Pro-Stimme »Pro: Ich umgebe mich mit Dingen zu denen ich positive Bezüge habe«
Zugegeben, ich war immer einer, der dachte, er sei, was er denkt und tut. Zu kompliziert? Ganz einfach: Ich bin, was ich denke und tue. Aber was ich denke und tue, darauf hat mein Umfeld maßgeblich Einfluss. Deswegen umgebe ich mich beim Wohnen und Arbeiten mit Dingen, zu denen ich positive und anregende Bezüge habe: Dinge der Kultur und Kunst, denn: Die Kunst ist mir ein jubelndes Fest des freien Willens. Eine der besten Verführerinnen zum Leben.
Ein Schwenk in die Natur: Gehe ich im Pfälzerwald zwischen Buchen, Kiefern, Eichen und Fichten spazieren, höre Vögel zwitschern, spüre weichen Waldboden unter meinen Füßen, atme frische Luft, so habe ich andere Gedanken, als wenn ich über den Heidelberger Bismarckplatz streife und über die charakterarmen Bausünden der jüngeren Vergangenheit staune. Was um mich ist, wird Teil meiner Gedankenwelt, wird Teil von mir.
Beim Wohnen ist es ähnlich. Die Bücher, Schallplatten, Bilder oder Musikinstrumente um mich herum geben mir ein Gefühl der Verbundenheit, Verbundenheit zu den eigenen Wurzeln, zur Gemeinschaft und Kultur. Zugehörigkeit. Was um mich herum ist, bin ich, weil es zu meinem Seelenleben gehört und ich mit den Geschichten, Gedanken, Klängen oder Bildern eine intensive Zeit des Lebens geteilt habe – sie sind wie ein Erinnerungsfoto von geliebten Menschen, das mich anregt, wieder mal an sie zu denken. Oder anzurufen. Klar: Ein Buch ist nur ein Buch. Wenn ich es aber aus dem Regal ziehe, werde ich einer, der ich einmal war, strömen Bilder durch meinen Kopf und Klänge, ich sehe mich, wie ich als 20-Jähriger den US-Literaten Thomas Pynchon für mich entdeckt und welche Musik ich dabei gehört habe. Oder James Joyce. Oder ich rufe, wenn ich den Buchrücken sehe, mal wieder Thomas Manns „Zauberberg“ oder „Doktor Faustus“ an, öffne den Band und sehe mit Verwunderung, welche Passagen ich vor 40 Jahren markiert habe. Eine Reise in die Vergangenheit. Ein Stück Erinnerungskultur.
Nein: Ich bin kein Digitalisierungsgegner, aber einen Nachteil hat sie: Die Gefahr des Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn ist groß. Wenn ich in fremde Wohnungen oder Häuser komme, ist für mich der Blick ins Bücherregal obligatorisch und oft Anfang anregender Gespräche. Ich suche nach sozialen Codes, nach Überraschungen: „Ach, du hast auch Ulla Hahns ‚Ein Mann im Haus’ gelesen – brutales Buch, oder?“ Ich bin sofort mitten im Austausch. Daten auf Geräten können das nicht.
Ich konsumiere auch digital. Musik. Filme. E-Books. E-Paper. Nicht so viel. Ich habe auch gelesen, dass Streamen und E-Books-Lesen umweltfreundlicher sind, als die Daten und Buchstaben auf Plastikscheiben oder in Papierstapel zu bannen. Allerdings wendet sich die Emission bei mehrmaliger Nutzung. Die Zahlen dazu differieren je nach Quelle. Aber bestimmte Bücher von mir sind ganz sicher umwelttechnisch längst „abgeschrieben“.
Natürlich: Medien sind auch nur Dinge. Sie gehören zum positivistischen Teil der Welt. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liegt hingegen in unseren Gedanken. Aber die Gedanken werden maßgeblich auch durch Dinge beeinflusst. Mein Pfälzerwald zuhause sind meine geliebten Dinge.
Kontra-Stimme »Contra: Brauche ich das alles, um mich wohlzufühlen?«
Mal eines vorweg: Ein gutes Buch mit hübschem Cover zu besitzen, hat wohl noch niemandem geschadet. Und dass ein Kunstwerk an der Wand oder eine gut sortierte Film- oder Schallplattensammlung ästhetisch ansprechend sein kann, möchte ich auch nicht bestreiten. Ich selbst besitze einige Gegenstände kultureller Art. Aber brauche ich das alles, um mich in meinen eigenen vier Wänden wohlzufühlen? Wohl eher nicht.
Und das schon allein aus pragmatischen Gesichtspunkten heraus. Meine Musiksammlung befindet sich auf meinem Handy – und ist wesentlich flexibler als ein CD-Regal. Mit nur einem Wisch entdecke ich neue Interpreten, miste Lieder aus, die mir nicht mehr zusagen, und lege Playlisten an, die ich je nach Lust und Laune abspielen kann. Auch meine liebsten Filme brauche ich eigentlich nicht in meiner näheren Umgebung, kann ich doch ganz einfach über die verschiedensten Streaming-Dienste dieser medialen Welt darauf zugreifen. Ähnlich sieht es da bei den Büchern aus: Die kann ich zentral auf einem E-Reader lagern – ganz ohne verschraubte (und verstaubte) Regalbretter an der Wand. Was am Ende bleibt, ist eine deutlich geräumigere Wohnung und ein – zumindest in meiner Wahrnehmung – geschonter Geldbeutel. Wohlfühlen kann ich mich zuhause dann trotzdem – weil ich Platz für andere Dinge habe: Pflanzen, die meine eigenen vier Wände lebendiger erscheinen lassen, oder Möbel, die zusätzlichen Stauraum für allerlei Kleinigkeiten bieten. Eben weil ich den Platz gut nutze und meine Wohnung dadurch aufgeräumt erscheint, fühle ich mich wohl. Ganz ohne Gegenstände kultureller Art.
Doch es hat nicht nur etwas mit Pragmatismus, sondern auch mit Nachhaltigkeit zu tun. Wohin mit all den Dingen, die man vermutlich nur selten nutzen wird. Denn mal ehrlich, wer sieht sich einen Film, den er im heimischen Regal stehen hat, regelmäßig an? Wer liest ein Buch mehrmals in einem Jahr? In einer Welt des medialen Überangebots möchte ich so wenig wie möglich verpassen. Filme und Bücher, die ich bereits kenne, werde ich also eher selten erneut in die Hand nehmen. So verkommt die Kultur zur Dekoration – und die kann ich mir auch in anderer Form in die Wohnung stellen. Wenn ich mich dann von gewissen Filmen, Büchern und Schallplatten trennen möchte – weil sie mir nicht mehr gefallen oder ich keinen Platz mehr dafür habe –, was passiert damit? Ich weiß, dass es genügend Zweitmärkte gibt, aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen: Alles werde ich niemals los und am Ende schmeiße ich vielleicht sogar etwas in den Müll. Und das hat (fast) kein Film, kein Buch und keine Schallplatte verdient. Um das also zu verhindern, besitze ich lieber zu wenig als zu viel.
Denn gutes Wohnen muss nicht zwangsläufig mit der Ansammlung kultureller Gegenstände einhergehen. Freude und Zufriedenheit kann ich auch in den einfacheren, immateriellen Aspekten des Wohnens finden. Gemeinsames Zusammenleben, sich Geschichten erzählen, mit Freunden am Esstisch reden, bis es hell wird, Erinnerungen in den eigenen vier Wänden schaffen – damit fühle ich mich auch wohl.