Frankfurt. Weshalb besucht man ein Konzert, obwohl die Eintrittskarte ein Mehrfaches des entsprechenden Tonträgers kostet? Dass Liveauftritte berühmter Stars manchmal innerhalb kurzer Zeit ausverkauft sind, könnte damit zusammenhängen, dass die digitalisierte Popbranche ein menschliches Grundbedürfnis nicht erfüllt: das nach Gemeinsamkeit. Es ist eben ein Unterschied, ob man zuhause gestreamte Titel hört oder mit Tausenden Menschen ein Konzert erlebt, das so nur ein einziges Mal stattfinden wird.
Es passt einfach alles an diesem lauen Abend
Damit dieses Bedürfnis erfüllt wird, braucht es freilich Künstler, die den Kontakt mit den Zuhörern suchen, und das ist beim Konzert von Herbert Grönemeyer im Rahmen der Jazz Open Stuttgart in herzöffnender Weise der Fall.
Es passt einfach alles an diesem lauen Mittwochabend: die Regenwolken haben sich verzogen, die Bühne ist mit der neunköpfigen Band und einer Streichercrew der Stuttgarter Philharmoniker ebenso prall gefüllt wie der mit 7200 Besuchern ausverkaufte Ehrenhof des Neuen Schlosses. Dass es insgesamt ein magischer Abend wird, liegt aber an Grönemeyer.
Erst im Verlauf des Konzerts wird einem klar, mit wie viel ikonischen Liedern sich Grönemeyer im kollektiven deutschen Musikgedächtnis eingeschrieben hat. Mit dem Megahit „Männer“ natürlich, aber auch mit Songs wie „Flugzeuge im Bauch“ oder „Halt mich“ dürften viele Zuhörer einen Teil ihrer persönlichen Biografie verbinden, und dass einige dieser Lieder 40 Jahre alt sind – 1984 erschien das legendäre Album „Bochum“– mag man kaum glauben. Äußerlich mag sich Grönemeyer verändert haben, seine Stimme dagegen klingt noch fast genauso wie früher, die fanfarenartig herausgestoßenen Vokale, das Wortstaccato, das kehlige Timbre. Und auch sonst merkt man dem 68-Jährigen sein Alter nicht an. Der in Cargohose und einer Art schwarzen Gehrock Gekleidete tänzelt über die Bühne wie ein Derwisch, bei ruhigeren Stücken stellt er sich auch mal ans Piano, und überhaupt ist er mit einer Begeisterung bei der Sache, die nach kürzester Zeit überspringt.
In den Refrains von Hits wie „Mensch“ richtet er das Mikro ins Publikum, das vieltausendstimmig mitsingt. Die durchweg brillant besetzte Band – deren Mitglieder zum Großteil aus dem Rhein-Neckar-Raum stammen – liefert das Fundament, und bei einem Teil der Stücke füllen die ortsansässigen Philharmoniker die instrumentalen Leerstellen mit süffigem Streichersound.
Ab und zu erzählt Grönemeyer Anekdoten wie jene, als er als bis dato erfolgloser Barde Absagen zu hören bekam wie: „Den spielen wir nicht, den versteht ja keiner“.
Tröstende Worte in stürmischen Zeiten
Das hat sich geändert, und wie. Nach „Zeit, dass sich was dreht“ verlässt er die Bühne, doch Schluss ist damit noch lange nicht. Zwei Minisets mit je drei Songs gibt er zu, doch als das Publikum nach „Bleibt alles anders“ immer noch weiter jubelt, singt er solo am Klavier mit „Immerdar“ noch ein letztes musikalisches Goodbye: „Was immer Euch die Zeit zuweht/Steht zusammen bis der Wind sich legt/Seid einander ein sanftester Hort/Legt nach, liebt Euch Tag für Tag“. Tröstende Worte in stürmischen Zeiten.
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