Ludwigshafen. Was verbindet die Orchestersuite aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss mit Béla Bartóks Operneinakter „Herzog Blaubarts Burg“? Genaugenommen nicht einmal die Entstehungszeit um 1911, wurde die Suite doch erst 1944 vom Dirigenten Artur Rodzínski eingerichtet. So fällt es Michael Gassmann, neuer Intendant der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, nicht leicht, zum Saisonstart im Konzertsaal des Ludwigshafener Pfalzbaus eine inhaltliche Beziehung zwischen beiden musikalischen Schwergewichten herzustellen. Mehr schief als nur banal, dass es um unterschiedliche Geschlechter-Beziehungen gehe, mal heiter, mal düster.
Innovative Bühneninszenierung mit Tanz und Technik
Musikalisch freilich beeindrucken beide suitenartig konzipierten Werke mit üppigster Orchesterbesetzung sowie mit schillerndem Farbenreichtum und eindringlicher Suggestivität. Grund genug, sie beim auf drei Projekte eingedampften Festival „Modern Times – Rhythm of Change“ unter dem Motto „Erkenntnis“ in einer halbszenischen Fassung der „Blaubart“-Oper aufs Programm zu setzen.
Urs Häberli, früherer Intendant des Pfalztheaters Kaiserslautern, lässt vor dem Orchesterpodium einen Steg in den Konzertsaal hinein errichten sowie über dem Orchester eine Videoleinwand hängen, um das geheimnisumwitterte Geschehen symbolträchtig zu visualisieren. Rae Piper & Davide Degano versinnbildlichen tanzend das Ringen der beiden Protagonisten Judith und Blaubart um die Öffnung der sieben rätselhaften Türen.
Hinter denen werden des Herzogs weibliche Opfer vermutet. Jahrhunderte alt ist dieser Blaubart-Mythos. Als Zeitgenosse Sigmund Freuds deutet Bartók die verschlossenen Türen als Seelenräume des machtbesessenen Mannes. Der sich durch ein Frageverbot schützen will vor der nach Wahrheit suchenden Frau, die weder ihrer Neugier noch dem Wunsch, den Mann durch ihre Liebe zu retten, widerstehen kann.
NTM-Schauspielerin Ragna Pitolls beschwörend gestalteter Prolog („Die Wahrheit ist ein Rauch, ein Echo nur von eines Seufzers Hauch“) setzt den Ton der in deutscher Übersetzung gesungenen Oper, die leider nicht dem im Programmheft abgedruckten Text entspricht. So hat man es schwer, vor allem Judith zu verstehen, die die lettische Sopranistin Margarita Vilsone mit apart dunkel leuchtendem Timbre und intensiver Dramatik charakterisiert, doch bedauerlicherweise wenig textverständlich. Derrick Ballard durchdringt mit seinem sonoren Bass packend Blaubarts unterschiedlichste Gefühlszustände. Das Videodesign (Jonathan Schmieding) schafft mit diskret symbolischen Bildern eine weitere psychologische Ebene.
Ein Dirigat zwischen Wucht und feiner Ziselierung
Klug vermeidet es Häberli, dass Bild, Tanz und Licht Handlung und Musik einfach nur verdoppeln. Bestürzend das Schlussbild. Zur ausklingenden Musik hält der Tänzer Judiths abgelegtes weißes Kleid wie eine Pietà im Arm. Während er ratlos zurückschaut zum erstarrt ins Publikum blickenden Blaubart und den beiden eng umschlungenen, schwarz gewandeten Judith-Darstellerinnen.
Michael Francis demonstriert mit fein differenziertem Dirigat, wozu die Staatsphilharmonie fähig ist. Dramatische Wucht und Lautstärke wird ebenso zelebriert, wie fein ziselierter (Holzbläser!), an ungarischer und Wiener Sprachrhythmik orientierter Deklamationsstil. Walzerseligkeit trifft auf impressionistisch anmutendes Farbenspiel.
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