Berliner Theatertreffen - Das Festival lotet die Möglichkeiten der Bühnenkunst aus und stellt sich auch gleich zur Diskussion

Das Spiel mit dem Spiel

Von 
Wolfgang Bager
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Die Regisseurin Karin Henkel („Beute Frauen Krieg“) wurde am ersten Wochenende mit dem Theaterpreis Berlin geehrt. © T+t Fotografie/Toni Suter/Berliner Festspiele

Was lässt sich aus einem Berliner Theatertreffen nicht alles herauslesen! Die gezeigten „zehn bemerkenswertesten Inszenierungen“ sind weit mehr als nur die Leistungsschau eines Jahres. Vielmehr sagt das Festival auch einiges aus über den Zustand der Theaterlandschaft und die Befindlichkeiten der Gesellschaft. War es in der jüngsten Vergangenheit die Flüchtlingsthematik, die breit auf allen Bühnen behandelt wurde, war es die Suche nach veränderten Spielformen und neuen theatralischen Ausdrucksformen, die Abkehr von Theaterstücken im herkömmlichen Sinn, aber auch die Renaissance des Schauspielertheaters oder die Entdeckung ungewöhnlicher Spielorte – stets durfte man in Berlin erfahren, was die Theaterszene gerade umtreibt.

Das ist in diesem Jahr nicht anders. Neu und auffällig dagegen, dass sich das Theater nun selbst zum Gegenstand seiner Arbeit macht. Allerdings nicht in eitler Selbstbespiegelungsabsicht, sondern es wird die Ausleuchtung aller Möglichkeiten der Bühnenkunst versucht, die Einrichtung von Meta-Ebenen, auf denen das Gezeigte diskutiert und hinterfragt wird. Es geht um das Spiel im Spiel, das Spiel mit dem Spiel. Gut zu sehen ist dies in Thomas Ostermeiers Inszenierung von „Die Rückkehr nach Reims“, nach dem Roman von Didier Eribon an der Berliner Schaubühne. Dass im Theater Romane dramatisiert werden, ist nicht neu.

Vom Ausgangsstoff entfernt

Doch Ostermeier dreht den Gattungswechsel gleich doppelt weiter. Er erfindet eine Rahmenhandlung, in der ein filmisches Essay über Eribons Roman im Studio vertont werden soll. Das Publikum beobachtet eine Sprecherin (Nina Hoss), den Aufnahmeleiter (Bush Moukarzel) und einen Studiotechniker (Ali Gadema) bei der Arbeit. Die Sprecherin stellt im Essay Widersprüche zwischen Wort und Bild fest, es entwickelt sich eine Auseinandersetzung mit Eribons Werk, aber auch mit dem eigenen Text. Schließlich tritt die Schauspielerin Nina Hoss aus ihrer Rolle heraus und spricht über Parallelen des Literaten Eribon zu ihrem Vater, dem früheren Grünen-Politiker Willi Hoss.

Das Schauspielhaus Zürich zeigt die Euripides-Tragödie „Die Troerinnen“ und diskutiert sie auch. „Beute Frauen Krieg“ von John von Düffel bricht in der Inszenierung von Karin Henkel (die mit dem Theaterpreis Berlin geehrt wurde, der mit 20 000 Euro dotiert ist) mit der alten Aufführungspraxis, wonach griechische Heldensage aus männlicher Sicht überliefert wird, sondern nimmt zunächst die Perspektive der gedemütigten und geschändeten Frauen ein. Erst im zweiten Teil darf sich Feldherr Agamemnon erklären, wobei seine Rechtfertigungen fatal an die Rhetorik gegenwärtiger Politiker erinnern. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung erlebt das Publikum überdies eine neue Form der Vermittlung. Jeder Zuschauer hört die Schauspieler ganz intim über Kopfhörer, deren Klagen, Wispern oder Seufzen. Dann wird die Bühne dreigeteilt, im akustischen und optischen Separee spielt die Geschichte von Andromache, von Helena und Kassandra erzählt. Nach 30 Minuten werden die Plätze gewechselt, bis alle Zuschauer in allen drei Räumen gewesen sind. Die griechische Tragödie als begehbares Triptychon.

Umzug kostet 500 000 Euro

Nicht mit neuen, sondern mit alten, traditionellen Seh-Erfahrungen spielt Christopher Rüpings Inszenierung von Brechts „Trommeln in der Nacht“ von den Münchner Kammerspielen. Zitiert wird zunächst Otto Falckenbergs Uraufführung aus dem Jahr 1922, um diese dann mit Neonlicht, Trockennebel und anderen Errungenschaften moderner Bühnentechnik aufzubrechen.

Bei so viel Selbstreferenz war es folgerichtig, das 55. Berliner Theatertreffen mit Frank Castorf und dessen „Faust“-Inszenierung zu eröffnen. Eine 25-jährige, schon beendete Ära lebte wieder auf, für knapp sieben Stunden im Berliner Festspielhaus. Castorfs Stolz verbot allerdings die Aufführung in der angestammten Volksbühne. 500 000 Euro haben sich die Festspiele den Umzug der aufwändigen Inszenierung kosten lassen. Rund um das Festspielhaus kleben Plakate. „Faust komm zurück, Frank komm zurück“, steht da in der früheren volksbühnen-typischen Frakturschrift – das Theatertreffen spiegelt eben auch immer die Befindlichkeiten einer Gesellschaft.

55. Berliner Theatertreffen

Bis 21. Mai werden zehn Inszenierungen gezeigt, die von einer siebenköpfigen Jury aus 409 Produktionen im deutschsprachigen Raum ausgewählt wurden.

Das Festival wird veranstaltet von den Berliner Festspielen und gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Zum Theatertreffen gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Diskussionen, Preisverleihungen, Publikumsgesprächen, Filmen, Premierenpartys und Konzerten. Online sind alle Vorstellungen ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse.

Das Programm unter: www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen.

Freier Autor Wolfgang Bager ist freier Kulturjournalist und lebt in Berlin. Nach abgeschlossener Buchhandelslehre in Villingen-Schwenningen und Studium der Germanistik und Philosophie in Heidelberg (Magister) hat er beim Südkurier in Konstanz seine journalistische Ausbildung absolviert, war dort Redakteur in der Politikredaktion und von 1993 bis zu seinem Ruhestand 2015 Leiter der Kulturredaktion. Seit 2016 berichtet er als freier Journalist für den Mannheimer Morgen und den Südkurier Konstanz über kulturpolitische Themen aus Berlin.

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