Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki verfügte kategorisch, Literatur und Sport sind "feindliche Brüder" und können nicht zusammenkommen. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann sprach von der "Literaturunfähigkeit des runden Leders". Sein Kollege Karl Christian Planck, von Haus aus Naturphilosoph, schimpfte gar über die "Fußlümmelei" - aber das war 1898.
Aus der Sicht mancher Intellektuellen war der Sport mit dem runden Leder wie eine Art Plage über die Menschheit hereingebrochen. Noch Franz Kafka dachte 1923 laut nach: "Vielleicht hört der Fußball jetzt überhaupt auf..." Aber auch solch stille Hoffnung wurde schnell zunichte. Aber schon lange haben wir es nicht mehr nur noch mit der schönsten Nebensache der Welt zu tun. Längst ist der Fußball ein Massenphänomen geworden, bei dem der vermeintliche Gegensatz zur Geisteskultur aufgehoben ist. So konnte der italienische Trainer Giovanni Trapattoni die Jagd nach dem Tor schlicht zur Geisteswissenschaft erheben: "Fußball ist Philosophie. Wenn der Gegner den Ball hat, muss man fragen warum." Und der deutsch-amerikanische Publizist und Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht entdeckte beim Fußball einen "Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen", auf den sich jetzt die Geistes- und Sozialwissenschaftler konzentrierten. Gumbrecht: "Im Team verwirklicht sich eine flexible Modalität erfolgsorientierter Sozialbeziehungen, für die wir keinen alltagssprachlichen Begriff haben, sondern eben nur die Anschauung des Sports." Eben. Den "Geist in den Füßen" hatte auch schon der Dichter Alfred Polgar bei den Fußballern ausgemacht. Und Ringelnatz bedichtete den "Fußball (nebst Abart und Ausartung)".
Der große Rhetor Walter Jens, ein externer Kenner des Fußballs, widmete der legendären Hamburger Fußballmannschaft des TV Eimsbüttel aus den dreißiger Jahren, als Jens jung war, eine Liebeserklärung, aus der seine lebenslange Faszination für diesen Sport sprach: "Wenn ich den letzten Goethevers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können." Der damalige NOK-Präsident Willi Daume bescheinigte dem Gelehrten "mehr Fußballweisheit als die ganze Fifa" zu haben, was heutzutage kaum noch jemand bezweifeln würde.
Schriftsteller vor allem aus Europa und den lateinamerikanischen Ländern haben sich immer wieder mit dem Thema Fußball beschäftigt. Albert Camus, der in seiner Jugend als Torwart bei Racing Universitaire d'Alger spielte, bekannte: "Alles, was ich über die Moral des Menschen weiß, verdanke ich dem Theater und dem Fußball." Und der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy, dessen Bruder Márton in der ungarischen Nationalmannschaft spielte: "Wenn ich nicht gelesen habe, spielte ich Fußball."
Schreibende Fußballfreunde
Die "11 Freunde" können sich also über einen Mangel an Sympathie seitens der Intellektuellen nicht mehr beklagen. Lang ist die Liste derer, die den einst verfemten Proletensport zur Ehre der Fußballaltäre erhoben haben: Nick Hornby mit "Fever Pitch" über das Treiben eines Arsenal-London-Fans, Friedrich Christian Delius und sein "Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" - und natürlich Peter Handkes "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter". Oder Thomas Brussig mit "Leben bis Männer", Ror Wolf mit "Der Ball ist rund" und Ludwig Harig mit seinem Fußball-Sonett "Die Eckbälle von Wankdorf". Diese Fußball-Literatur begnügt sich freilich nicht mit der Darstellung des Spiels. Selten kommt es vor, dass der eine oder andere Spieler oder Spielzug beschrieben wird ("Netzer kommt aus der Tiefe des Raums"). Aber auch den Intellektuellen ist solcherart Koketterie nicht vollends fremd.
So schwärmt Literaturprofessor Gumbrecht von Mesut Özil: "Sein Minimalismus ist eine Variante jenes Grundprinzips, auf das immer schon (bewusst oder unbewusst) anspielte, wer seit der europäischen Renaissance das Wort ,Eleganz' gebraucht hat." Oder die Eloge des französischen Schriftstellers Jean-Philippe Toussaint an seinen Landsmann Zinédine Zidane nach dessen Platzverweis wegen seines Kopfstoßes im Finale der WM in Berlin 2006. "La Mélancholie de Zidane". Und überhaupt scheinen sich auch die Philosophen mit dem einst so verpönten Fußball versöhnt zu haben. Sogar ein Jean-Paul Sartre kam da in seiner "Kritik der dialektischen Vernunft" zu überraschenden Einsichten: "Beim Fußball kompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft." So ist es.
Bekennende Fußball-Literaten
- Peter Handkes "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" aus dem Jahre 1970 wurde später von Wim Wenders verfilmt.
- Nick Hornby schrieb in "Fever Pitch" über das Treiben eines Arsenal-London-Fans.
- Friedrich Christian Delius und sein "Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde".
- Thomas Brussig veröffentlichte 2001 mit "Leben bis Männer" den Monolog eines Fußballtrainers.
- Der französische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint widmete seinem Landsmann nach seinem Platzverweis bei der WM 2006 "La Mélancholie de Zidane".
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