Wer sich einmal gepflegt und anzüglich, aber nicht ordinär gruseln möchte, dem sei der Besuch von Richard O’Briens Kult-Musical „The Rocky Horror Show“ mit 20 prächtig gesungenen Songs im Mainfranken Theater Würzburg empfohlen. Unvermittelt taucht mit diesem grandiosen Spektakel der Zeitgeist der 1970er Jahre auf, in denen sich die gesellschaftlichen Zwänge in Bezug auf Geschlecht und Sexualität unaufhaltsam zu wandeln begannen.
Schon das Eingangsbild von Bühnenbildnerin Maria Reyes Péres mit den verzerrten Perspektiven eines barocken Theaters, dem Anwesen des exzentrischen Wissenschaftlers Frank’n’Furter (Hannes Berg), wird zum echten Hingucker. Ganz zu schweigen von den fantastischen Kostümen und der schwungvollen Choreografie von Timo Radünz.
Morbider Charme
Eine Reifenpanne durchkreuzt die Verlobungspläne von Brad (Bastian Beyer) und Janet (Eva Lina Wenners), die bei einem Gewitterregen auf Schlossbewohner treffen, die wie ebenfalls skurril gekleidete Phantome nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Dabei sucht das unbedarfte Paar ohne Argwohn doch nur eine Gelegenheit zum Telefonieren. Der Schlossherr entpuppt sich später als außerirdischer Wissenschaftler vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania, der auf der Erde hemmungslos alle nur denkbaren Begierden auszuleben gedenkt. In seinem Labor präsentiert er das Retortenwesen Rocky (Loris Kubeng) seine bisher größte Schöpfung. Vorher hat sich der bisexuelle Transvestit seines Ex-Geliebten Eddie (Martin Liema) entledigt, der zerteilt und mit Kopftorso den Anwesenden im Esszimmer serviert wird.
Weltliche Verführungen
Mit von der Partie sind Dr. Scott (Zlatko Maltar), ein ehemaliger Lehrer von Brad und Janet, der auf der Suche nach seinen Neffen ist und die Mitbewohnerin Columbia (Daria Lik). Nach vielen Irrungen und Wirrungen mit allerlei weltlichen Verführungen meutern Riff-Raff (Nils van der Horst) und Magenta (Nina Mohr) als Mitstreiter des Schlossherrn und geben sich mit Frank, den sie wegen seiner Verfehlungen für abgesetzt erklären und töten, als Außerirdische zu erkennen.
Die übrigen Aliens kehren mit ihrem Raumschiff zu ihrem Heimatplaneten zurück, während Dr. Scott, Brad und Janet noch gerade so mit heiler Haut davonkommen.
Eine Hemmschwelle zwischen Bühne und Publikum gibt es nicht, wie der akkurat durch den unbeschreiblichen Horror führende Erzähler (Georg Zeies) nach der Begrüßung („Meine Damen und Herren und noch mehr dazwischen“) mit dem Aufstellen einer Leinwand mithilfe einer Zuschauerin demonstriert.
Auf die Inszenierung von Till Kleine-Möller stimmen dann Ausschnitte aus älteren Horror- und Science-Fiction-Filmen ein. Brad und Janet treffen sich zum Auftakt mitten im Publikum. Zum Kult-Charakter gehört eine durchgängige Beteiligung des Publikums am Geschehen. Wenn Erzähler Georg Zeies die Handlung unterbricht, ertönen die Rufe „Langweilig“ oder auch „Boring“ und Erwähnung von Dr. Scott wird mit „Uuuh“-Rufen bedacht.
Fulminante Stimmungsraketen
Der Erzähler zahlt es dann seinen Kritikern heim, indem er heimlich auf die Rampe steigt und seine große Wasserpistole zum Einsatz bringt. Statt Mitbringsel einzusetzen, gibt es vor Beginn Mitmach-Beutel zu erstehen mit Chips, Zeitungsblättern, Mini-Lampen, Klapper-Klatschen, Handschuhe, Seifenblasen, Bierdeckel und Spielkarten zum Werfen. Schrilles Outfit im Publikum mit Netzstrümpfen, Glitzerblusen oder dem Kleinen Schwarzen und Pumps stimmt perfekt auf den Retro-Charme der Aufführung ein. Die Lieder werden im englischen Original gesungen. Mit „The Time Warp“, I Can Make You a Man“, „Don’t Dream It, Be It“ oder „I’m Going Home“ wurden dank des Gitarristen Adrian Sieber und seiner fünfköpfigen Band, die unterhalb des Treppenhauses spielte, fulminante Stimmungsraketen gezündet. In Würzburg sind bereits sämtliche Vorstellungen ausverkauft, so dass berechtigte Hoffnungen bestehen, dieses Musical spätestens in der nächsten Spielzeit wieder erleben zu können.
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