Mannheim. Glitschige Felsen, umgestürzte Bäume, eine mächtige Burgmauer, von Moos bewachsene, weit aufragende Felsen - das ist sie, die wilde Wolfsschlucht bei Zwingenberg. Sie soll Carl Maria von Weber inspiriert haben zu dem Ort, an dem junge Jägerbursche Max bei einem Höllengewitter seine Freikugel bekommt, den Pakt mit Teufel Samiel eingeht und so zum „Freischütz“ wird.
Carl Maria von Weber ist hier gewesen, in Zwingenberg. Ausflugsfahrten von ihm ins romantische Neckartal sind verbürgt, gestartet von Mannheim aus 1810. Der Komponist wohnt seinerzeit, wie Mannheims erster Stadthistoriker Friedrich Walter dokumentiert hat, mit seinem Vater in der Quadratestadt in C 4,12, ist Schüler des Komponisten Abbé Vogler und verkehrt rege im gesellschaftlichen Leben der Stadt - schafft es aber nicht, eine Stelle am Nationaltheater zu bekommen.
Alexander von Dusch, seinerzeit Rechtspraktikant und später bedeutender badischer Diplomat und Politiker, ist sein Freund. Bei einer Tour mit ihm in den Odenwald soll dem damals 24-jährigen Komponisten die Idee zur Oper gekommen sein.
Ein echter Wasserfall
Bis sie fertig ist, vergehen aber zehn Jahre. Am 18. Juni 1821 findet in Berlin die Uraufführung statt. Als 16. deutsche Stadt zeigt Mannheim am 5. Mai 1822 die Oper im Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater. „Mit aufgehobenem Abonnement“ steht über dem Theaterzettel, „Die Freibillette sind für heute aufgehoben“ am Fuß. Das Haus will mit der Premiere viele Einnahmen erzielen.
Die Kritik freilich fällt, anders als nach der Berliner Uraufführung, gedämpft aus. „Mängel und Schönheiten finden sich gleich bedeutend darin“, heißt es, und neben Lob („meisterhaft instrumentiert“) vermisst der Kritiker „mehr fantastisches“ und „wirklich spannende Höhepunkte“.
Der Freischütz - Premiere
- Am Freitag, 8. April, hat der „Freischütz“ in der Fassung vom Musiktheaterkollektiv „Kommando Himmelfahrt“ um 19 Uhr im Nationaltheater unter der Musikalischen Leitung von Roberto Rizzi Brignoli Premiere im Opernhaus.
- Das „Kommando Himmelfahrt“ lässt den „Freischütz“ in einer nahen Zukunft spielen, wo durch Pandemie und Krieg eine patriarchale Weltordnung herrscht, in der es keine Maschinen und keine Wissenschaft mehr gibt. Samiel ist eine Wissenschaftlerin namens Melisa, gespielt von der bekannten Schauspielerin und Faust-Preisträgerin Astrid Meyerfeldt.
- Karten unter der Telefonnummer 0621/16 80 150.
Das Publikum scheint die Oper aber zu mögen, denn 1823 folgen laut Theaterzettel weitere Aufführungen „auf vielfältiges Begehren“. Zwischen 1779 und 1929 liegt der „Freischütz“ an der Spitze der gespielten Stücke, noch vor der „Zauberflöte“. Es gibt mehrere Neuinszenierungen, darunter eine 1833 mit einem echten Wasserfall von Bühnenmaschinist Joseph Mühldorfer - bekannt als der Mann, der auch Wagners „Ring“ in Bayreuth spektakulär umzusetzen versteht.
1929, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, feiert das Nationaltheater den 150. Jahrestag seiner Gründung mit dem „Freischütz“. Es ist eine besondere Aufführung, weil das Theater „um ein Haar“ geschlossen worden wäre, wie Herbert Meyer, der Begründer der heute zu den Reiss-Engelhorn-Museen gehörenden Theatersammlung, 1979 schreibt. Da die Mannheimer protestieren, wurde das „in letzter Minute“ verhindert und jene Oper gespielt, welche das Publikum „besonders liebte“.
In den 1930er Jahren stehen zwei weitere Neuinszenierungen auf dem Spielplan - und dann wieder am 5. September 1943. Sänger Wilhelm Trieloff , seit 1938 auch als Regisseur tätig, führt Regie und gibt selbst den Erbförster Kuno, an seiner Seite so bekannte Namen wie Heinrich Hölzlin, Georg Faßnacht und Max Baltruschat. „Außer Miete“ verkündet der Besetzungszettel, denn es ist der erste Abend der neuen Spielzeit.
Es ist aber auch der letzte Abend. Auf dem Heimweg wird das Publikum vom Heulen der Sirenen überrascht. Es beginnt ein Luftangriff, einer der schlimmsten während des Zweiten Weltkriegs in Mannheim. Von Altistin Irene Ziegler ist ein Augenzeugenbericht überliefert. Sie schildert einen Regen von Brand- und Sprengbomben sowie Feuer im Chorsaal und im Intendantenzimmer des Nationaltheaters in B 3, das am nächsten Morgen nahezu komplett ausgebrannt ist. Ein paar Instrumente, Möbel und Herrenkostüme können gerettet werden, mehr nicht. „Mannheimer, die in dieser Nacht selbst alles verloren hatten, standen weinend vor dem Nationaltheater“, schildert Irene Ziegler die bittere Szenerie vor den Trümmern.
Am 20. Mai und am 9. August 1944 folgen aber noch konzertante „Freischütz“-Abende im Zeughaus in der Besetzung vom September 1943, ehe die Nationalsozialisten allen Theatern ab 1. September 1944 Spielverbot für die Zeit des Krieges erteilen.
Die Mannheimer lassen sich indes nicht unterkriegen - schnell nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es wieder erste konzertante und bald auch szenische Abende in allerlei Provisorien, hauptsächlich im Kino „Schauburg“ in K 1. Auch da darf 1950 ein „Freischütz“ nicht fehlen.
„Werkzertrümmerungstheater“
Zur Wiedereröffnung des neuen Nationaltheaters auf dem Goetheplatz am 13. Januar 1957 steht bewusst ein „Freischütz“ auf dem Spielplan - weil damit eben 1943 die Geschichte des alten Nationaltheaters endet. Intendant Hans Schüler inszeniert im Bühnenbild von Paul Walter. Anfangs, so vermerkt die Kritik, fehlt der Aufführung ein Heldentenor, den das durch den Krieg dezimierte Mannheimer Ensemble erst später wieder aufweist - Wolfgang Windgassen und Jean Cox, danach auch in Bayreuth berühmt geworden, singen in den 1960er Jahren die Rolle des Jägerburschen Max.
1970 folgt wieder eine Neuinszenierung von Paul Hager, dirigiert erst von Generalmusikdirektor Horst Stein und dann von seinem Nachfolger Hans Wallat. Sie sei „großartig wie werkgerecht“, vermerkt Herbert Meyer in der Theaterchronik - und mit ihr erzielt das Mannheimer Ensemble sogar internationale Erfolge: 1974 darf es seinen „Freischütz“ an drei Abenden in Barcelona zeigen.
Den letzten Mannheimer „Freischütz“ inszeniert 2013 - nach 27 Jahren Pause - Armin Holz mit dem Maler Matthias Weischer. Doch sie ist kein Jägervergnügen, wie es im Chor der Jäger in der Oper heißt, sondern „Werkzertrümmerungstheater“, wie der Kritiker dieser Redaktion urteilt und das Publikum mit lauten Buhh-Rufen quittiert. Schon 2015 taucht die Inszenierung nicht mehr im Repertoire auf.
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