Herr Nuhr, kennen Sie Wolfgang Petersens 25 Jahre alten Film „Outbreak“ mit Dustin Hoffman - und einem Killer-Virus als zentralem Thema?
Dieter Nuhr: Habe davon gehört, ihn aber nicht gesehen. Ich habe Katastrophenfilme nie gemocht. Ich werde ihn mir auch in den nächsten Wochen lieber nicht angucken. Man sollte das Gemüt nicht überfordern.
Fühlt sich das Leben nicht gerade an, wie der Anfang einer überspitzten Hollywood-Dystopie?
Nuhr: Das ist ja in Deutschland Dauerzustand. Hier ist man ja eigentlich immer der Meinung, dass die Welt untergeht. Bisher hielten wir Stickoxid oder fehlende Gendersternchen für die Vorboten des Jüngsten Gerichts. Wenn einem alles als Weltuntergang verkauft wird, wie soll man dann noch reagieren, wenn wirklich etwas Gravierendes passiert? Das ist wahrscheinlich der Grund, warum viele, auch ich, das Coronavirus anfangs unterschätzt haben.
Sie haben lange wahrscheinlich die am leisesten gesprochen Bühnen-programme der Welt gespielt. Und dabei oft einen erstaunlichen Spagat geschafft: Sehr unterhaltsam mit wissenschaftlichen Argumenten für Vernunft zu plädieren. Was würden Sie heute Abend Ihren Zuschauern sagen, wen Sie einen Auftritt im Fernsehen oder virtuell hätten?
Nuhr: Ich bin ja am Donnerstag wieder dran. Und natürlich plädiere ich weiterhin für Vernunft. Gerade in emotionaler Anspannung braucht man klares Denken. Viele sind überrascht, dass bei Corona weder Klangschalen noch Heilsteine oder Globuli gute Heilergebnisse erzielen. Es sind sicher auch schon die ersten Wunderheiler unterwegs, die uns die baldige Rettung durch Außerirdische versprechen. Da ist es sehr hilfreich, den Geist zusammen zu halten …
Wissen Sie schon, mit welchen Worten Sie Ihren nächsten Live-Auftritt eröffnen - irgendwann?
Nuhr: Nein, schon weil ich davon ausgehe, dass das noch ziemlich lange dauern wird. Ich mache mir, wenn es soweit ist, Gedanken, wie ich mein Publikum zurück im Leben begrüße. Wahrscheinlich ziemlich euphorisch.
Sie haben auch oft eindrücklich darauf hingewiesen, wie viele Angst- themen wir schon gut überstanden haben - von Atomkriegsgefahr und Waldsterben bis Rinderwahn und Vogelgrippe. Was kann Vernunft gegen Angst ausrichten, wenn wie jetzt ein greifbarer Grund zur Sorge besteht?
Nuhr: Vernunft ist gerade in Zeiten der Angst überlebenswichtig. Sie sorgt dafür, dass wir weder falschen Hoffnungsträgern noch Untergangspropheten hinterherlaufen. Das ist dann schon mal Grundbedingung für ein menschenwürdiges Überleben.
Finden Sie, dass die Politik rechtzeitig konsequent genug gehandelt hat?
Nuhr: Ein früheres Eingreifen wäre nicht verstanden worden, ein späteres wäre fahrlässig gewesen. Insofern sehen wir jetzt, was wir an unserer bürgerlichen Regierung haben. Woanders sind die populistischen Hanswürste an der Macht. Und da ist alles schlechter. Schreihälse helfen im Alltag den Wutgestörten, aber nicht beim Beseitigen realer Probleme. Es wird vielleicht eines der positiven Ergebnisse dieser Krise sein, dass die Leute begreifen, dass die politischen Großschwätzer in wirklichen Krisen keine Hilfe sind. Vielleicht wird Herr Höcke nun sein Projekt, ein neues 1000-jähriges Reich zu errichten, ad acta legen müssen und in der Versenkung verschwinden. Ich hoffe auch, dass einige naive Linke sich daran erinnern werden, dass mitten in dieser existenziellen Krise Autonome zum Plündern aufgerufen haben. Unfassbar, mit welchen Schwachmaten wir uns diesen Planeten teilen.
