Ausstellung - Die Werkschau "Rendezvous am Nierentisch" im Landauer Strieffler-Haus beschwört mit Kunst, Kitsch und Alltagsdesign das Lebensgefühl der 1950er Jahre

Die Ästhetik der Wirtschaftswunderwelt

Von 
Karin Leydecker
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Komm' ein bisschen mit nach Italien: Die "Drei Frauenköpfe" des Mannheimer Künstlers Hans Graeder (1919-1998), entstanden in den 1950er Jahren, ist erfüllt von der Südland-Sehnsucht jener Zeit.

© Strieffler Haus /Leihgabe Künstlernachlässe Manheim

Wenn Rudi Schuricke seine Capri-Fischer hinausschickt und die rote Sonne im Meer versinkt, ist es wieder so weit: Die goldenen Fünfziger lächeln und alle lächeln mit! Wer's nicht glaubt, darf jetzt beim "Rendezvous am Nierentisch" im Landauer Strieffler-Haus der Künste die Probe aufs Exempel machen. Alles ist da: das sexy Knistern der Petticoats, das wilde Rot auf den Lippen der "Sünderin" und natürlich die ganze Wirtschaftswunderwelt mit Gummibaum, Tütenlampe und Brezelständerkultur.

Es spiegelt das Lebensgefühl im Nachkriegsdeutschland, das der Verheißung "Wohlstand für alle" glaubte und ganz einfach vergessen wollte: die braune NS-Vergangenheit, die Schuld und die Trauer. Im Jahr 1948 trat die Währungsreform in Kraft, der Marshall-Plan zeigte erste Wirkung und 1949 wurde Konrad Adenauer Bundeskanzler. Langsam bekam die Kargheit der frühen Nachkriegsjahre einen Goldrand.

Der Traum vom käuflichen Glück

Mit Kriegsende waren in Deutschland etwa sieben Millionen Wohnungen ganz oder teilweise zerstört und mit dem Programm des "sozialen Wohnungsbaus" startete der Wiederaufbau. Das Eigenheim im Grünen war das ganz große Ziel: Es war das "Nest" für die ersehnte heile Kleinfamilie, Lebensqualität pur und zugleich Kompensationselement der von Verlust und Zerstörung geprägten Kriegsjahre. Das Glück schien nun käuflich und alle kauften mit. In diesem Klima schillernder Ambivalenz zwischen Spießigkeit und Aufbruchstimmung, zwischen rührender Naivität und undomestizierter Fantasie wuchs eine bunte Warenwelt in einer ungeahnten Stil- und Formenvielfalt.

Die Ausstellung "Rendezvous am Nierentisch" verführt mit einem grandiosen Panorama zwischen Kunst, Kitsch und Alltagsdesign zu einem kulturgeschichtlichen Spaziergang durch eine kurze Epoche, die wir heute verklärend als die "goldenen Fünfziger" bezeichnen. Mode war wieder ein Thema, und die Versandhauskataloge lockten mit "Cocktailensembles" spinnwebzarter Eleganz: die Taille eingeschnürt zur Sanduhr und die Hüften in Cello-Optik weich gerundet. "Tulpenlinie" hieß das damals, und die wurde per Korsett gepresst: "Triumph drückt den Speck in den Strumpf!" Die brave Hausfrau der Fünfziger hielt auf "geschmackvolle Wohnkultur" im heiß ersehnten trauten Heim. Aber über Geschmack ließ sich streiten: Die Avantgarde der "guten Form" postulierte Schlichtheit und Materialstrenge nach skandinavischem Vorbild, aber Otto Normalverbraucher wählte lieber Cocktailsesselchen mit schiefen Beinen, schräg gemusterte Tapeten und pastellige Blumenständer mit Messingkante.

Wie die Ausstellung zeigt, suchten auch die Bildenden Künste in den Fünfzigern neue Wege zwischen Figuration und Abstraktion. Man sieht deutlich, dass es damals zwischen Bildender Kunst und dem Design der Gebrauchsobjekte einen fruchtbaren Austausch gab: Vasendekore und Dekostoffe glichen abstrakten Gemälden der Avantgarde, und - wie im Strieffler-Haus anschaulich zu sehen ist - gab es sogar Tapetenmuster von Künstlerhand.

Die Werbeindustrie boomte und weckte in den Köpfen der Deutschen den brennenden Wunsch nach Luxus. Der Wohlstand wuchs mit Perlonhemd und Waschmaschine, und bald ging es nicht mehr nur darum, sich "endlich wieder richtig satt zu essen": Man wollte endlich wieder reisen. Am liebsten nach "Bella Italia" mit Sommer, Sonne und ganz viel amore.

Sehnsuchtsort Italien

Capri avancierte zur Sehnsuchtsmetapher Nummer eins, und jeder der konnte, machte sich mit seiner Vespa oder dem Goggomobil auf den Weg. Man kaufte Andenken bis zum Abwinken - kitschige Muschelkästchen, Eselkarren aus Porzellan oder bastumwundene Chianti-Flaschen - und verschickte bunte Ansichtskarten, die dann zu Hause im Glasfenster des Küchenschrankes steckten. Rocco Granatas heiseres "Marina"-Geraune und ein giftgrüner Aschenbecher aus Murano-Glas - fertig war das kleine Glück am Nierentisch.

Das große Glück gab's im Kino: Der Heimatfilm schenkte die Illusion von Sicherheit und Geborgenheit und manchmal auch die Lust auf ein fernes Abenteuer: "Komm ein bisschen mit nach Italien, komm ein bisschen mit ans blaue Meer, und wir tun, als ob das Leben eine schöne Reise wär." Das Strieffler Haus in Landau schenkt nun noch einmal dieses echte "50er-Jahre-Gefühl".

Strieffler-Haus der Künste in Landau

Das Strieffler-Haus in Landau ist das ehemalige Wohnhaus des Pfälzer Malers Heinrich Strieffler (1872-1949) und seiner Tochter Marie (1917-1987). Heute gehört das formal expressiv inspirierte Haus (Architekt: Fritz Kindler, Landau) mit dem wunderschönen Garten der Stadt Landau.

Das Strieffler-Haus ist in seiner ursprünglichen Form nahezu erhalten. Das Erdgeschoss des Hauses ist ein Museum, im Obergeschoss werden jährlich drei Wechselausstellungen gezeigt.

Im Dachgeschoss mit dem großen Atelier gibt es unterschiedlichste Veranstaltungen - von Lesungen und Konzerten bis hin zu kunstwissenschaftlichen Vorträgen. Obwohl das Haus in seinen Ausstellungen die Bindung an die Pfälzer Kunst ernst nimmt, wagt es immer wieder spannende Ausflüge in die aktuelle Kunstszene.

Nicht umsonst firmiert das mit großem Engagement ehrenamtlich geführte Haus aktuell unter dem Namen "Strieffler Haus der Künste". Das ist Verheißung und Anspruch zugleich. ley

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