Zum neuen Album

Diesen Sound bringen Franz Ferdinand mit nach Mannheim

„The Human Fear“, das neue Album des Maifeld-Derby-Headliners, verarbeitet die kulturellen Trendthemen Angst und Untergangsstimmung - positiv, mitreißend und kühn.

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Die fünfköpfige Band Franz Ferdinand um Sänger Alex Kapranos (Mitte) singt mitreißend und tanzbar über „The Human Fear“. © Fiona Torre/Domino Recording/dpa

Egal, ob Fans oder Kritik - für viele war das Album des Jahres 2024 „Songs Of A Lost World“ von The Cure. Nicht nur der Titel, auch die unerwartet getragene Musik und die Texte der Lieder einer verlorenen Welt passen natürlich perfekt in eine Zeit, in der Kriege, Krisen, Terror, Wahnsinn, potenzielle Diktatoren und Diktatorinnen längst keine Fiktion mehr sind oder weit entfernt - sie rücken näher. Auch in den beschaulichen westlichen Wohlfahrtsstaaten. Das erste richtig wichtige Album des neuen Jahres zielt auch in Richtung dieses kulturellen Mega-Trendthemas zwischen Weltuntergangsstimmung und Angst: „The Human Fear“ von der schottischen Band Franz Ferdinand, dem Samstags-Headliner des letzten Mannheimer Maifeld Derby in diesem Sommer.

Von Get Well Soons „The Horror“ zu „The Human Fear“

Deren Sänger Alex Kapranos betont zwar, der sechste FF-Longplayer sei nicht als Konzeptalbum gedacht gewesen - wie es zum Beispiel Konstantin Groppers Mannheimer Indie-Projekt Get Well Soon mit der famosen, akademisch durchgestalteten Schreckensstudie „The Horror“ bereits 2018 gelungen ist.

Das war das Jahr, in dem die Zombie-Serie „The Walking Dead“ (TWD) ihren Popularitätshöhepunkt überschritten hat, als Speerspitze von serienweise Dystopien in Kino, Streaming-Diensten, Literatur, Comics, Videospielen und sonstiger Popkultur. Zur Erinnerung: Damals strömten 13 000 Menschen in die Mannheimer Maimarkthalle zur zweitägigen Fan-Messe Walker Stalker - und zahlten zwischen 80 und über 1600 Euro, um in der Halle Nippes zu kaufen, ein paar Podiumsdiskussionen mit Stars zu erleben und Schlange zu stehen, um noch mal im Schnitt 100 Euro extra für Selfies und/oder Autogramme mit den Serienstars locker zu machen. Diese Zeiten sind vorbei. TWD und seine sechs (!) Serien-Ableger sind heute meilenweit entfernt von Quotenrekorden (einst sahen mehr als 17 Millionen Leute pro Episode im US-Kabelfernsehen dem Gemetzel zu).

Das Geschäft mit Angst und Schrecken boomt weiter

Aber das Geschäft mit Angst und Schrecken boomt munter weiter - obwohl oder gerade weil die Welt immer schrecklicher, schneller, zumindest unübersichtlicher wird. Und das in allen Härtegraden: von „Stranger Things“ und „Squid Game“ über immergrüne Stoffe wie „Alien“ oder „Freitag, der 13.“ bis zu sehnsüchtig erwarteten Fortsetzungen von „The Last Of Us“ oder „Wednesday“. Selbst die Dauerbrenner der „Harry Potter“-Franchises sind nicht frei von Horrorelementen. Und unterschiedlichste Idole der Popmusik greifen die Thematiken mehr oder weniger ernsthaft auf: etwa das 80er-Duo Tears For Fears (was für ein passender Name) mit ihrem jüngsten Album „Songs For A Nervous Planet“ oder die Pixies mit „The Night The Zombies Came.“

„Wir haben da aktuell einen wahnsinnig guten Nährboden. Die wieder gestiegene Faszination zeigt, dass wir in einer Angstgesellschaft leben. Dass die allgemeinen Ängste zunehmen“, erklärte Horrorexperte Hubert Filser das einmal im Interview mit dieser Redaktion. Wie es der Soziologe Ulrich Beck in den 1980er Jahren unter anderem in seinem Hauptwerk „Risikogesellschaft“ beschrieben hat.

