen. Und in anderen Kulturen sieht man mit anderen Augen, in Japan etwa mit dem Tatami-Maß, einer Reismatte im Format ein mal zwei Meter, die auch zur Berechnung von Räumen dient. Das Schönheitsideal des Goldenen Schnittes ist folglich kulturell antrainiert.
Mit der Formel gehen renommierte Gestalter sehr locker um, etwa Erik Spiekermann: "Diese und andere Zahlenkabbalistik machen mir Spaß, helfen bei der Arbeit und überzeugen meist die Auftraggeber, weil gegen Goldene Regeln niemand etwas einwenden mag ... Damit diese Kabbalistik auch praktisch ist und in vorgegebene Formate passt, kann man ein wenig runden und von der reinen Lehre abweichen. Ein guter Ausgangspunkt ist der Goldene Schnitt allemal."
Folglich ist er keineswegs das Maß aller ästhetischen Dinge und diente auch dem berühmten Architekten Le Corbusier ab 1947 nur zur Orientierung. In der Natur überwiegt ohnehin die Symmetrie, das Gleichmaß von zwei Hälften. So verrät die populäre Formel viel über die menschliche Sehnsucht nach einer harmonischen Regel.
Schau zum Goldenen Schnitt
- Der Goldene Schnitt ist eine mathematische Formel, die lange auch als universelle Formel für Schönheit gilt. Doch stimmt das noch heute? Welche Künstler nutzen sie? Und gilt sie in allen Kulturen?
- Derlei Fragen beantwortet das Frankfurter Museum für Kommunikation jetzt in einer Ausstellung. In einer Art Zeitreise erklärt und bebildert es anschaulich den Goldenen Schnitt. "Göttlich. Golden. Genial", so der Titel der Schau, umfasst 250 Objekte aus Natur, Architektur, Kunst, Design und Musik.
- Die Ausstellung im Museum für Kommunikation, Frankfurt, Schaumainkai 53, ist bis zum 23. Juli zu sehen: Di- Fr 9-18, Sa/So 11-19 Uhr. Katalog: 19.90 Euro. Telefon: 069/60 600. Internet: www.mfk-frankfurt.de
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