Nachruf - Zum Tode des jüdischen Historikers Fritz Stern / Wohlwollend, aber standfest die deutsche Geschichte und Politik aufgearbeitet

Den Deutschen die Augen geöffnet

Von 
Wolf Scheller
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Fritz Stern (rechts) 2010 mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt (links) und Fernseh-Moderator Reinhold Beckmann (Mitte).

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Der New Yorker Historiker Fritz Stern hat sich im Grunde nie mit etwas anderem als mit Deutschland beschäftigt. Sein umfangreiches Werk galt der politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklung dieses Landes im 19. und 20. Jahrhundert. Vor allem aber ist es ein Werk, das die Rolle des Außenseiters in Deutschland beleuchtet. Es ging Stern um das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen, vor allem in seinem Buch über Bismarck und seinen jüdischen Bankier Bleichröder.

Stern hat mit Sympathie, mit Kritik, mit Wohlwollen auch die Entwicklung Deutschlands vor und nach der Wende verfolgt. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer sprach der aus Breslau stammende Wissenschaftler als erster Ausländer im Deutschen Bundestag zum Gedenktag des 17.Juni 1953. Der Aufstand der Arbeiter in der Ostzone, so meinte er, sei "kein Aufstand für die Wiedervereinigung", sondern ein "Aufstand für ein besseres, ein freieres Leben" gewesen. Viele haben dies in der alten Bundesrepublik nicht gerne gehört. Unbezweifelt aber blieb die Tatsache, dass hier ein Gelehrter sprach, der immer wieder um Vertrauen in die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre demokratische Entwicklung geworben hat.

Gefragt auch bei Thatcher

Fritz Stern gehörte zu jenen sechs Historikern, die Magret Thatcher nach ihrer Meinung über die mögliche Gefahr durch ein wiedervereinigtes Deutschland befragte. Sein Votum fiel eindeutig positiv aus. Niemand -so seine Analyse - habe Grund, sich vor einem vereinten Deutschland zu fürchten. Er sah die in der alten Bundesrepublik vorhandenen demokratischen Strukturen als beständig und effektiv an. Aber Fritz Stern bemerkte auch immer wieder den "greifbaren Mangel an Vertrauen in die politische Führung". Der ständige Niedergang dieses Vertrauens - nicht nur in Deutschland - sei alarmierend, so sein Befund. Stern mischte sich in kontroverse Debatten in Deutschland ein, behutsam, freundlich, aber standfest. So bedauerte er die in Gedichtform geäußerte Kritik von Günter Grass an Israel in der Auseinandersetzung um das Atomprogramm des Iran.

Oft hat Fritz Stern, der als Zwölfjähriger mit seinen Eltern wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Breslau in die Staaten fliehen musste, den biografischen Zugang zu historischen Fragen gewählt. Das ist unter amerikanischen Historikern ohnehin beliebt.

Der vielfach ausgezeichnete Historiker hat an verschiedenen Universitäten gelehrt, zuletzt an der Columbia University in New York. Wenn er im Alter immer wieder zu Themen der deutschen Gegenwart Stellung nahm, dann geschah dies nicht aus einer fernen distanzierten Beobachterposition heraus, sondern auch aus persönlicher Erfahrung. Häufig gelang es ihm, den Deutschen damit die Augen zu öffnen - so auch mit einem seiner letzten Bücher, einem Doppelporträt über die beiden Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi, das er gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth Sifton geschrieben hat. Fritz Stern, 1999 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, starb gestern im Alter von 90 Jahren friedlich zuhause in New York.

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