Springsteen live

Bruce Springsteen: Der Boss mischt den Hockenheimring auf

Es war eine der größten Rock-Shows des Jahres in der Region. Bruce Springsteen lieferte ein fulminantes und besonderes Konzert vor rund 80 000 Zuschauern. Größte Überraschung war ein 50 Jahre alter Song

Von 
Bernhard Zinke
Lesedauer: 
Eine emotionale Achterbahnfahrt auf dem Hockenheimring: Bruce Springsteen. Im Hintergrund Schlagzeuger Max Weinberg. © Dorothea Lenhardt

Hockenheim. Rock’n’Roll ist Arbeit. Harte Arbeit. Wenn sich der „Boss“ die Fender Telecaster-Gitarre umschnallt und ans Mikrofon tritt, dann spannen sich die Sehnen und Adern in seinem Hals. Sie werden fast drei Stunden lang keine Entspannung finden. Aber Arbeit kann ja auch Spaß machen. Bruce Springsteen hat am Freitagabend am Hockenheimring - erkennbar - jede Menge Spaß. Und mit ihm die allermeisten der geschätzt 80 000 Zuschauer. Nur bei denjenigen, die es erst zum Ende des regulären Sets gegen 21.45 Uhr in den Innenraum des Motodroms geschafft haben, dürfte sich die Freude in engen Grenzen halten. Immerhin: Sie bekommen sechs Zugaben mit, darunter die ganz großen Hits wie „Born To Run“, „Glory Days“ und „Dancing In The Dark“.

Ausnahmezustand auf den Straßen - auch der Heimweg wird zur Tortur

Weil auf den Straßen und Autobahnen rund um den Ring in Hockenheim ab Freitagnachmittag Ausnahmezustand herrscht, der Stau auf der A6 bis ans Mannheimer Kreuz reicht und es auch auf der Salierbrücke in Speyer kaum vorangeht, entscheidet Veranstalter Live Nation, den für 19 Uhr angesetzten Konzertbeginn um eine halbe Stunde zu verschieben. Auch der Heimweg wird später für viele eine mehrstündige Tortur werden.

Fotostrecke

Bruce-Springsteen-Konzert am Hockenheimring

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
8
Mehr erfahren

Die Mitglieder der legendären E Street Band betreten um 19.30 Uhr nacheinander - jeweils heftig bejubelt - die Bühne. Zuletzt kommt Springsteen. Seine knappe Begrüßung „Hockenheim! One, Two, Three, Four“ ist der Auftakt zur größten Rock-Show der Region in diesem Jahr. Sein erster Song ein Statement: „No Surrender“ - niemals aufgeben!

Sound ist für ein Konzert dieser Größe sensationell

Klar spurtet der Boss mit 73 Jahren nun nicht mehr von der rechten Bühnenseite zur linken und wieder zurück. Aber es ist immer noch sehr viel Energie im Spiel. Schon bei der zweiten Nummer „Ghost“ vom 2020er Album „Letter to You“ hat er die Menge, da wo er sie haben will: Ein Meer aus Händen reckt sich in die Höhe und klatscht mit. Spätestens da haben auch die Tontechniker den Sound im Griff. Der ist für ein Open Air dieser Größenordnung nahezu sensationell. Kristallklar klingen die Bläser- und Chorsätze der in der Spitze 19-köpfigen Band (inklusive Boss), etwa bei „Working On The Highway“. Es gibt lediglich - vor allem weiter hinten im Motodrom - eine Zeitverzögerung zwischen Ton und Bild auf den drei mächtigen Leinwänden. Ein technisch kaum lösbares Dilemma. Auch stimmlich muss sich der Boss erst finden. Dutzende Konzerte einer Welttournee hinterlassen Spuren, die aber bald weggesungen sind.

Vor dem Konzert: Alles füllt sich - allerdings nicht schnell genug. © Zinke

„Letter To You“ mit Untertiteln

Mehr als eine halbe Stunde rockt Springsteen nach vorne, nahezu ohne Stopp zwischen den einzelnen Songs. Doch soll bei aller Party auch die Botschaft der Texte nicht untergehen. Deshalb wird die - sehr wörtlich und deswegen sprachlich etwas holprige - deutsche Übersetzung von „Letter To You“, einem Song aus dem gleichnamigen 2020-er Album über die Bedeutung und Kraft der Kommunikation als Untertitel auf den Leinwänden mitgeliefert.

Nach knapp 50 Minuten kommen die Feinschmecker auf ihre Kosten: „Kitty’s Back“ ist ein 50 Jahre alter Song über ein Trash-Girl. Es hat bislang nicht oft auf der Setliste eines Springsteen-Konzerts gestanden. Erst jetzt hat es der Boss wieder für seine Welttournee ins Programm genommen. Und das ist ganz großes Kino für die Ohren. Bietet die locker 15 Minuten lange Version der E Street Band doch alle Gelegenheiten, ihre ganze solistische Klasse zu präsentieren. Nach einem bluesigen Intro shuffelt sich die Band flott nach vorne und spielt sich die solistischen Bälle. Am Ende übernimmt der Boss: Nach flotten Fingerspielen der Mitstreiter lässt er die Hand sekundenlang auf einem Akkord stehen. Seine Telecaster dröhnt sirenengleich durchs Motodrom, bevor auch er dann flott übers Griffbrett fegt.

