Pop - Bruce Springsteen präsentiert in Frankfurt seine bemerkenswert offenherzige und analytische Autobiografie "Born To Run" vor

Der "Boss" lässt tief blicken

Von 
Jörg-Peter Klotz
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So offen wie Bruce Springsteen hier für die Fotografen posiert, so ging er auch mit den Fragen der Musikjournalisten bei einem vorab geheim gehaltenen Pressegespräch in einem Frankfurter Hotel um.

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Bruce Springsteen gilt als unverwüstlicher Rock-Arbeiter. Wohl, weil er bei seinen Marathon-Konzerten immer wirkt, als könne er statt Gitarrensaiten auch Stahlträger biegen. Um herauszuhören, dass ihn wie fast alle Großen der Popgeschichte innere Dämonen, permanente Selbstzweifel und die Sorge um die eigene Relevanz peinigen, aber auch antreiben - dafür muss man schon sehr tief in seine Texte einsteigen. Nun kann man auch seine erstaunlich offenherzige Autobiografie "Born To Run" lesen, die seine Persönlichkeit aufblättert - nun ja - wie ein offenes Buch. Bei der Präsentation des über 670 Seiten starken Werks im Gespräch mit Musikjournalisten in einem Frankfurter Luxushotel ließ er bereitwillig ebenso tief blicken.

Man sieht ihm den Jetlag ein wenig an, aber Hemd und Jackett sitzen tadellos. Und Springsteen gibt sich locker, lacht viel, wirkt sympathisch und bei sich. Obwohl er mit der Situation, vor der Presse über sein Leben plaudern zu müssen, durchaus etwas fremdelt. Doch die Anwesenden lauschen gebannt, viele applaudieren mit glückstrahlenden Fan-Augen und stehen hinterher für Autogramme an. Dabei drängt es Springsteen "in die Bar", wie er sagt. Und tatsächlich steht er dort noch fast eine Stunde mit einem Bier in der Hand und großer Ernsthaftigkeit Rede und Antwort. Bevor er im Schlepptau seines Konzertveranstalters Marek Lieberberg in die Nacht entschwindet.

Familiär verwurzelte Depression

Dass er seit Jahrzehnten unter familiär verwurzelten Depressionen leide, gehört zu den Bekenntnissen, die seit Veröffentlichung des Bestsellers für Erstaunen und Schlagzeilen gesorgt haben. "Ich gehe seit 30 Jahren zur Psychoanalyse, mein erster Arzt ist inzwischen gestorben. Ich bin also schon beim zweiten", erzählt er leicht bitter lachend. Und berichtet auf Nachfrage über seine wechselhaften Erfahrungen mit Antidepressiva.

Aber derlei, sicherlich verkaufsfördernde Geständnisse sind letztlich nur Randgeschichten dieses bemerkenswerten Buches. Es erwuchs aus einem Essay, den Springsteen nach einem Auftritt beim Superbowl-Finale geschrieben hatte: "Dabei fand ich eine Stimme, die ich mochte." Kein Wunder, denn auch als Autor beherrscht er eine bildhafte, nahezu drehbuchreife Sprache, die seine Songs oft wie Roadmovie-Miniaturen wirken lässt. "Wenn man Prosa schreibt, muss man auch darin die Musik finden, den Rhythmus. Erst dann kann man immer tiefer ins Detail gehen", erklärt der Sänger.

Die wirklich gute deutsche Übersetzung transportiert davon viel. Überdeutlich wird die faszinierende Qualität seines Sprachrhythmus aber erst, wenn Springsteen einzelne Passagen auf Englisch vorliest, stets mit selbstironisch inszeniertem Griff zur Lesebrille - dann fühlt man sich auf die Konzerte zurückversetzt oder hat die Live-Platten im Ohr, auf denen er sich zwischen den Liedern immer wieder auch als fesselnder Geschichtenerzähler erweist.

"Wenn man so ein Buch schreibt, muss man bereit sein, sich zu öffnen. Es sollte ehrlich sein und trotzdem diskret." Was durchaus schwierig gewesen sei, "denn ich schreibe ja über Leute, die mir nahe stehen." Und er lässt auch beim teilweise problematischen Umgang mit einzelnen Mitgliedern seiner E Street Band mitunter schonungslos tief blicken. Für Musik-Fans ergeben sich dabei extrem spannende Einblicke in die zwischenmenschliche Dynamik einer Gruppe, die sich zur weltweiten Stadionsensation hochspielte und unter dem immensen Druck dieser Situation die üblichen Zentrifugalkräfte entwickelte - bis hin zur zeitweiligen Kündigung durch ihren restlos entnervten "Boss".

Diese Offenheit ist für Springsteen Grundvoraussetzung dieses Buches. Er habe als Autor die Vereinbarung mit dem Leser, "ihm zu zeigen, wie du denkst und welche Elemente dein kreatives Bewusstsein geformt haben". Das gelingt ihm vor allem beim Blick auf die eigene Familiengeschichte: Wichtig sei ihm gewesen, "dass ich das Leben meiner Eltern etwas beleuchten konnte. Ich habe zwar gute Songs über meinen Vater geschrieben, aber jetzt konnte ich mehr in die Tiefe gehen, wie meine Eltern wirklich waren". Dann liest er eine der bewegendsten Passagen neben der Schilderung der Geburt seines Sohnes Evan - als sein Vater ihm spät eine nie mehr erwartete winzige Geste der Zuneigung und Akzeptanz zuteilwerden lässt. Doch die Pathosgefahr, der seine Musik mitunter erliegt, umgeht der Schriftsteller Springsteen an solchen Stellen immer wieder mit entwaffnendem Humor und köstlicher Selbstironie.

Über seine musikalischen Einflüsse und Erlebnisse schreibt er teilweise brillant, extrem kenntnisreich und mit der analytischen Tiefenschärfe einer "Rolling Stone"-Edelfeder, teilweise mit echter Fan-Inbrunst. So gelingt Springsteen eine sehr lesenswerte Autobiografie, auf Augenhöhe mit den Vorbildern, die er auf Nachfrage nennt: "Ich mochte Dylans ,Chronicles' sehr. Und Keiths Buch. Auch Eric Clapton hat eine sehr schöne Biografie geschrieben."

Zum Buch

Bruce Springsteen: "Born To Run - Die Autobiografie". Heyne Verlag, 672 Seiten, 27,99 Euro.

Das Hörbuch wurde ungekürzt eingelesen von Sänger Thees Uhlmann, der als "deutscher Springsteen" gilt (Random House Audio, 19,99 Euro).

Quasi als Soundtrack zur Lektüre erschien der Sampler "Chapter And Verse" (Columbia) mit insgesamt 18 Tracks aus den Jahren 1966 bis 2012, darunter auch fünf bislang nie veröffentlichte Lieder. Zum Beispiel Raritäten wie "Baby I" und "You Can't Judge A Book By The Cover" von Springsteens erster Band The Castiles oder "He's Guilty (The Judge Song)". jpk

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