Mannheim. Es war haargenau Samstag, der 21. August 2021, als die Organisatoren des Mannheimer Brückenawards auf ihrer Facebook-Seite dazu aufriefen, das Maifeld Derby auf den Maimarktgelände zum pandemisch angepassten Jubiläum doch mit einem Besuch zu beehren, denn: „Zehn Mal schafft auch nicht jede*r“. Was streng genommen wie eine ganz normale ermunternde Gratulation klingt, die eigentlich nicht großartig aus dem Raster fällt, hatte schon damals jedoch einen Beigeschmack.
Denn auch der Mannheimer Brückenaward hatte das Jahrzehnt seiner Austragung zu diesem Zeitpunkt bereits gefeiert – jedoch zwei Jahre früher, als Coronaviren noch Spezialthemen von Wissenschaftlern waren und Veranstaltungen in aller Regel so stattfinden konnten, wie sie geplant waren.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Bekanntlich hat die Pandemie auch und gerade im kulturell dichten Rhein-Neckar-Raum bei zahllosen Konzerten und Festivals zu Absagen und Verschiebungen geführt – und auch, wenn der Brückenaward klassischerweise unter freiem Himmel stattfindet, kannten die jeweiligen Landesverordnungen selbst mit Szene-Events wie diesem keine Gnade.
Auf die elfte Ausgabe des Brückenawards mussten die Anhänger alternativer musikalischer und visueller Künste nach zwei bitteren Jahren der Abstinenz dementsprechend lange warten. Konsequent euphorisch ist daher die Stimmung, als sich unter der Eisenbahnbrücke in der Neckarstadt-West an diesem schwülheißen ersten Abend die Luke des Bühnen-Lkw’s öffnet, die Sonne langsam untergeht, die Illustrationen an den gigantischen Brückenpfeiler projiziert werden, erlebnishungrige Gäste auch gastronomisch an den Streefood-Trucks die Initiative ergreifen – und dann auch noch musikalisch alles passt.
Zwei Jahre Brückenaward-Abstinenz
Nun ist es kein Geheimnis, dass die Brückenaward-Macher kuratorisch bereits bei den letzten Ausgaben sehr viel richtig gemacht haben. Doch allein dieser erste, ausgelassene Abend geht für die Freunde der Überraschungskunst mächtig auf die Bretter. Denn noch lange, bevor die Nacht einbricht, liefern die Stuttgarter Noise Rocker von Unbite einen Vorgeschmack davon, wie sich raue Dynamik und melodische Komplexität anhören, wenn sie klang- und kunstvoll aufeinandertreffen.
Dass der Brückenaward in seiner Struktur auch heute noch immer auch eine Form avancierter Protest gegen die hochgerüstete Arena-Veranstaltungsindustrie ist, belegt der Auftritt der Lauch Cremegruppe in der Neckarstadt. Allein solch vielsagende Titel wie „Reste von Gestern“ oder „Schenk mir doch einfach Geld“ sind dafür ein Wink mit dem Zaunpfahl, der sich live jedoch auch wild, klar und tanzbar in die Realität fortsetzt.
In psychedelische Sphären führt die Mixtur aus Rock, Indie und Pop bei der Formation Yin Yin, die nicht zum ersten Mal in Mannheim auftreten, es aber dennoch nicht an Wirkung missen lassen.
Deutlich am stärksten ins Gewicht fällt jedoch die Karlsruher Band How I Left – und das nicht allein deswegen, weil der meist auf Deutsch gehaltene Pop Noir sich mit der langsam lau werdenden Nacht ganz hervorragend zu einer Mischung aus Leichtigkeit und Leidenschaft vermengt. Nein, es sind auch Anekdoten wie die von Sänger Julian Bätz, der davon schwärmt, dass er nach einem Besuch im Luisenpark kürzlich dank des Gefahrgutunfalls und den folgenden Bahnausfällen gleich noch mehr Zeit in Mannheim verbringen durfte, die in Erinnerung bleiben.
Keineswegs ironisch schlussfolgert der Musiker: „Wir haben Mannheim ja fast schon alles zu verdanken.“ Was man wohl mindestens ebenso auf jenes bewusste Ereignis wie darauf beziehen darf, wie innig die Fans des Brückenawards jeden Akkord feiern. Die Begeisterung ist nachvollziehbar, denn nach all der Zeit fühlt es sich hier so an, als erfände sich ein Kultformat komplett neu. Eine erfüllte Sehnsucht, die man nur zu gut nachvollziehen kann. mer
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-die-neuerfindung-des-kultformats-unter-der-mannheimer-eisenbahnbruecke-_arid,1989188.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/dossiers_dossier,-_dossierid,57.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html