Mannheim. Es gibt immer viel Genörgel darum, dass Mannheim den Titel Unesco City of Music trägt und ob genug aus der Mitgliedschaft in diesem internationalen Netzwerk gemacht wird. Oft sind es die kleinen Abende im Konzertprogramm, die diese ermüdenden Debatten deplatziert erscheinen lassen: Denn letztlich sind es die Musikschaffenden und ihr Publikum, die solche Etiketten mit Leben füllen - und Mannheim zur Musikstadt machen. Auch ohne Stempel der Weltkulturorganisation. Perfektes Beispiel: Der Freitagabend im Rampenlicht im Casino des Capitols mit einem Live-Einblick in Jil Papperts Arbeit an ihrem Debütalbum, das Ende Oktober aufgenommen werden soll und von einem Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg ermöglicht wird.
Ein Ausrufezeichen für eine City of Music ist allein schon die Besetzung, von der sich die 27-jährige Jazzsängerin begleiten lassen kann - in Qualität und Quantität. Auf der kleinen Bühne drängt sich fast schon in Kuschel-Abstand ein hochkarätiges Septett. Und sowohl die Master-Studentin mit Bachelorabschluss am Mikrophon als auch ihre sechs Begleiter haben alle Bezug zur Mannheimer Musikhochschule. Hier drängt die nächste Generation des Jazz-Studiengangs buchstäblich ins Rampenlicht.
Nicht nur der hochdekorierte Pianist Lukas DeRungs beeindruckt
Mit Lukas DeRungs tastet sich beim Auftakt-Song „Running“ ein Pianist als Erster ins Konzert, der bereits für den Deutschen Jazzpreis nominiert war. Mit dem beeindruckenden Schlagzeuger Jakob Dinnebier bildet er oft auch eine perkussive Flügelzange auf Champiions-League-Niveau. Souverän flankiert von Constantin Herzog am E-Bass. Saxophonist David Sanwald und Gabriel Rosenbach (Trompete, Flügelhorn) erweitern das Klangspektrum enorm; genau wie der frisch zu Papperts 2023 gegründeter Band gestoßene Dilsberg-Stipendiat Bjarne Sitzmann an der Gitarre.
Apropos frisch und typisch Jazz: Die Songs, die zu 70 Prozent von der Bandleaderin stammen, wurden zum Großteil nur einmal geprobt - und fast alles funktioniert wie auf Schienen. Typisch Mannheim: Alle, auch ein schon relativ hochdekorierter Musiker wie DeRungs, stellen sich ambitioniert und ohne große finanzielle Erwartungen in den Dienst ihrer Kollegin und Kommilitonin. Auch typisch Quadratestadt: Das Publikum ist fachkundig und trotzdem extrem unterstützend - bis hin zu spontanen Entzückenschreien. Und nicht in jeder Stadt öffnet sich ein Restaurant freitags für ein Live-Konzert mit ambitioniertem Jazz, der sich nicht komplett den üblichen Hörgewohnheiten andient. Angesichts der vielen bekannten Gesichter unter den Zuhörenden sagte Pappert: „Ich bin ein bisschen aufgeregt und gespannt. Ich vertraue dieser Band sehr. Aber ich muss auch mir vertrauen“ - so offen gestaltet sie auch ihre Texte.
Die Sängerin glänzt auch als Kompononistin und Arrangeurin
Besonders eindrucksvoll: Die Bandleaderin hat ihre Songs nicht nur komponiert und mit sehr persönlichen, hörenswerten Texten wie in „Realize“ veredelt. Selbst die Bläser-Arrangements stammen von ihr. In ihrem Kerngeschäft hat die Sängerin in den vergangenen Jahren enorm an Ausdruckstiefe gewonnen. Manche Dinge lernt man im Leben, da kann die Musikhochschule nur beim Übersetzen helfen. Pappert kann als Sängerin fesselnd Geschichten erzählen und beeindruckt stimmlich. Aber nicht mit vordergründigen Zirkusnummern am Oktaven-Trapez. Sie demonstriert fast beiläufig die Bandbreite und Kraft ihrer Stimme. An erster Stelle steht die Songdienlichkeit.
Da ist es egal, ob sie es bei der Interpretation gut ausgewählter Standards eher vom Rande des American Sonbgbooks wie „Nature Boy“ oder „Detour Ahead“ mit Ikonen wie Nat King Cole, Ella Fitzgerald oder Billie Holiday aufnimmt - hier funktioniert die Band auch als Quartett nur mit Drums, Bass und Klavier. Oder Ansätze von Nu-Soul-Größen wie Erykah Badu und Mayer Hawthorne kombiniert. In der Schlussnummer „The Gift (Window Pane)“ betreibt sie eine Art kreatives Recycling aus älterem eigenen Material.
Ihre eigenen Songs setzen auf der US-Balladentradition auf, sind aber auch offen für tanzbaren Groove, der immer wieder für Bewegung sorgt. „New Urban Jazz“ nennt sie ihren Sound treffend. Erscheinen soll das als CD im Frühjahr 2024. Der Albumtitel ist öffentliches Geheimnis - „soll ich ihn jetzt schon verraten? Könnt ihr das für Euch behalten?“, fragt sie scherzhaft. Und verrät ihn gegen Ende ihrer vielversprechenden Werkschau doch: „Public Secret“.
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