Während Casper zwischenzeitlich besorgniserregend dünn geworden war und über eine Depression (namens Deborah) sang, nahmen seine Klanglandschaften immer opulentere Ausmaße an. Auf seinem bislang letzten Soloalbum „Lang lebe der Tod“ ließ das wandelnde Musiklexikon das 2017 fast feuilletonistisch eskalieren. 2018 folgte mit Kumpel Marteria der überladene Glam-Hip-Hop von „1982“. Das hatte an vielen Stellen beeindruckende Momente, aber mittlerweile vermisst man doch die emotional fesselnden Song-Drehbücher der Meilensteine „XOXO“ (2011) und „Hinterland“ (2013). Auf Letzterem hatte der Rockrapper sein Klangspektrum zum großen Teil in Mannheim mit Hilfe der Popakademiker Markus Ganter und Konstantin Gropper (Get Well Soon) enorm erweitert.
Jetzt deutet es der ansatzweise positive Titel „Alles war schön und nichts tat weh“ schon an: Auf seinem neuen Album macht Casper einen Schritt zurück und damit nach vorn in Richtung Ausgeglichenheit.
Das heißt: Lieder wie die nostalgische Krankengeschichte „Fabian“, der Kriegsveteranen-Song „Billie Jo“, die Ostwestfalen-Reminiszenz „Zwiebel & Mett“ oder das erschreckend tagesaktuelle Flüchtlingsdrama „Das bisschen Regen“ fokussieren textlich wieder voll auf große Geschichten in kleinen, plastischen Szenen. Gleichzeitig gibt es wieder etwas puristischeren Rap, in „Mieses Leben/Wolken“ auch mal mit einem absolut zwingenden Trap-Beat nach einem fast kinderliedhaften, betörenden Refrain von Deutsch-Rap-Senkrechtstarterin Haiyti.
Der potenziell größte Live-Abräumer „Gib mir Gefahr“ ist eigentlich ein ziemlich poppiger Geradeaus-Rocker, wird aber von Kraftklub-Frontmann Felix Brummer alias Kummer energetisch und durch Julian Schmyts Gesang melodisch aufgeladen. Da es ganz schlicht für Casper nicht mehr funktioniert, bricht ein Drum-&-Bass-Beat den Fluss, bevor es langweilig werden könnte.
Der Mix aus unzähligen Stilen, ganz kleinen akustischen Formen und der vollsten Kapelle, die elektronische Produktionskunst mit Autotune und Co. heutzutage so hergibt, ist wohl einzigartig. Dazu trägt auch die extrem spannende und breitgefächerte Gästeliste bei, die Produzent Max Rieger und Casper aber trotz allem auf einen gut durchhörbaren Album-Nenner bringen.
Explizit geht das beim zweiten Song „Lass es Rosen für mich regnen“ mit Provinz-Sänger Vincent Waizenegger und Lena Meyer-Landrut los, der auch die letzten Töne des hoffnungsfroh ausklingenden Schlusssongs „Fabian“ gehören. Dazwischen tummeln sich Rapper Tua, Haiyti, Kummer und Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß alias Teute in der Belcanto-Form des späten Bono („Euphoria“).
Beiträge von Drangsal und Mayr
Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs: In den ausführlichen Credits auf den Innenhüllen der Doppel-LP finden sich weitere spannende Kreative von Rapper Ahzumjot und Violinist Sam Vance-Law über Sänger Daniel Stoyanov und DJ Illvibe von Seeed, Star-Produzenten wie The Krauts, Djorkaeff & Beatzarre bis zum Herxheimer Drangsal und zu Songwriterin Alex Mayr und ihrem Schlagzeuger Konrad Henkelüdeke aus Mannheim. Wohl dem, der solche Kontakte hat– und sie auch noch zu nutzen versteht. Der 1982 als Benjamin Griffey geborene Casper reicht mit seinem fünften Werk zwar nicht ganz an seine zwei gegensätzlichen Meisterwerke heran, führt darauf aber ihre Qualitäten so konsequent wie gelungen zusammen.

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