Auszeichnung

Christian Petzold erhält Mannheims Schillerpreis - und dankt der alten SPD fürs BAföG

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Nachdem Oberbürgermeister Peter Kurz, Schauspielerin Barbara Auer und ihr Kollege Matthias Brandt den neuen Schillerpreis-träger mit Worten und Musik gewürdigt hatten, dankte Christian Petzold unter anderem für BAföG. © Stadt Mannheim,/Lys Y. Seng

Der Gemeinderatsbeschluss wurde schon kurz vor Weihnachten 2019 auf den Weg gebracht, die Preisverleihung sollte ursprünglich im März 2020 stattfinden. Warum das nicht geklappt hat, wissen wir gerade jetzt wieder besonders gut. Die Schillerpreis-Verleihung kann im Nationaltheater Mannheim aus Corona-Gründen nur in abgespeckter Form stattfinden. Sozusagen „trotzdem“, wie vom Schauspiel-Intendanten Christian Holtzhauer mit einem Querverweis auf Friedrich Schiller ausgeführt wird. Eines Preispatrons und (Freiheits-) Dichters, der die „Fieberkrämpfe der Epoche“ durch Vernunft kurieren wollte. Das war bereits damals ziemlich optimistisch. Ob die Medizin „Vernunft“ 2021 wirken kann?

Gesellschaftliche Wirksamkeit

Im Schauspielhaus zumindest sind die Leute sehr vernünftig: Sogar für die Fotos mit dem Preisträger, dem Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold, gilt die absolute Maskenpflicht. An einem Ort, der der Verständigung verpflichtet und laut Oberbürgermeister Peter Kurz auch eine Art gebautes Gleichheits-Ideal sei (was ihn sehr sanierungswürdig macht, darf sich das Publikum dazu denken). „Gesellschaftliche Wirksamkeit“, sagt Kurz, sei stets ein Anspruch an die Schillerpreisträger, bei Christian Petzold werde er erfüllt. Obwohl es bei ihm keine Grellheiten, stattdessen eher einen „experimentellen Realismus“ gebe. Inklusive einer starken „Sympathie für Nichtverwurzelte“. Das stimmt: Die Filmfiguren Petzolds scheinen immer unterwegs zu sein. Und nie so richtig anzukommen.

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Kurz erklärt, dass Petzold einen wesentlichen Beitrag zur „Erneuerung des deutschen Films“ geleistet habe. Er wird der „Berliner Schule“ zugerechnet, die sich in den 1990ern formiert hat. Das ist ziemlich lange her. So lange fast, wie Barbara Auer in den Filmen Petzolds mitspielt: „Cuba Libre“ habe sie noch knapp verpasst, „Die innere Sicherheit“, wo Auer neben dem Mannheimer Richy Müller auftritt, war dann ihr Debüt. Der Regisseur pflegt langanhaltende Beziehungen zu seinen Schauspielern, Barbara Auer ist ihm unverändert eng verbunden und hält bei der Preisverleihung die Laudatio. Rühmt den „Meister der spartanischen Ästhetik“, die Dezenz und Präzision von Petzold, seine „Achtsamkeit für Räume und Figuren“. Die Figuren gingen nie in der Geschichte auf, sagt Auer, nicht einmal in den drei Edel-Folgen aus der Fernsehkrimiserie „Polizeiruf 110“, die Petzold drehte. In der Hauptrolle ein von Matthias Brandt gespielter Kommissar, der „nie ein Teil von etwas wird“, wie Auer sagt. Er sei ein immer Außen-Stehender. Petzold entwickele ein Krimi-Kammerspiel: „Man will bei ihm nicht wissen, wer der Mörder war.“

Der Mann, der diesen Mörder dennoch kennt und findet, ist im Schauspielhaus vor Ort: Matthias Brandt, der alte Freund der Stadt und ehemalige Ensemble-Schauspieler des Nationaltheaters. Brandt hat mit „Voice-over“ eigens für den Anlass eine etwa viertelstündige Performance vorbereitet, eine Wort-Musik-Collage, die auf den Petzold-Film „Transit“ Bezug nimmt - eine Fluchtgeschichte nach einem Roman von Anna Seghers.

Es ist die Vertonung einer Schlüsselszene, die als Liebesszene anzufangen scheint, aber als Abschiedsszene endet. Die „Voice-over“-Technik ist von Haus aus eine über eine Filmszene gelegte Stimm- und Tonaufnahme. Brandt bringt für die Aufführung in Mannheim seinen Pianisten-Freund Jens Thomas mit, der sich als Tasten-Flüsterer bewährt, aber auch wispert, pfeift und sogar singt: die ins Französische gebrachte Variante seines selbstverfassten Titels „Wenn es so weit ist“. Das passt, denn die erwähnte Abschiedsszene spielt in Christian Petzolds „Transit“-Film im südfranzösischen Marseille.

Nach alledem, also nach Lobpreisungen und Performance, ist der Regisseur doch etwas angefasst. Und geizt nicht mit Bekenntnissen, auch zu der alten Frage: Lieber Goethe oder Schiller? Da geht es ums Ganze, es ist fast wie: Bayern München oder Dortmund? Was die beiden Geistes-Helden angeht, habe er von Goethe eine Prachtausgabe, während er von Schiller höchstens ein paar alte Reclam-Bändchen hinten im Regal verstecke. Er, „ein Germanist mit Abschluss“, kenne diesen Schiller kaum mehr, und das sorgt beim skrupulösen Petzold durchaus für Gewissensbisse: Darf er diesen Preis in Mannheim überhaupt entgegennehmen?

Darf er selbstverständlich doch. In letzter Zeit prasselt ein wahrer Preis-Regen auf Petzold nieder. An der Wiege wurde ihm das nicht gesungen, er kommt aus bescheidenen Verhältnissen, wie man so sagt. Er hat es nicht vergessen - und bedankt sich bei der Preisverleihung nicht bei seinen Eltern, sondern bei der SPD: für deren Einführung des Schüler- und Studenten-BAföG. Vor bald 50 Jahren. Ohne BAföG gäbe es wohl keinen Filmemacher Christian Petzold. Dieses Lob der SPD („damals noch mutig“) habe er sich vor zwei Jahren überlegt, als die Partei scheinbar todkrank darniederlag. Doch heute, da die SPD wohl bald den Kanzler stelle, wirke es fast angepasst. Und angepasst ist Christian Petzold äußerst selten.

Erlesene Vorgänger

Seit 1954 wird der Schillerpreis von der Stadt Mannheim an Persönlichkeiten von besonders großer kultureller Wirkungsmacht verliehen. In „normalen“ Zeiten gibt es ihn alle zwei Jahre, in Verbindung mit inzwischen 20 000 Euro Preisgeld. Seine Preisträger und -trägerinnen lesen sich wie ein Who’s Who. Zu nennen wären etwa Mary Wigman, Friedrich Dürrenmatt und Golo Mann, oder auch Peter Stein und Peter Handke.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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