Die Zeiten ändern sich. Der erste Buchstabe, den wir in der Schule lernten, war das ,N', das Beispielwort lautete "Neger". Eine Merktafel wurde an die Wand geheftet, darauf der Buchstabe, das Wort und ein gemalter Schwarzer wie aus dem "Struwwelpeter", mit Sonnenschirm und roter, kurzer Hose. Wir sangen auch das Lied vom "Negerkönig aus Afrika". Von seinem Gefolge hieß es im Refrain: "Schwarze Hände, schwarzes Haar, gold'ne Ohrringe so klar, und die rote Zipfelmütze tragen alle auf dem Haar." Wo genau es solche Menschen gibt, blieb unerwähnt.
Ob wir provozieren wollen? Wir sagen nur, was offenbar noch Anfang der siebziger Jahre - zu diesem Zeitpunkt und nicht in den als rückständig gerügten Fünfzigern wurden wir eingeschult - als unbedenklich galt. Die Lehrkraft war übrigens weiblich und noch jung. Klar, heute wäre so etwas undenkbar: Das Beispielwort gilt als anstößig, rassistisch. Zuvor aber hatte es noch keinen Beigeschmack - oder man war für ihn nur noch nicht sensibilisiert. Nun werden, wie berichtet, etwa in älteren Jugendbüchern bedenkliche Wörter ersetzt. Otfried Preußlers "Kleine Hexe" bekommt es zu spüren, Pippi Langstrumpfs Vater hat sich vom "Neger-" in einen "Südseekönig" verwandelt. Klingt das nun unbedenklich und ganz korrekt? Vielleicht transportiert die Südsee ja noch kolonialistische Klischees: faul in der Sonne liegen, statt emsig zu sein und eine ordentliche Verwaltung zu etablieren, wie es einer gehobenen Zivilisationsstufe entspricht. Eine erklärende Fußnote im Originaltext könnte wohl hilfreicher sein als ein Umschreiben.
Politische Korrektheit, um die es hier geht, scheint eben nicht leicht zu verwirklichen. Ein größeres Echo erfuhr die Bemühung, auch sprachlich jegliche Diskriminierung - von Geschlechtern, bestimmten Rassen und Personengruppen - zu vermeiden, hierzulande erst in den neunziger Jahren. David Mammets Erfolgsstück "Oleanna" problematisierte das Verfahren, indem es von einem Professor berichtete, dem eine Studentin Sexismus und Belästigung vorwirft. Zu diesem Zeitpunkt war der von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung geprägte Begriff von konservativer Seite schon aufgegriffen worden, um ihn als Gefährdung der Meinungsfreiheit zu kritisieren. Da sich nun auch Deutschland als Einwanderungsland versteht und viele etwa einem Ex-Bundespräsidenten als Leistung anrechnen, dass er den Islam zum Teil dieses Landes erklärte, erhält das Phänomen noch verstärkte Aufmerksamkeit. Die Zwiespältigkeit aber bleibt. Denn Sprache soll einem buchstäblich entsprechen und ist kein Kleid der Gedanken, das je nach (Denk-)Mode ausfallen könnte. Einmal mehr wäre auch an die Gefahr von Denkverboten und die Eigendynamik der Sprache, für die nun mal keine Polizei existiert, zu erinnern.
Wörter und Gesinnung
Zudem werden Sexismus oder Rassismus ja nicht eigentlich weitergetragen, wenn man nur bestimmte Wörter gebraucht - auch die vieldiskutierte angebliche Äußerung Rainer Brüderles scheint von der reinen Wortwahl her ("ausfüllen", "Dirndl", "Sie", "auch", "können") eher unbedenklich. Vom Sprachgebrauch auf eine bestimmte Gesinnung zu schließen, wirkt immer problematisch. Darauf wurde ja schon anlässlich des "Wörterbuchs des Unmenschen" von Sternberger, Storz und Süßkind aus dem Jahr 1957 hingewiesen. Weitere Beispiele gefällig? Die vor wenigen Jahren publizierte "Bibel in gerechter Sprache", die eine "Magd" zur "Sklavin" erklärt, Jesus mit "Jüngerinnen und Jüngern" versieht und aus Gott geschlechtsneutral "ErSie" macht oder die Alternative "der Ewige" und "die Ewige" bietet, hat viel Kritik erfahren - schon deshalb, weil die Luther- oder Einheitsübersetzung nun mal die gewohnte, liebgewonnene ist.
Natürlich klingt das Wort "Krüppel" brutal. Aber Otto Dix' "Karten spielende Kriegskrüppel" wirkten nicht schon vom Titel her so kritisch-grotesk deformiert, wenn es "Kriegsversehrte" wären. Und das Wort "behindert" betont schlicht Anderes als "anders begabt". Dieser Begriff wirkt erfunden, aufgesetzt - was freilich nicht umgekehrt heißen soll, politische Aufklärung müsste die Sprache ganz ausnehmen. Missverständnisse gilt es zu vermeiden. "Neger" oder "Mohr" kommen im aktiven Wortschatz ja auch kaum mehr vor. Und wir betonen sicherheitshalber, dass wir schon länger die eigene Alphabetisierung als stellenweise kurios und befremdlich begreifen.
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