Sind Ausgangssperren nötig ?
Nuhr: Wenn die Leute sich halbwegs vernünftig verhalten, nicht. Ich habe den Eindruck, seit Ende der letzten Woche haben die meisten den Schuss gehört. Am Wochenende war es bei uns sehr ruhig draußen. Ich habe auch erst lernen müssen, warum es so wichtig ist, die Ansteckungskurve flach zu halten. Ich denke, die meisten haben es jetzt raus.
Plötzlich loben selbst die grünen Konservative wie Bundesgesundheits-minister Jens Spahn, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und die Kanzlerin. Ist das unheimlich - oder Kalkül für eine künftige Koalition? Oder schlicht angemessen und damit ein gutes Zeichen?
Nuhr: Ich denke, die Grünen halten sich gerade alle Optionen offen. Sie wären nach der nächsten Bundestagswahl am liebsten die führende Kraft einer rot-rot-grünen Koalition, und wenn es dafür nicht reicht, will man es sich auch mit den Konservativen nicht verderben.
Wobei der heimliche Bundeskanzler ja gerade Christian Drosten heißt. Dass Virologen zurzeit den Kurs vorzugeben scheinen - ist das für Sie alternativlos oder sollte die bürgerliche Freiheit wichtiger sein?
Nuhr: Bürgerliche Freiheiten sind relativ zweitrangig, wenn man keine Luft mehr kriegt. Freiheit ist also nur möglich, wenn rücksichtslose Idioten keine Corona-Partys feiern. Wenn das gesichert und alles vorbei ist, sollten wir der Politik genau auf die Finger gucken, ob sie die Freiheitseinschränkungen wieder zurücknimmt. Wenn nicht, ist Gegenwehr angesagt.
Sie werden seit geraumer Zeit gleich-zeitig als linker und rechter Hetzer beschimpft. Wie bleibt man dabei auf Dauer geistig gesund?
Nuhr: Von linken und von rechten Hetzern gleichzeitig als Hetzer beschimpft zu werden, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass man geistig gesund geblieben ist.
Manche Leute haben ja genau so eine Querfront im Kopf _ der Mannheimer Xavier Naidoo zum Beispiel. Sie wurden zuletzt mitunter auch missverstanden, wenn auch auf ganz anderem Niveau …
Nuhr: Da lege ich nun aber auch wirklich großen Wert drauf, dass die Beschimpfungen meiner Person andere Ursachen haben… Ich bin ja nicht mit wirren Verschwörungstheorien unterwegs. Wenn ich beschimpft werde, dient das meist dazu, mich als Andersdenkenden zu diskreditieren. Dann werde ich beliebig mit Attributen belegt. Ein Irrer hat mich mal als homophob beschimpft, Linke als Nazi oder neoliberal, Rechte als Volksverräter und Systemling. Für primitive Freund-Feind-Denker ist der Fall damit erledigt und man spart sich das Argumentieren. In weiten Teilen des Internets wird nur darüber nachgedacht, ob etwas rechts oder links, nicht aber, ob es richtig oder falsch ist. Das ist idiotisch. Aber für den einfachen Geist sehr bequem.
Wobei Sie ja einen Shitstorm mit hohen Werten auf der nach oben offenen Naidoo-Skala abbekommen haben, als Sie einen Witz über Greta Thunberg, die designierte Heilige des Klimaschutzes, gemacht haben. Ihr Kollege Torsten Sträter meinte dazu im Rosengarten, Sie würden Greta eigentlich sehr mögen, könnten das nur nicht so zeigen“ …
Nuhr: Ich habe eigentlich immer das Gleiche über Greta gesagt, nämlich dass ich gut finde, dass sie dem Thema angemessene Präsenz verschafft hat, dass ich die Lösungsansätze von Fridays for Future aber für recht naiv halte. Ambivalenz wird aber heute oft nicht mehr ertragen. Zwischen Vergötterung und Hass gibt es nicht mehr viel in der öffentlichen Diskussion. Die einen wollen alle, die Greta nicht huldigen, mundtot machen. Die anderen fahren extra große Wagen und drücken das Gaspedal durch. Beides zeugt nicht gerade von großem Geist.