Headliner beim Maifeld Derby

  • Wie Maifeld-Derby-Veranstalter Timo Kumpf auf Anfrage bestätigt, ist die Indie-Rock-Band Franz Ferdinand Headliner am zweiten der drei Festivaltage: am Samstag, 31. Mai. Von 30. Mai bis 1. Juni spielen u.a. Zaho de Sagazan, The Notwist oder Bilderbuch. Das Drei-Tages-Ticket kostet 160 Euro unter maifeld-derby.de/shop
  • „The Human Fear“ ist das sechste Studioalbum des schottischen Indie-Rock-Quintetts Franz Ferdinand seit ihrem Durchbruch 2004.

„Auf der politischen Ebene sieht man das zum Beispiel auch an Donald Trump. Auf der wissenschaftlichen Ebene geht es um Genmanipulation oder Viren“, beschreibt Filser, Autor des Buchs „Menschen brauchen Monster“, die Grundlage des Bedürfnisses nach Schreckens- und Endzeit-Szenarien. All das zeige, „dass etwas im Argen liegt“. Auch Künstliche Intelligenz ist längst keine Science Fiction oder Terminator-Fantasie mehr, sondern manifestiert sich zunehmend im Alltag.

Wenig verwunderlich ist, dass eine Band, die sich nach dem 1914 an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg per Attentat ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este benannt hat, zum Thema Angst neigt. Songwriter und Bandleader Kapranos sagt dazu: „Es ist nicht möglich, ein Leben frei von Ängsten zu führen. Es ist auch nicht erstrebenswert. Im Gegenteil, die Angst hat auch etwas Gutes. Sie hält dich wachsam. Zudem gibt es dir ein grandioses Gefühl, wenn du dich einer Angst gestellt und sie überwunden hast.“ Die klassische Katharsis-These, die für das Publikum in der antiken Tragödie genau so funktioniert wie bei Splatter-Filmen.

Laut Kapranos habe sich der Titel „The Human Fear“ als inhaltliche Klammer ergeben, als alle Songs fertig waren. Auch „Hooked“, das der 52-Jährige für seinen gerade mal einjährigen Sohn geschrieben hat. Darin kommt die Album-Titelphrase „Die menschliche Angst“ vor - passenderweise nach dem Stück „The Doctor“ - und Angst wird wie eine Infektionskrankheit beschrieben: Mit tanzbarer „Sexy Back“-Anmutung fallen Sätze wie „I got the fear / I’ve got the human fear / That’s alright, that’s alright / You got me hooked / Everybody here / Got the human fear“ (Ich habe die Angst / die menschliche Angst / Das ist in Ordnung, (2x)/ Du hast mich am Haken / Jeder hier / hat die menschliche Angst). Was verschreibt Dr. Kapranos dagegen? Kühnheit - und Liebe, das ewige Patentrezept des Pop, von den Beatles bis Gringo Mayer. Aber: Liebe ist oft auch mit Angst verbunden. Vor Verlust vor allem.

Auffällig ist, dass Popmusik auf Angst und Schrecken mit fast trotziger Lebensfreude reagiert - diesen Bogen schlagen auch The Cure. Franz Ferdinands Frontmann rät gleich im ersten Song „Audacious“ (Kühnheit), der die treibende Energie der ersten FF-Hits mit betörenden Beatles/Britpop-Melodien verbindet, zur Kühnheit im Umgang mit ansteckender Angst und Weltuntergangsstimmung: „But don’t stop feeling audacious / there’s no one to save us / So just carry on. / And don’t go blaming the neighbours, you know they’re the same as us / We should just get on / Get on!“ (Aber hör nicht auf, dich kühn zu fühlen, / es gibt niemanden, der uns rettet, / also mach einfach weiter. / Und gib’ nicht den Nachbarn die Schuld, du weißt, sie sind genauso wie wir / Wir sollten einfach weitermachen / Mach weiter!). Mit der Ansage kann man doch arbeiten.

Die Hauptattraktionen werden kein Trauerspiel liefern

Das bedeutet: Niemand muss befürchten, dass das letzte Maifeld Derby ein Trauerspiel wird. Franz Ferdinand bringen - wie auch die zweite Festival-Hauptattraktion Zaho de Sagazan - eine letztlich absolut positive, mitreißende Platte mit aufs Maimarktgelände. Dazu muss man sich noch die unwiderstehlichen, gut 20 Jahre alten Hits „Take Me Out“, „This Fire“ oder „The Dark of the Matinée“ vorstellen - schon ist der Weltschmerz halb weggetanzt.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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