Serie Popakademiker - Colin Hauer hat einst an der Popakademie studiert – jetzt hat er aber einen Kalender entworfen

Ein Blick zurück im Zorn und eine Suche nach der Hoffnung

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Herzzerreißend und doch wahr: Die Polkappen schmelzen während der Klimakatastrophe immer mehr, wodurch die Lebensräume der Eisbären vernichtet werden. © Colin Hauer

Vielleicht kommt hier ja eine allseits beliebte Weltfigur namens Donald Trump noch mal zu Ehren – post praesidialis gewissermaßen. Wie eine Pop-Ikone wirkt der US-Präsident hier. In Gelb-, Orange und Rottönen schimmert sein markantes Profil. Er schreit. Wie immer. Er wirkt angriffslustig. Wie immer. Und er spricht in einen schwarzen Hintergrund hinein. Ein Bild mit Ausdruck. Fast ein bisschen schmeichelhaft.

Fast, so denkt man, sieht es in seiner Stilistik mit den vielen kleinen Oberflächenverletzungen aus wie ein expressionistischer Linolschnitt. Alte Schule. Trump steht als eines der eminenten Negativereignisse des jetzt ablaufenden Jahres für den Februar. Da nämlich, am 5., hob der US-Senat das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn auf und sprach den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika von Schuld frei.

Wie im Horrorfilm

Es ist ein Kalender der Katastrophen, den der Popakademie-Absolvent Colin Hauer hier für das Jahr 2021 vorlegt. Das Buschfeuer von Australien. Die Corona-Toten. Die Ermordung von George Floyd. Die Explosion im Hafen von Beirut. Die sich zuspitzende Klimakatastrophe. Ein Eisbär am Rande einer Eisscholle. Ein deprimierender Blick zurück im Zorn. „2020 war wirklich für alle, die ich kenne, eine ganz besondere Prüfung. Fast jeden Tag gab es einen neuen Anlass, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. So kam mir der Einfall, stattdessen lieber etwas zu schaffen, was man an die Wand hängen kann.“ Das sagt Colin Hauer im Videogespräch mit dieser Redaktion. Normalerweise macht er keine Kalender. Normalerweise ist er Geschäftsführer der Hamburger Beratungsfirma Gould Finch, die laut eigenen Angaben mal Strategien entwickelt, mal Algorithmen.

Aus einer Art Selbsttherapie sei er im Oktober auf die Idee gekommen. Er habe im auftragsarmen Pandemiejahr seine noch verbleibende Energie zusammengenommen, um „doch noch etwas Produktives und Sinnvolles“ zu machen, um auch ein bisschen Optimismus zu verbreiten. Herausgekommen ist dieser schmucke Kalender „für alle, die ein besseres Jahr verdient haben“. Titel: „2021: Things can only get better“.

Es ist wie beim Horrorfilm: Der Blick fällt also auf das denkbar Negativste, damit man dann für sich selbst feststellt: Es kann nur noch, es wird besser werden. Der faltbare Kalender im Querformat enthält nicht nur zwölf der erwähnten sehr dekorativen Motive für „die monatlichen Tragödien des Jahres 2020“. Jedes Kalenderblatt wird zusätzlich von rund zehn bis 15 kleineren Erinnerungen begleitet, die Hauer augenzwinkernd „Fun Facts“ nennt und die an Dinge erinnern, die letztes Jahr noch so schiefgelaufen sind.

Richtig, es gibt also auch Tage, an denen nichts eingetragen ist. „Ich wollte noch ein bisschen Platz lassen für die persönlichen Ereignisse jedes und jeder Einzelnen“, sagt Hauer und meint damit nicht nur die eigenen Rückschläge aus dem vergangenen Jahr, sondern auch das, wofür wir alle Kalender nutzen: um vorausblickend Ereignisse einzutragen.

Höchst ästhetische Blätter

Eigentlich hat der Mann an der Popakademie studiert. Musikbusiness. Aber schon, als er sein Studium begonnen hatte, „befand sich die Musikindustrie durch Piraterie gerade auf einem historischen Tiefpunkt“, wie Hauer sagt: „Der einzige Lichtblick damals waren digitale Innovationen und neue Wege, Musik zu hören.“ Zuerst sei iTunes gekommen, später kamen Spotify & Co. hinzu. Von Beginn an hat er deshalb seine ganze Karriere am „digitalen Puls der Zeit“ organisiert, wie er es nennt. Und da er auch einen Master in „Creative Industries“ mit Schwerpunkt Verlagswesen gemacht hat, lernte Hauer die Verlagswelt kennen. In den vergangenen vier Jahren hat er „vor allem Unternehmen aus der Medienbranche in digitalen Fragestellungen beraten“.

Wenn man Hauer so zuhört, spürt man trotz eines gewissen Ernstes jene tiefe Hoffnung, die sein Kalender mit dem Katastrophenkontrast zu 2020 auch verbreiten will. Auch für ihn und seine Hamburger Firma Gould Finch war es kein leichtes Jahr. Kaum Aufträge. Allgemeine Depression. Dafür sind die zwölf Kalenderblätter höchst ästhetisch ausgefallen. Es ist, man kann es nicht anders sagen, eines schöner als das andere, was schon fast die Ironie an der Sache ist: eine Ästhetisierung der Katastrophe, wie sie auch beim Umgang mit 09/11 stark verbreitet war.

Dafür rufen die sechs kämpferisch emporgereckten Fäuste von Menschen unterschiedlicher Hautfarben im Mai unmissverständlich auf zum Kampf gegen Unrecht und Diskriminierung. „Die brutale Ermordung von George Floyd führt zu einem weltweiten Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus“, steht dabei. Vor solchen Hintergründen wirkt dann plötzlich auch der zum Popstar stilisierte Donald Trump wie ein Aufruf zum Ikonoklasmus, dem Trumps Konterfei als Erstes zum Opfer fallen würde. Things can only get better. Die Dinge können nur (und sollten) besser werden. Das hoffen wir zusammen mit Colin Hauer.

Info: Alle Bilder zum Ansehen: morgenweb.de/kultur

Spektakulärer Kalender

Katastrophen-Jahr in zwölf Bildern

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Colin Hauer und der Kalender „Things only can get better“



Der Macher: Colin Hauer (34) lebt in Hamburg. Er ist selbstständiger Digitalberater mit seiner Firma Gould Finch. Der Deutsch-Australier hat zuvor für Firmen wie Universal Music, Sony Music, Bastei Lübbe und Amazon gearbeitet. Beruflich und privat befasst er sich gerne mit neuen Technologien in der Medienbranche.

Mannheim: In der Quadratestadt hat Hauer gleich dreimal studiert. Nach Bachelor (Musikbusiness) und Master (Music & Creative Industries) an der Popakademie zog es ihn noch mal für einen berufsbegleitenden MBA an die Mannheim Business School. Er kehrt regelmäßig gern zurück, um Freunde zu besuchen oder Gastvorlesungen an seinen alten Hochschulen zu geben – und um den Appetit auf sein Lieblingsessen (Nudeltopf bei Supan‘s Imbiss) zu stillen.

Der Kalender: Ihn gibt es für 20 Euro hier: Kalender.gouldfinch.com

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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