Besonders ärgerlich ist, dass Leute wie Naidoo mit verantwortungslosem Geschwurbel die Kunst- und Meinungsfreiheit, die sie für sich in Anspruch nehmen, ein Stück weit selbst in Frage stellen. Da kann sich doch guten Gewissens niemand mehr wie der Aufklärer Voltaire schützend davor werfen - oder muss man es immer noch?
Nuhr: Die Gedanken sind frei. Dafür hat Voltaire gekämpft. Meines Wissens hat er aber nicht gesagt, dass es ein Grundrecht auf Sendezeit für Wirrköpfe gäbe. RTL hat sich von Naidoo getrennt. Wieso sie ihn überhaupt engagiert haben, obwohl seit langem bekannt war, was in seinem Kopf so herumgeistert, bleibt deren Geheimnis …
Auch die Trennung von „lyrischem Ich“ als Satiriker und der Meinung einer echten Person wie Dieter Nuhr verschwimmt zusehends - was noch vor zehn Jahren undenkbar war. Tatsächlich verbringen inzwischen Komiker von Chako Habekost bis Dave Chappelle i immer mehr Redezeit damit, zu erklären, dass sie auf der Bühne im Prinzip nur als Kunstfiguren fiktive Witze erzählen und keine politischen Programme oder weltanschaulichen Essays. Ist das noch umkehrbar?
Nuhr: Wo die Inquisitoren mehr werden, steigt leider auch der Bedarf, sich zu verteidigen, da macht man nix dran… Viele Leute wollen heute nicht nur Extremistisches, sondern faktisch alles verbieten, was ihnen ideologisch nicht ins Konzept passt. Da macht sich Blockwartmentalität breit. Es ist offenbar nicht mehr allgemein bekannt, dass man, wenn einem etwas nicht gefällt, auch einfach umschalten kann.
Dann haben wir aber wieder den hohlen Sexisten-Rap. Auch Kunstfiguren, über die Sie sich gern lustig machen … aber vermutlich auch nicht unwesentliche Motoren von Hatespeech.
Nuhr: Bei Rappern ist oft der einzige Inhalt, dass man besser ist als alle anderen und überhaupt der Geilste ist. Dann geht es um mittelalterliche Werte wie Ehre und Gefolgschaft. Die Werte von Raubrittern sind mit denen von Gangsterrappern praktisch identisch, nur dass die Poesie der Minne ein bisschen romantischer war als das Prahlen mit den geilen Bitches. Das kann man als normaler Mensch nicht wirklich ernst nehmen.
Vieles von den angesprochenen Phänomenen steht ja stellvertretend für Filterblasen, die überhaupt nicht mehr miteinander kommunizieren können, geschweige denn konstruktiv streiten oder gar Debatten führen. Von Rechts-Links bis zu Fußball-Ultra-Propheten - wie kommt man als Gesellschaft wieder aus dieser Eskalationsspirale, wenn Leute das Gefühl haben, es braucht mal mindestens den „Hurensohn“ oder eine Morddrohung, um überhaupt beachtet zu werden?
Nuhr: Vielleicht ist die Pandemie jetzt mal insofern ein Schuss vor den Bug, als dass sie den Menschen möglicherweise klar macht, wo bei uns die Wertigkeiten verrutscht sind. Viele haben geglaubt, bei Menschenrechtsfragen ginge es in erster Linie darum, 1000 Grad heiße Pyrotechnik in ein Stadion mit 70.000 Menschen bringen zu dürfen. Und für dieses Recht wurde gekämpft, als ginge es um die Französische Revolution. Heute hat vielleicht selbst mancher Hooligan begriffen: Es gibt Wichtigeres.
