Lesung

Ben Becker im Mannheimer Rosengarten: Tiefer Blick in das Herz der Finsternis

Fotos und zwei Dosen Ravioli zierten den Tisch von Ben Becker. Der Künstler war zu Gast im Rosengarten und las dort Joseph Conrads "Herz der Finsternis" - sein Publikum nahm er mit ins 19. Jahrhundert

Von 
Markus Mertens
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Der Schauspieler Ben Becker präsentierte sich im Musensaal des Mannheimer Rosengartens mit einer dramatischen Lesung zu Joseph Conrads "Herz der Finsternis". © Markus Mertens

Mannheim. Einen Schreibtisch mit ein paar Erinnerungsfotos, zwei Dosen Ravioli und ein Tonbandgerät – mehr braucht Ben Becker nicht, um im Musensaal des Mannheimer Rosengartens eine Atmosphäre zu schaffen, die eine „Apokalypse“ im Wortsinne vorhersagt. Denn es ist nicht irgendein Stoff, den der Schauspieler während seiner dramatischen Lesung Kontur annehmen lässt: Es ist Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, und in das dürfen wir tiefer blicken, als manch einer zuvor mitunter angenommen haben mag.

Die Rahmengeschichte freilich mag schnell erzählt sein – und mutet zunächst wenig spektakulär an. Kapitän Marlow wird als Anführer einer Segeltruppe in den Kongo geschickt, um den bedeutenden Handelsagenten Kurtz wieder zurück an Bord – und damit als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wieder zurück ins Hier und Jetzt zu holen. Doch statt einer simplen Rettung begeben sich Marlow und die Seinen in einen Kosmos des Verfalls, der wahrhaft bodenlos daherkommt.

Kanonenschläge und Speerhiebe

Denn statt erhabener Wildnis und spannender Neugier warten auf die westlichen Eindringlinge Kannibalen und erbitterte Kämpfe. An so mancher Stelle dieses 85-minütigen Abends glaubte man fast, die Hintergrundgeräusche, die Kanonenschläge, Speerhiebe und den kalten, bleichen Tod begleiten, wären verzichtbar. Denn allein die raue, dunkle Stimme dieses Ausnahme-Mimen bringt so viel Grauen und Schaudern, Schwärze und Furcht in den Text, dass es den Zuhörern gleich mehrfach eiskalt den Rücken hinunterlaufen muss.

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Dass dieser Abend nicht vor ausverkauften Reihen stattfindet, ist dabei gleichzeitig nachvollziehbar und doch beklagenswert. Denn so gerne man verstehen mag, dass die offenen Abgründe der Zivilisation mit nicht eben schönen Metaphern ausgekleidet sind: Die Zerfleischung eines Systems und seiner integrativen Idee, wie sie auch in Deutschland und Europa längst in Gang sind, könnte man beispielhafter nicht vor Augen geführt bekommen, als in diesem Stoff, der so vergangen scheint und doch keinen Deut Staub angesetzt hat.

Bekanntschaft mit Geisterwesen

Ein Gedanke, der sich bruchlos auch in die Handlung übersetzt. Denn als Marlow, in fast schon panischer Sorge, auch der gesuchte Kurtz könnte dem Schlachten längst zum Opfer gefallen sein, endlich auf die Person seiner Begierde trifft, begegnet er keinem Kumpanen, der ohne Weiteres von einer raschen Flucht zu überzeugen wäre. Nein, er macht die Bekanntschaft mit einem dürren Geisterwesen, das aussah wie der „Tod, aus Elfenbein geschnitzt.“

Doch Kurtz ist kein gebrochener Verhungernder – aus dem Handelsagenten von einst ist nunmehr ein Existenzialist geworden, der im Egoismus und in der folgerichtigen Zerstörung des Anderen zur Wahrung des eigenen Wohls die korrekte Konsequenz einer Welt erkennt, die auch durch den größten Humanismus nicht mehr zu retten ist.

Ob es wirklich so kommen muss wie bei Joseph Conrad, mögen sich die Gäste dieses tief eindrücklichen Abends fragen – und werden dabei die herausragende Leistung eines Bühnenakteurs würdigen, der in diesem pausenlosen Parforceritt sehr viel mehr vollbrachte, als zu lesen. Doch schlussendlich kann und sollte dieses Bühnenwerk vor allem zur Mahnung gereichen, was auch dem scheinbar so zivilisierten Westen blühen mag, wenn er seine Werte, Wege und Moral nicht verteidigt. Man darf das sagen: Es wäre erstrebenswert, wenn es dazu gar nicht erst kommen müsste.

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