Auf den ersten Blick ist der Fotoband "America" von Horst Hamann so richtig schön nostalgisch: Mit seinem hellbeigen Leineneinband mit Golddruck auf dem Buchrücken und einem wie aufgeklebt wirkenden Amerikafoto auf dem Titel erinnert das Buch an einen großformatigen Prachtband aus den 1940er oder 50er Jahren. Eine Gattung, die man zwecks Bildung gerne zur Konfirmation verschenkte und die dann ewig im Bücherregal vor sich hin stauben durfte. Aber vielleicht ist dieses Déjá-vu auch Konzept, denn auch der Inhalt des Buches erinnert an eine große Vergangenheit: Amerika. Ein Land der verblassten Träume von der großen Freiheit, die irgendwo hinter dem Horizont beginnen soll und die man ganz bequem mit dem Auto erreichen kann. In einem amerikanischen Auto, versteht sich.
Der 1958 in Mannheim geborene Fotograf Horst Hamann beschwört diese Träume in faszinierenden Bildern, die den passionierten Amerika-Freak und unverbesserlichen "sentimental fool" verraten. Panoramafotografien zeigen Leidenschaft für das Land, seine Weite und Schönheit in den Küsten- und Gebirgsregionen, sein Faible für den rosaroten "American Way of Life" und den Respekt vor vielen Menschen dieser Nation, die sich zwangsläufig in ihrer Nische zwischen Anspruch und Wirklichkeit eingerichtet haben.
Der Traum vom kleinen Glück ist in den Bildern allgegenwärtig: Er lebt in den Holzbuden mit dem rostigen Cadillac davor und dem Zivilisationsmüll dahinter, er existiert in den Schaufenstern mit der armseligen Ballkleid-Dekoration und natürlich lächelt er in jedem Fast-Food-Restaurant mit Resopal beschichtetem Ekel-Design. Es ist ein ambivalentes Glücksgefühl: Der flüchtige Zauber unendlicher Möglichkeiten wohnt darin und zugleich die Ernüchterung des schönen Scheins und das Vorgefühl des Scheiterns.
Metaphern des Verfalls
Horst Hamann zeigt dieses Scheitern in farbbrillanten Metaphern des Verfalls wie zum Beispiel an morbiden Haus-Ruinen oder an der nicht zu überbietenden Motel-Tristesse im Nirgendwo von Amerika. Eine seltsam versteinerte Ruhe scheint auf diesen" Nicht-Orten" der Verlassenheit zu liegen, in denen - ähnlich wie in den Bildern des großen amerikanischen Realisten Edward Hopper - die Zeit still zu stehen scheint. Roger Willemsen, der das etwas kryptische Essay in Hamanns "America"-Opus verfasst hat, vergleicht diese Impressionen mit dem Blick des Flaneurs: Flüchtig und zufällig, immer ganz mit dem poetisch gestimmten Herzen dabei. Und immer mit dem Auto unterwegs: "Dream and Drive" irgendwo auf der "Route 66" und selbstverständlich "air conditioned".
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