Kann von der Corona-Pandemie verordnete Zwangs- und Denkpause da vielleicht das eine oder andere Mütchen kühlen?
Nuhr: Mal mit einem möglichen Ende des zivilisierten Wohlstandes oder sogar dem Tod konfrontiert gewesen zu sein, könnte dem einen oder anderen die Maßstäbe geradegerückt haben. Aber meine Hoffnung ist da gering. Je kleiner das Hirn, umso schneller vergisst man …
In Ludwigshafen haben Sie Ende Januar auf der Bühne in den Raum gestellt, dass Auftritte für Sie wie Therapiesitzungen funktionieren. Fehlt Ihnen das jetzt?
Nuhr: Eigentlich erstaunlich wenig. Ich bin ja kein Mensch, der ohne Publikum nicht auskommt. Ich habe genug zu tun. Ich tue gerade lauter Dinge, zu denen ich sonst nicht komme… Mal die „Kritik der reinen Vernunft“ lesen oder die Bildzeitung. Ich bin nicht wirklich therapiebedürftig. Das war ein Scherz.
Ich schreibe ja schon ein Weilchen über Ihre Auftritte. Live habe ich Sie noch nie so … nennen wir es ungehalten erlebt wie Ende Januar in der Eberthalle. Wird Ihnen persönlich die Live-Pause auch guttun, um aus der Erregungsschleife oder dem Fokus der Twitter-Trolle zu kommen _ wie Ihr Wohnzimmer-Bild auf Instagram angedeutet hat?
Nuhr: Der Erregungsspirale kann man ja nur entgegentreten, wenn man auch selbst erregt dagegen hält… Da sich die öffentliche Diskussion bei uns indessen im Wesentlichen darauf beschränkt, den Andersdenkenden verächtlich oder mundtot zu machen, muss ich auch selbst die Stimme ab und zu erhöhen, sonst hört man im Geschrei nicht, was ich sage. Ich bin aber selbst eigentlich eher wenig aufgeregt. Mein Status ist eher: kopfschüttelnd.
Ich kann mir aber vorstellen, dass Ihnen Reisen und Fotografieren erst-mal fehlen werden, oder? Was tun Sie mit Ihrer Zeit, wenn womöglich über Monate keine Tourneen möglich sind?
Nuhr: Ja, das stimmt, vor allem das Reisen fehlt mir sehr, weil es mir Distanz zur eigenen Lebenswelt verschafft. Bilder machen kann ich auch zu Hause, Texte schreibe ich weiterhin für meine Sendungen. Und wenn die Tour jetzt erstmal Pause macht, wer weiß wie lang, dann werde ich vielleicht öfter im Fernsehen auftauchen, vorausgesetzt der Laden läuft irgendwie weiter, mal schauen …
Dieter Nuhr
- Der Komiker, Bestseller-Autor, Künstler, Fotograf und Moderator Dieter Nuhr wird am 29. Oktober 1960 in Wesel geboren. Er wächst in Düsseldorf auf,
- wo er bis heute lebt. Von 1981 bis 1987 studiert er in Essen Kunstpädagogik und Geschichte auf Lehramt.
- 1987 hat er erste Kabarett-Auftritte.
- Ab 1994 avanciert Nuhr als Grenzgänger zwischen Kabarett und Comedy zu einem der erfolgreichsten Humoristen.
- Er gewinnt unter anderem fünfmal den Deutschen Comedy-Preis und moderiert die ARD-Satiresendung „Nuhr im Ersten“ - eine Nachfolgesendung vn Dieter Hildebrandts TV-Institution „Scheiben-wischer“. Zu sehen ist sie am 26. März, 22.45 Uhr, und in der ARD-Mediathek mit den Gästen Lisa Eckart, Özcan Cosar, Torsten Sträter und Wolfgang Trepper.
- Nuhr spielt sein aktuelles Programm „Kein Scherz!“ am Freitag, 21. März 2021, 20 Uhr, zum zweiten Mal in der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle. Karten unter anderem auf eventim.de
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