Schauspiel

Berliner Volksbühne fährt volle Kraft zurück in die Vergangenheit

Auch Theatermachermeister René Pollesch wird mit seiner Text-Collage „Und jetzt?“ die Berliner Volksbühne nicht vor dem Weg in die Bedeutungslosigkeit retten

Von 
Frank Dietschreit
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Drei Clowns: Milan Peschel, Martin Wuttke, Franz Beil. © Apollonia T. Bitzan

Seit man Frank Castorf sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat, kommt die Berliner Volksbühne nicht zur Ruhe. Nachfolger Chris Dercon verzettelte sich mit kuriosen Ideen. Interims-Intendant Klaus Dörr musste nach Sexismus-Vorwürfen seinen Stuhl räumen. Die Rückkehr René Polleschs, dem verlorenen, zum Heiland verklärten Sohn, sollte die Rettung bringen. Doch bisher ist alles nur Stückwerk und matter Abglanz früherer Erfolge. Pollesch wirkt lustlos und ausgelaugt. „Und jetzt?“ heißt seine neue Text- und Regie-Arbeit, die neues Leben einhauchen könnte.

Pollesch greift in die Theater-Motten-Kiste und geht in die Jahre 1968/69 zurück, als die DDR noch an den realen Sozialismus glaubte, die Kunst dem Volk dienen sollte. Damals inszenierte Benno Besson mit dem Arbeitertheater der Erdöl-Werke in Schwedt ein Stück von Gerhard Winterlich: „Horizonte“, basierend auf dem „Sommernachtstraum“ von Shakespeares. Besson überführte später „Horizonte“ an die Berliner Volksbühne. Warum Pollesch das Projekt reanimiert, welche Lehren er für heute daraus zieht, bleibt aber die große Frage des Abends. Es ist ein Text-Labyrinth, eine Collage aus Literatur-Fundstücken. Auf dem Programmzettel: Hinweise auf Brecht und Bücher über das Katastrophenprinzip, Kybernetik und Theater als Kampf und Kollektiv. Auf der Bühne ereignet sich eine Schlacht: Sozialismus-Persiflage und Agitprop-Groteske, Zeitgeist-Satire und Kanzler-Klamauk, alles geschieht mit Wumms und Doppel-Wumms, wird durch den Theater-Fleischwolf gedreht.

Endlose Slapstick-Nummern

Winterlichs „Horizonte“ wird zitiert und Shakespeares „Sommernachtstraum“ geprobt, die Rolle des Zufalls diskutiert und der Kosmos als Folge von Katastrophen gedeutet. Das ist hanebüchen komisch. Und unendlich harmlos. Ein Déjà-vu: Alles war oft bei Pollesch zu erleben, nur spannender, provokanter. Dafür gibt es ein freudiges Wiedersehen mit Volksbühnen-Altstar Martin Wuttke und Milan Peschel: Sie spielen in der Weltklasse-Liga der traurigen Clowns, kauzigen Wort-Verdreher und aberwitzigen Grimassen-Schneider, krakeelen ohne Unterlass, machen hinreißend alberne Kunstpausen, verhaspeln sich lustvoll in Stotter-Arien. Manchmal wissen sie selbst nicht, wer und wo sie gerade sind, absolvieren endlose Slapstick-Nummern, lassen sich, immer wenn „Macbeth“ erwähnt wird, vom Blitz der Erkenntnis erschlagen und sinken zitternd zu Boden. Regen prasselt, Schirme gehen in Flammen auf, Textbrocken verkümmern im Lärm lauter Musik: ein heiterer Kindergeburtstag.

Da verliert man schnell den Anschluss, braucht die Hilfe der Souffleuse. Bühnenbildnerin Anna Viebrock erschafft diesmal einen kargen, offenen Raum, eine Referenz an das Brecht-Theater. Ein kleines Podest für eine Wandertruppe, Plastik-Stühle, abgenutzte Tische: Da kann man mal Pause machen und eine rauchen, bevor es wieder ins Getümmel geht und man Sätze absondern muss wie: „Die Sinnlosigkeit, mit der wir hier alles bereden, das ist so erleichternd.“ Ja, der Abend ist ziemlich sinnlos, verrückt und eine Erleichterung. Ist jetzt alles wieder gut an der Volksbühne? Zweifel sind angebracht. Statt Aufbruch volle Kraft zurück in die Vergangenheit. Das Publikum amüsiert sich und klatscht kräftig. Man ist ja so bescheiden geworden (wieder: 10./26.12.).

Freier Autor

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