Der Mann vom Verfassungsschutz ist ein schmaler Kerl mit einem überdimensionalen, blonden Kind(s)kopf. Dieses Wesen zwischen Mensch und Puppe hütet einen Sack geschredderter Akten und wird von einem Männer-Trio in einem Glashaus hart verhört. Doch mehr als gestammeltes "Mein Amt ist nicht zuständig", "ich verwahre mich" kommt dabei nicht heraus. Dies ist eine der Schlüsselszenen in einer Stückentwicklung am Schauspiel Chemnitz: "Beate Uwe Uwe Selfie Klick". Die Namen deuten auf das Trio Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos des Nationalsozialstischen Untergrunds (NSU) hin; doch ob sie es sind, bleibt offen, es geht um viel mehr - um rechte Strukturen und Verbindungen.
Polizeiakten im Originalton
Die österreichische Autorin Gerhild Steinbuch hat diese "europäische Groteske" geschrieben, Regisseurin Laura Linnenbaum, die die Uraufführung inszeniert hat, hat den Text um Dokumente ergänzt: wohl hauptsächlich Polizei- und Gerichtsakten, deren gestelztes Juristendeutsch in indirekter Rede wiedergegeben wird. Die Szenerie auf der kleinen Bühne des "Ostflügels" des Schauspiels Chemnitz hat etwas von Werkstatt und zugleich Urlaub: Paletten stapeln sich, Akten und Ordner liegen herum, fünf Personen liegen dort.
Sie wollen sich von der Welt und ihren Wirren an den Strand zurückziehen; doch bald schleichen sich Begriffe ein, die die Ferienfassade bröckeln lassen: "dieser unser Boden", in den Koffer kommt neben Sonnenspray und Katzennahrung auch ein Brandsatz und sie wollen hier den "Welthauptstadtstand Europa" buddeln.
Es sind auch fünf Darsteller (Magda Decker, Gerlinde Tschersich, Michel Diercks, Tobias Eisenkrämer, Felix Schiller), nicht nur drei, noch ein Zeichen, dass es um mehr als den NSU geht. Die Uraufführung ist Teil des Theatertreffens "Unentdeckte Nachbarn" in Chemnitz, bei dem es weitere Aufführungen und viele Podiumsdiskussionen zum Thema rechte Szene gibt. Eröffnet wurde das Festival der besonderen Art mit der Kölner Produktion "Die Lücke" von Nuran David Calis, die schon beim Bürgerbühnenfest in Mannheim zu sehen war.
"Beate Uwe Uwe..." bietet vieles: Wie Nachbarschaftsklatsch werden Zeitungsberichte über das Alltagsleben des NSU-Trios verlesen - der Normalbürger delektiert sich daran, den auch das Hitlerbild auf dem Fernseher des Nachbarn nicht stört. Die Männer bewegen im Glashaus eine Puppe, die Beate Zschäpe ähnelt, hin und her, flößen ihr Sekt ein.
Eine der eindringlichsten Szenen: Im Text wird eine Linie von den KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück oder Auschwitz zu heutigen rechten Frauen-Organisationen wie Skingirl-Freundeskreis oder White german girls gezogen - und dazu unzählige braunglänzende Winkekatzen auf der Bühne verteilt. Ein Mann versucht immer wieder, sie in den Karton zurück zu stopfen, doch die anderen holen die Tierchen immer wieder hervor.
Ein starkes Bild in einem, notgedrungen, textlastigen Stück. Es bietet in 90 Minuten keine fertigen Antworten, sucht nach dem "Warum im Außerhalb", zeigt mögliche Strukturen und Unterstützer auf und zieht die Parallele bis hin zu den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. Ob das Thema NSU, der zeitweise in Chemnitz lebte und seine Raubüberfälle vor allem in Südwestsachsen verübte, mit dem Tod von Böhnhardt und Mundlos und der Inhaftierung Zschäpes erledigt ist, beantwortet die Aufführung eindeutig mit Nein. Eine der Fragen, die sie stellt, ist: Was schützt denn nun der Verfassungsschutz?
Die Theateraufführung in Chemnitz
Das Stück: "Beate Uwe Uwe Selfie Klick", Textfassung von Laura Linnenbaum mit Texten von Gerhild Steinbuch und dokumentarischem Material (Polizei- und Gerichtsakten).
Regie: Laura Linnenbaum, Ausstattung: Valentin Baumeister, Puppenbau: Angela Baumgart, Dramaturgie: René Schmidt. Darsteller: Magda Decker, Gerlinde Tschersich, Michel Diercks, Tobias Eisenkrämer, Felix Schiller.
Weitere Aufführungen: 10.11., 1. und 2.12., 17. und 21.1. 2017.
Karten unter Tel. 03 71 / 40 00 430 oder: tickets@theater-chemnitz.de
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