Mannheimer Sommer - Das Festival macht ein großes Fass auf und widmet sich dem Klima und der Nachhaltigkeit

Deshalb steht das Nationaltheater nun unter besonderer Beobachtung

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Zwei sehr gut tanzende Nicht-Tänzer: Schauspielerin Jessica Higgins und Opernsänger Ilya Lapich. © Christian Kleiner

Ist dies die Ironie des Schicksals? Mehrere Demonstrationszüge für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und dafür, dass jeder einzelne von uns endlich damit starten sollte, werden – vielleicht ja überflüssigerweise – von zwei umweltverschmutzenden Taxen flankiert. Am Sonntag spielt ein Orchester ein Klimakonzert, das bald mit der Mega-Produktion „Der Ring des Nibelungen“ und wohl rund 200 Leuten nach Südkorea fliegen wird (CO2-neutral, versteht sich), wo es in Seoul natürlich auch die Korea National Opera gäbe. Und dann wünscht der Organisator von all dem Festivalauftrieb, Jan Dvorák, am Goetheplatz bei klimakatastrophal heißer und trockener Hochdrucklage seit mittlerweile einer Woche „uns und dem Mannheimer Sommer ein gutes Wetter“. So kann es weitergehen mit dem Weltuntergang.

Also wenn die Eröffnung des Festivals am Nationaltheater Mannheim eines schon mal erreicht hat, dann ist das die Sensibilisierung für die Widersprüchlichkeit von allem und allen. Amitav Ghosh lässt das – per lästiger, aufgezeichneter und enttäuschender Zoom-Konferenz statt angekündigter „Festivalrede“ – auch über die Videoleinwand des insgesamt doch gähnend leeren Opernhauses anklingen: Alles, was wir Kultur nennen, schadet dem Klima: Reisen, Essen, Konsum und natürlich die Kultur im engeren Sinne, die Kunst – auch auf dem Theater, worauf Dvorák in der mit Operndramaturgin Cordula Demattio moderierten Veranstaltung eingeht: In der Tat habe man bei der Organisation des Festivals bemerkt, wie groß die Widersprüchlichkeiten sind.

Ghosh sprach kurz zuvor auch davon, wie viele Theaterhäuser sich von Herstellern fossiler Brennstoffe und dergleichen unterstützen lassen. In Mannheim wäre da etwa das ehrenwerte Engagement der Fuchs Petrolub SE gemeint, ohne die vieles hier (und überhaupt in der Stadt und Region) nicht möglich wäre.

Ethisch unreine Personen

Aber wie das so ist: Wer ist schon moralisch einwandfrei? Man macht weltweit Kunst gegen Kapitalismus, für Diversität und für Umweltschutz, steckt aber das Geld von Kapitalisten, Banken, Chemieriesen und anderen Umweltsündern gern ein, um diese Kunst überhaupt produzieren zu können. Die moralische wird zur a-moralischen Anstalt. Wahrscheinlich war sie es schon immer. Kulturbeflissene Bürgerinnen und Bürger danken den Mäzenen und Sponsoren, kommen mit den Öffentlichen oder Rädern, genießen und sparen so ein Millionstel der Emissionen ein, die die Ermöglicher im großen Stil in unser aller Atmosphäre blasen.

Die Spiegel, in die wir alle täglich blicken, zeigen ethisch unreine Personen. Offenbar muss es die Milliardendimension russischer Oligarchen sein in Verknüpfung mit dem Ukrainekrieg, die etwa München zur Einsicht getrieben haben, sich den Putinianer Valery Gergiew moralisch nicht mehr leisten zu können. Dass er schon davor nicht haltbar war, genau so wenig wie Kreml-Schoßhund Gerhard Schröder, hätte seit der Krim-Annexion 2014 klar sein können, nein: müssen. Spätestens.

Mannheimer Sommer

  • Mannheimer Sommer: Er ist die abgewandelte Form des 2007 von Operndirektor Klaus-Peter Kehr gegründeten Mannheimer Mozartsommers, der sich – alternierend mit den Internationalen Schillertagen – dem anderen Mannheimer Hausgott widmen wollte.
  • Konzept: Mit Performances, Filmen, Diskussionen, Installationen sowie Konzerten und Opern bewegt sich das Festival bis 26. Juni unter dem Motto „Lasst uns starten!“ nah an den konzeptuellen Schillertagen.
  • Programm und Info: 0621/16 80 150, nationaltheater-mannheim.de

Womit wir bei Xi Jinping und seiner Kommunistischen Partei Chinas angekommen sind. Auch mit ihm machen wir direkt oder indirekt emsig Geschäfte. Meint Pat To Yan in seinem Libretto für „The damned and the saved“ Xi? Die Geschichte des aktuellen Mannheimer Hausautors und Hongkongers Yan kreist um zwei weggesperrte, gefolterte, vergewaltigte und wieder frei gelassene Systemgegnerinnen eines Reiches, in dem ein Computer (König) die Allmacht hat und per Nachrichtendienst (Data Collector) Informationen über die Gedanken und Absichten von Umstürzlerinnen und Umstürzlern sammelt – zur Überwachung und Verfolgung. Das Musiktheater dazu ist existenziell und brachial angelegt, zur weithin geräuschhaften Musik von Malin Bång wird wenig gesungen, viel gesprochen, noch mehr gelesen (deutsche Übertitel) und (von Nichttänzerinnen) auch sensationell getanzt. Ein eindrucksvoller Abend mit einer Mannheimer Uraufführung von der Biennale aus München im Mai.

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Veröffentlicht
Von
Ralf-Carl Langhals
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Widmet sich Yan den Themen der menschlichen Existenz in einer Welt voranschreitender Künstlicher Intelligenz, so träumte man 1902 noch naiv von der Beherrschung des Universums und vom ersten Mondflug. Putzig ist zu nennen, was Georges Méliès 1902 mit seinem ersten Science-Fiction-Film „Voyage dans la lune“ nach Jules Vernes vorstellte. Die Kurzform: Ein paar Typen lassen sich auf den Mond schießen, treffen dort auf einheimische Schamanen, die sich, wenn man sie erschlagen will, in Luft auflösen. Die Flucht gelingt, einen der Einheimischen nimmt man mit (zu Zwecken des Ausstopfens und Ausstellens im Louvre?). Glückliche Rückkunft auf der Erde. Postkolonial betrachtet ist das ein No-Go! Die französische Gruppe Air hat hierzu 2012 ein luftiges Album aufgenommen. Das wird nun live vom Ensemble Musiksalon zum dreifach verlangsamten Film gespielt. Ziemlich gut. Kann man so machen.

Widersprüche auflösen

So zeigt der erste Tag des Mannheimer Sommers also nicht nur, dass wir alle verlogen sind und das Theater – warum auch nicht – es ebenso ist. Er zeigt auch: Wer den Zeigefinger am höchsten erhebt, das wissen der Papst, die Priester und die katholische Kirche am besten, steht sofort unter strengerer Beobachtung. Also auch die moralische Anstalt Theater. Die große Frage der Zukunft wird aber sein: Wird es – frei nach Robert Habeck – gelingen, all die Widersprüche aufzulösen? Theater, tu was!

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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