Kunst

Die vielen Gesichter des Menschen

Werke von Sandro Kopp im Mannheimer Kunstverein

Von 
Christel Heybrock
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„Doch“ – ein anderer Titel für seine Ausstellung wollte ihm nicht einfallen, und „Doch“ passt in vielfältiger Hinsicht zu Sandro Kopp, der als gebürtiger Heidelberger rund um den Globus lebt, ausstellt und in keine Schublade passt. Seine Ausstellung im Mannheimer Kunstverein – die erste große in der Region, nachdem er bisher eher in Berlin, Venedig, New York und Wien vertreten war – empfängt den Besucher mit Menschen. Vor allem mit Gesichtern, die einen ruhig und beharrlich anschauen. Dreht man sich der Wand neben dem Eingang zu, blicken einzelne Augen auf einen – nein, nicht herab, sie blicken einen an, sanft und tiefgründig. Jedes einzelne evoziert ein Gesicht, einen Menschen, eine Seele – so altmodisch muss man das wohl mal sagen. In der Pupille spiegelt sich mitunter winzig klein die Situation der Porträtsitzung.

28 Tage, 28 Bilder

Kopp malt Menschen – es sind wunderbare Gesichter dabei wie das verhaltene, nach innen gekehrte von „Waris“ (2009) oder das kernig-urige von „John C“ (2010) –, aber er malt auch sich selbst. In drei Zyklen, die sich über einen Zeitraum von 17 Jahren erstrecken, hat Kopp sein Gesicht und damit sich selbst erforscht, jedes Mal in 28 Bildern über je 28 Tage. Drei Zyklen, in denen sich Veränderungen in Alter, Persönlichkeit und Malweise zeigen. Keine schönfärberischen Schlenker – wenn eine Gesichtspartie an einem Tag nicht völlig gelang, wurde eben diese Partie am nächsten explizit durchgearbeitet, aber nie sind es mehr als 28 Bilder, von denen man keines missen möchte.

Im Grunde ist Kopp ein Erforscher von Wirklichkeit, der auch – Stichwort Corona-Lockdown – vor digitaler Technologie nicht Halt macht. Ja, auch diese kleinen Bild-Zyklen sind bewegend: Wie bei wackligen Skype-Kontakten ein Gesicht vertraut zu einem kommt, wie die Konturen verwischen, wabern und schließlich als Anhäufung quadratischer Pixel enden. Das Auftauchen und Vergehen hat etwas zutiefst Metaphysisches – was auf dem Bildschirm passiert, entspricht einfach der konkreten Situation menschlichen Lebens.

Porträts und Akte

Oben auf der Galerie ein ganz anderer Eindruck: „Bodywebs“, Handzeichnungen, Akte. Auf jedem Blatt wird eine einzelne Person als Akt porträtiert, „Irmena“, „Steve“, „Mariana“. Ein Gesicht erscheint einmal schemenhaft, einzelne Hände und Füße, mal ein einzelnes Ohr. Die Körper treten als Fülle von Rundungen, Höhlen, Bewegungen, Posen hervor, wie in einem Netz ineinander verschlungen, sanft, verwehend oder markant. Jedes Blatt charakteristisch und einzigartig, als hätte Kopp die Fülle physischer Möglichkeiten der betreffenden Person erkundet und festgehalten. Das hat zugleich etwas Überindividuelles: Wir könnten das alle sein, es könnten alle Menschen auf diesem Planeten gemeint sein, die Serie ließe sich unendlich fortsetzen. Als Kontrast zu diesen zarten Blättern die dicken, pastos übereinander liegenden Schichten letztlich unkenntlicher Akte aus der „Rosenthaler Suite“, die anlässlich eines Films entstanden.

Auch Kopps jüngste Blätter gehören in den überindividuellen Menschheitszusammenhang – Meditationszeichnungen, scheinbar surrealistisch in gegenstandslos verschlungenen Formen. Wir sind letztlich einander nicht fremd, egal wo und wer wir sind – so ließe sich Kopps großes Thema formulieren.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

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