Film

Eine David-gegen-Goliath-Mär mit sympathischer Besetzung

Eine David-gegen-Goliath-Mär mit sympathischer Besetzung: Michael Bully Herbig setzt sich in dem Kinofilm „Tausend Zeilen“ mit dem Journalisten Claas-Hendrik Relotius auseinander, der gefälschte Reportagen verkauft hat

Von 
Gebhard Hölzl
Lesedauer: 
Elyas M’Barek als Romero und in einer Szene von „Tausend Zeilen“. Der Film läuft ab 29. September in den Kinos. © Warner Bros./dpa

Er ist der unangefochtene Star der deutschen Komödie: Michael Bully Herbig, der seit dem Jahr 2008 selbstbewusst auf die Anführungszeichen bei seinem Spitznamen verzichtet. Zum Markenzeichenzeichen ist „Bully“ geworden, als Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor, Synchronsprecher und Produzent ist er höchst erfolgreich tätig. Mit „Der Schuh des Manitu“, „(T)Raumschiff Surprise - Periode 1“ und „Wickie und die starken Männer“ hat er Millionenhits gelandet. Gute Kritiken gab es auch für Herbigs ersten Versuch, sich zudem als „ernsthafter“ Künstler zu beweisen. „Ballon“ ist eine auf wahren Begebenheiten basierende Fluchtgeschichte, in der es zwei ostdeutschen Familien gelingt, mit Hilfe eines Heißluftballons in die Bundesrepublik zu flüchten.

Ebenfalls auf tatsächlichen Ereignissen fußt „Tausend Zeilen“ nach dem Skript von Hermann Florin, inspiriert von Juan Morenos Buch „Tausend Zeilen Lüge“. Der Bestseller kreist um die Machenschaften von Claas-Hendrik Relotius, vielfach ausgezeichnete „Edelfeder“ des Nachrichtenmagazins Spiegel. Bis 2018 bekannt wurde, dass er große Teile seiner Interviews und Reportagen frei erfunden hatte. Ein handfester Medienskandal war die Folge.

Elias M’Barek

Er ist Markenbotschafter von Sky Österreich und des Sportartikelherstellers Asics, Posterboy und Traum aller Schwiegermütter: Elyas M’Barek, 1982 in München als Sohn einer Österreicherin und eines Tunesiers geboren, bekannt geworden als „Cem“ Öztürk der ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“.

Mit der Pennälerklamotte Fack Ju Göhte gelang ihm 2013 der Durchbruch. In Hits wie „Der Medicus“ oder „Nightlife“ war er zu sehen, einen Bambi hat er gewonnen, zweimal die österreichische Romy und sogar die „Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem Vereinten Europa wurde ihm verliehen.

M’Barek betrieb von 2015 bis 2018 mit zwei Partnern in München eine Bar. Jüngst heiratete er seine Freundin Jessica. geh

Lars Bogenius (Jonas Nay) heißt der Journalist wenig verklausuliert bei Herbig, der anmerkt: „Ähnlichkeiten mit unwahren Ereignissen könnten zufällig zutreffen. Die Fakten werden aber mit Sicherheit verdreht, damit’s am Ende stimmt!“ Sein Reporter wird in der Chefetage des hier Chronik genannten Wochenblattes gleichermaßen gefeiert wie hofiert. Er ist der Stolz des Verlags, seine emotionalen, vermeintlich penibel recherchierten Artikel treiben die Auflagenzahlen in neue Höhen.

Aufklärung gegen Widerstände

Doch der Schein trügt. Der aalglatte, unnahbare Bogenius ist ein Betrüger. Sein Kollege Romero (Elyas M’Barek), der ihm gerade eine brisante Story abtreten musste, kommt ihm auf die Spur. Er stößt auf Ungereimtheiten in dessen Texten, beginnt mit seinem Fotografen (Michael Ostrowski) die Fakten abzuchecken. Gegen alle Widerstände - und setzt damit seine Karriere und sogar seine Familie aufs Spiel.

Mehr zum Thema

Feuerwehr

Michael Berger posthum zum Ehrenkommandanten ernannt

Veröffentlicht
Von
je
Mehr erfahren

Eine David-gegen-Goliath-Mär. Blitzsauber, mit viel Stilwillen umgesetzt und innovativ montiert, ist die Inszenierung, tadelsfrei das Produktionsdesign, gut ausgesucht die Besetzung. Das Problem liegt im Umstand, dass man nichts Neues erfährt. Eine biedere Nacherzählung. Die zentrale Frage, warum Bogenius/Relotius - wie weiland Tom Kummer, der in den 1990ern seine Interviews mit Hollywood-Größen frei erfand -, sicher ein brillanter, intelligenter und begabter Schreiber, zum Fälscher wurde, bleibt unbeantwortet. Mit regungsloser Mimik blickt Nay als sein Wiedergänger robotergleich in die Kamera, sitzt am Pool von Nobel-Hotels und dichtet. Er bleibt ein Phantom - wie die krebskranke Schwester, um die er sich vorgibt zu kümmern. Viel nahbarer ist Publikumsliebling M’Barek („Der Fall Collini“), der als wackerer, unbeirrbarer Held der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft.

Als Sympathieträger funktioniert er einmal mehr. Ein perfekter, wenn auch häufig abwesender Ehemann ist er. Seine vier Töchter lieben ihn, die chaotische Altbauwohnung die die Familie bewohnt, mutet wie eine „Trautes Heim, Glück allein“-Oase an.

Souveräner Wohlfühlfilm

Für die darstellerischen Highlights sorgt Ostrowski („Die Känguru-Verschwörung“) als Romeros geplagter Sidekick, zu Karikaturen verkommen Michael Maertens und Jörg Hartmann, die als Ressortleiter beziehungsweise Vize-Chefredakteur bedingungslos als ihren Überjournalisten glauben, am Golfplatz von einem weiteren Schritt auf der Karriereleiter träumen und schon laut über die richtige Einrichtung fürs avisierte Eckbüro nachdenken.

Drama geht aber definitiv anders. Bald beschleicht einen das Gefühl, dass Michael Bully Herbig seinem eigenen Können nicht traut, sich einer wirklich kritischen Auseinandersetzung mit dem brisanten Thema verweigert. Andersherum gesagt: Erneut hat er sich eines leichten, populistischen Ansatzes bedient - mit einem gut funktionierendem Wohlfühlfilm als Ergebnis. Und das muss man erst mal so souverän hinbekommen.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen