Nie war Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ so aktuell wie heute. Die Ursünde des Menschen in dem vierteiligen Bühnenfestspiel, der Raub des Rheingolds durch Alberich, ist ein folgenreiches Vergehen an der Natur, das einen Kampf um Macht und Geld initiiert, dessen Ausgang bekannt ist: Am Ende steht der Untergang der bestehenden Ordnung. Glaubt man Klimaforschern, so befinden wir uns heute ebenfalls in einer Art Götterdämmerung. Die der Erde entrissenen und in den Produktionskreislauf eingebrachten Wertstoffe haben zu einer Erhitzung des Planeten geführt, die, falls sie nicht gestoppt wird, das Ende der Zivilisation in einigen Teilen der Welt zumindest denkbar erscheinen lassen.
Auch in dem von Stephan Kimmig inszenierten „Rheingold“ an der Staatsoper Stuttgart hat die herrschende Klasse sichtlich abgewirtschaftet. Das Bühnenbild zeigt ein heruntergekommenes Jahrmarkts-ambiente, die Reste einer Manege, ausgestattet mit Versatzstücken der Zirkuswelt. Kimmig will sich offenbar den ganzen germanischen Nibelungenkitsch vom Leibe halten und holt die Götter in die Niederungen der kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft herab. Dazu passt, dass die von Alberich durch die Macht des Ringes drangsalierten Arbeiter in Nibelheim Kinder sind, die, wie bei Smartphoneherstellern in Asien, in Ganzkörperanzügen Platinen löten. Gott Wotan ist ein gelangweilter Zirkusdirektor im Paillettenfrack, der, wie seine netzbestrumpfte und dauerqualmende Frau Fricka, schon bessere Zeiten gesehen hat. Im Hintergrund führen Artistinnen an aufgehängten Tüchern in gefährlichen Höhen Kunststücke vor, während die Riesen Fafolt und Fafner in gelben Gabelstaplern hereinbrausen und von Wotan den Lohn für den Bau der Burg Walhall einfordern.
Rheintöchter als Ökoaktivistinnen
Mehrere Regisseure
Mit dem „Rheingold“ knüpft die Staatsoper Stuttgart an den legendären Stuttgarter Zyklus von „Der Ring des Nibelungen“ des früheren Intendanten Klaus Zehelein aus den Jahren 1999/2000 an. Zehelein hatte damals mit der Wagner-Tradition gebrochen und die vier Teile des Bühnenfestspiels von vier verschiedenen Regisseuren inszenieren lassen.
Dieses Konzept nimmt nun auch der Stuttgarter Intendant Viktor Schoner für seine aktuelle „Ring“-Produktion wieder auf: Die im April 2022 anstehende „Walküre“ wird dabei von gleich drei Regieteams gestaltet, während der für kommenden Oktober geplante „Siegfried“ eine Wiederaufnahme der Inszenierung von JossiWieler/Sergio Morabito aus dem Zehelein-Ring sein wird.
Den Abschluss der Tetralogie bildet dann die „Götterdämmerung“ in der Regie von Marco Storman im Januar 2023.
Vieles wirkt da reichlich plakativ, manches auch schlicht platt, daran ändert auch die im Hintergrund installierte Videowand nicht viel, auf der in einer Art surrealistischer Verfremdung mittels Traum- und Fantasiesequenzen die unbewussten Anteile der Protagonisten beleuchtet werden.
Geld und Macht, das jedenfalls wird klar, sind für den Untergang verantwortlich. Hoffnung gibt es allenfalls durch die Frauen, speziell die drei Rheintöchter: Die outen sich als Ökoaktivistinnen und rufen mit einem Transparent, auf dem „Lasst alle Feigheit fahren“ steht, zur Aktivität auf. Unklar bleibt dagegen, warum sich die Protagonisten am Ende gelbe Regenjacken überziehen. Ganz stark ist auf jeden Fall die Ensembleleistung. Nicht nur ist jede der Figuren prägnant charakterisiert, auch sängerisch gibt es keine Schwachpunkte. Aus dem insgesamt formidablen Ensemble ragt der ungemein präsente Alberich von Leigh Melrose heraus, der sogar auf einer drehenden Messerwurfscheibe nichts an stimmlicher Kraft verliert. Großartig auch Matthias Klink als leicht verschlagener Loge.
Zu viel Pathos in der Musik
Ein Grundproblem dieser Inszenierung freilich zeigt sich in dem Widerspruch zwischen Szene und Musik. Der Stuttgarter Cornelius Meister nämlich liefert zwar am Pult des Staatsorchesters einen weiteren Beweis seiner Kompetenz als Wagnerdirigent, indem er einerseits die Partitur detailgenau ausleuchtet, andererseits das Pathos der wagnerschen Musik mit geradezu überbordender Klangpracht zum Ausdruck bringt. Beginnend mit dem aus dunklem Urgrund hervorzüngelden Es-Dur-Beginn hält er den Spannungsbogen bis zum blechgesättigten Ende. Sein Musizieren findet aber keinerlei Entsprechung auf der Bühne, wo die Regie ja eben aufgeräumt hat mit all dem mythischen Pathos der Wagner-Tradition, was immer wieder zu merkwürdigen Divergenzen führt.
Auch das Publikum reagiert am Ende gespalten. Den Ovationen für Ensemble und Orchester folgt eine Buhorgie für die Regie, wie man sie in Stuttgart lange nicht erlebt hat.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-die-ursuende-des-menschen-_arid,1883158.html