Mehr zum Thema

Motodrom

Liveblog: Bruce Springsteen auf dem Hockenheimring

Veröffentlicht
Von
Matthias Mühleisen , Henrik Feth und Christina Eppel
Mehr erfahren
Musik

„Viernheimer Beatles“ auf der Sommerbühne in Viernheim

Veröffentlicht
Von
Othmar Pietsch
Mehr erfahren

Bruce Springsteen übernimmt die wesentlichen Soli selbst

Überhaupt auffällig: Springsteen übernimmt beim Konzert die wesentlichen Soli selbst. Seine Gitarrenkollegen Nils Lofgren und „Little Steven“ Van Zandt - sie sind ja nicht gerade No Names der Branche - übernehmen überraschend oft den Part der Rhythmus-Gitarristen, kommen selten dazu, ihr Potenzial zu zeigen. Die E Street Band hat da ein echtes Luxus-Problem.

Ein weiteres Glanzstück des an Höhepunkten nicht eben armen Abends ist der Commodores-Klassiker „Nightshift“. Der Boss hat bekanntlich auf seinem jüngsten Studioalbum „Only The Strong Survive“ den R’n’B und Soul für sich entdeckt. Die Live-Version zeigt: Das ist ein Herzensthema für den Rock’n’Roller: Mit sanftem Reibeisen, geschlossenen Augen und hochkonzentriert intoniert Springsteen den Song. Aber auch Chorsänger Curtis King Raum darf mit einem grandiosen Falsett glänzen.

Hockenheimring

Bruce Springsteen begeistert seine Fans

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
19
Mehr erfahren

Durchchoreografierte Show - Springstreen kommt dennoch authentisch rüber

Natürlich ist der nahezu dreistündige Abend eine bis ins Detail durchchoreografierte Show. Das wird unter anderem deutlich, als Springsteen seine einzige wirklich lange Ansprache ans Publikum mit deutschen Untertiteln übersetzen lässt. Es ist der emotionale Rückblick des Rockmusikers, der nun der letzte Überlebende seiner ersten Band Castiles ist. Die 80 000 Menschen kleben an seinen Lippen, wenn er bei „Last Man Standing“ alleine mit Gitarre, nur unterstützt von Trompeter Barry Daniellian, seine Gedanken kreisen lässt. Ja, es ist durchchoreografiert, aber Springsteen kommt authentisch rüber.

Bruce Springsteen: Setlist & Besetzung

Hauptteil:

  1. No Surrender (1984)
  2. Ghosts (2020)
  3. Prove It All Night (1978)
  4. Letter To You (2020)
  5. The Promised Land (1978)
  6. Out In The Street (1980)
  7. Darlington County (1984)
  8. Working On The Highway (1984)
  9. Kitty's Back (1973)
  10. Nightshift (2023, Original: The  Commodores)
  11. Mary's Place (2002)
  12. The River (1980)
  13. Last Man Standing (2020)
  14. Backstreets (1975)
  15. Because The Night (1986, erste Veröffentlichung: Patti Smith Group)
  16. She's The One (1975)
  17. Wrecking Ball (2009/Studioversion 2012)
  18. The Rising (2002)
  19. Badlands (1978)
  20. Thunder Road (1975)
     Zugabe
  21. Born To Run (1975)
  22. Bobby Jean (1984)
  23. Glory Days (1984)
  24. Dancing In The Dark (1984)
  25. Tenth Avenue Freeze-Out (1975)
  26. I'll See You in My Dreams (2020)

Die Besetzung der Welttournee 2023

Bruce Springsteen –Gesang, Gitarren, Harmonika
Roy Bittan – Piano, Synthesizer, Akkordion
Nils Lofgren – Gitarren, Background-Gesang
Patti Scialfa – Background-Gesang, Akustikgitarre
Garry Tallent – Bass, Background-Gesang
Steven Van Zandt – Gitarren, Background-Gesang
Max Weinberg – Schlagzeug
Jake Clemons – Saxofon, Background-Gesang
Soozie Tyrell – Geige, Akustikgitarre, Percussion, Background-Gesang
Charles Giordano – Orgel, Akkordeon, Glockenspiel
Lisa Lowell – Background-Gesang
Michelle Moore – Background-Gesang
Ada Dyer – Background-Gesang
Curtis King Jr. – Background-Gesang
Ed Manion – Tenor und Bariton-Saxofon, Percussion
Ozzie Melendez – Posaune
Curt Ramm – Trompete
Barry Danielian – Trompete
Anthony Almonte – Percussion, Background-Gesang

 

Am Ende des Sets stehen mit „Badlands“ und „Thunder Road“ zwei uralte Songs, nochmals gespielt mit dem Druck einer Dampframme. Es dauert keine zwei Minuten, da ist die Band zur Zugabe wieder auf der Bühne, haut dem Publikum die nächsten großen Hits um die Ohren. Bei „Glory Days“ reißt sich der Boss ironisch grinsend das schwarze Hemd auf und zeigt die immer noch gut ausdefinierte Brust. Ganz am Ende steht die Hommage an den verstorbenen australischen Freund Michael Gudinski: nur der Boss und seine Gitarre - der ergreifende Schlusspunkt einer Achterbahnfahrt auf dem Hockenheimring.

26 Songs umfasst am Ende die Setliste. Viele Hits, darunter „Born In The U.S.A.“, „I’m on Fire“ oder „My Hometown“ haben es nicht drauf geschafft. Auch das ein Statement: Durchdachte Dramaturgie statt reine Best-of-Show!

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen