Lauffen. Eine Gedenkreise auf den Spuren Friedrich Hölderlins lässt sich entlang des Neckars unternehmen. Als Ausgangspunkt bietet sich auch Heidelberg an, denn diesen schönen Ort hat der unangepasste und unzeitgemäß denkende und schreibende Autor mehrmals besucht. Hier hatte er eine Begegnung, die ihm den Weg nach Frankfurt zur Bankiersfamilie Gontard ebnete, wo er Hauslehrer war und sich ein inniges Verhältnis zu Susette Gontard entwickelte, der Mutter seines Schülers. Und Hölderlin widmete der Stadt ein schlicht „Heidelberg“ betiteltes Gedicht, an das ein Gedenkstein an der Hölderlin-Anlage am Philosophenweg erinnert. Kulturgeschichtliche und geschichtsphilosophische Akzente setzte der Autor hier. Das zeigt schon die Charakterisierung des Schlosses als „schicksalskundige Burg“. Dass er die Stadt und besonders ihre Lage schätzte, bestätigt seine Wortwahl zu Beginn: Er nennt sie dort die „ländlichschönste, so viel ich sah“.
Hölderlins sprachmächtige und gedanklich komplexe Lyrik prägte Autoren bis in die Gegenwart. Mit Gewinn zu lesen dürfte sie noch lange bleiben, gemäß dem Schlussvers aus seinem Gedicht „Andenken“: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Der von Hölderlin geschätzte Friedrich Schiller hatte mit Gedichten wie „Der Spaziergang“ oder „Die Götter Griechenlands“ eine kulturphilosophisch inspirierte Ideen- oder Gedankenlyrik auf neue Höhen geführt; Hölderlin brachte sie noch weiter bergan. Aber sinnlich wirkende, plastische Formulierungen fand er ebenso – und rühmte nicht zuletzt die von Kindheitsorten inspirierte landschaftliche Schönheit.
Kindheitsorte des Dichters am Neckar
Der erste Kindheitsort findet sich neckaraufwärts, in Lauffen im Landkreis Heilbronn. Hier kam Hölderlin 1770 zur Welt und entstand im erweiterten Wohnhaus seiner Familie ein ihm gewidmetes Museum. Noch weiter am Fluss entlang liegen zwei andere Lebensorte mit Hölderlin-Gedenkstätten. In Nürtingen beschäftigt sich eine Ausstellung im Stadtmuseum mit dem Dichter, eine weitere im „Hölderlinhaus“, wo die Familie seinerzeit lebte. Nach dem Tod von Hölderlins Vater zog die Mutter mit ihren Kindern hierher, um erneut zu heiraten. In Tübingen studierte der 1843 verstorbene Autor und verbrachte im sogenannten Hölderlin-Turm am Neckarufer die letzten Lebensjahre, nachdem bei ihm eine unheilbare schwere psychiatrische Erkrankung diagnostiziert worden war. Und auch in diesem Gebäude erinnert eine Dauerausstellung an den Dichter.
Die Kennzeichnung als Literaturmuseum verdient am meisten das Hölderlinhaus im Geburtsort Lauffen. Nach einer Erweiterung wurde es neu konzipiert und zum 250. Geburtstag des Dichters im Jahr 2020 eröffnet. Die Gestaltung ist modern und zeitgemäß. Schwer lesbares Handschriftliches in Vitrinen hinter Glas findet man hier nicht. Eine Videoinstallation stimmt auf Hölderlin und seine frühe Lebenssituation ein: Das Flüsslein Zaber, das in der Nähe des Hauses entlang- und in den Neckar fließt, plätschert; Vögel zwitschern; eine Frau hört man nach „Fritz“ rufen, ihrem kleinen Sohn, der nach Hause kommen soll, aber wohl, verträumt, wie er nun mal ist, beim Spielen am Wasser die Zeit vergessen hat.
Einladung zum eigenständigen Dichten mit Versen
Grundlegende Informationen zum Dichter und seinem Denken vermitteln Wandtexte und Hörstationen; nicht zuletzt wird dabei der politisch-revolutionär gesinnte junge Geist bedacht. Vor allem aber ist das Publikum eingeladen, sich näher mit Hölderlins Literatur zu befassen und ihm auch versuchsweise ein wenig nachzudichten – Papier dafür liegt bereit. Die für ihn typischen zusammengesetzten Adjektive hebt die Ausstellung hervor, wie in „Heidelberg“ die zitierte „ländlichschönste“ Stadt oder „schicksalskundige Burg“ – oder man denke an „Hälfte des Lebens“, wo Schwäne ihr „Haupt ins heilignüchterne Wasser“ tauchen.
Man darf einzelne Hölderlin-Verse selbst zu Strophen zusammensetzen, dem Original entsprechend oder auch etwas anders und neu. Das soll den Sinn schärfen für die Elemente der Lyrik und ihre Möglichkeiten, für den Gedankenraum, den die Gedichtzeilen eröffnen können. Lohnen kann das durchaus, und wer es als anstrengend empfindet, mag zwischendurch wieder etwas hören und lesen – oder einmal ausprobieren, mit Feder und Tinte zu schreiben, wie es zu Hölderlins Zeiten üblich war.
Nachklingen kann dies alles auf einem Spaziergang durch die malerische historische Stadt mit ihren markanten Orten, der Regiswindiskirche oder der Burg. In der Nähe des Hölderlinhauses steht ein Denkmal für den Dichter, und noch etwas weiter entfernt hat der Bildhauer Peter Lenk dem Autor ein stattliches Werk auf der Insel eines Kreisverkehrs gewidmet, wie gewohnt ein wenig drollig, aber anspielungsreich. Es handelt von Hölderlins Beziehung zur Macht, zu Frauen, literarischen Autoritäten und von seinem Nachruhm.
Gedichte können Herz und Augen öffnen
Noch anschaulicher und unmittelbarer kann ein am Hölderlin-Denkmal beginnender Panoramaweg wirken, der über Weinberge führt und weite Ausblicke in die Neckarlandschaft eröffnet. Hölderlin widmete auch dem Fluss ein stimmungsvolles und gedankentiefes Gedicht. Die erste Strophe lautet in einem Hölderlin-typischen Rhythmus so: „In deinen Thälern wachte mein Herz mir auf/ Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,/ Und all der holden Hügel, die dich/Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.“
Solche Lyrik kann Herzen und Augen öffnen, spielerisch, lebendig und mit einem Rhythmus, welcher der bewegten Strömung des Flusses (und Lebens) entspricht. Von Höhen aus hat man einen guten Überblick; das gilt auch für lyrische Höhepunkte, wie Hölderlin sie markiert. Folgt man dem Rhythmus des Neckars flussabwärts landet man wieder in Heidelberg und bald darauf an seiner Mündung in den Rhein; ihm übrigens, dem „stillerhabnen“, widmete Hölderlin ebenfalls ein Gedicht, länger und komplexer noch, entsprechend dessen größerer natürlicher wie auch kulturhistorischer Bedeutung.
Hölderlin-Orte am Neckar
- Lauffen a. N. , Nordheimer Straße 5, Fr. 15 – 18, Sa, So 13 – 18 Uhr. Internet: www.lauffen.de/website/de/freizeit/museen/hoelderlinhaus
- Weitere Hölderlingedenkstätten am Neckar befinden sich in Nürtingen und Tübingen .
- Der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) lässt sich keiner gängigen Literaturströmung oder gar Epoche zuordnen. Wirkmächtig blieb vor allem seine Lyrik; außerdem schrieb er den Briefroman „Hyperion“ sowie das dramatische Fragment „Der Tod des Empedokles“. tog
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