Kulturpolitik

Bekenntnisse eines Rammstein-Fans: Zwischen Verehrung und Scham

Ein weiblicher Rammstein-Fan im Zwiespalt nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann beim Rammstein-Konzert in München - ein persönlicher Einblick unserer Autorin

Von 
Lisa Kaufmann
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Auf der Bühne in Aktion: Till Lindemann. © Malte Krudewig

München. Seit ich elf Jahre alt bin, kenne ich Rammstein – und seitdem will ich die Band rund um den kontroversen Frontsänger Till Lindemann live sehen. Heute bin ich eine 31-jährige Frau und bis vor ein paar Wochen habe ich mich auf das Konzert am Sonntag im Münchner Olympiastadion gefreut wie noch auf kein anderes — und dann kamen die Vorwürfe gegen Till Lindemann.

Die Anschuldigungen

Zwischen Konzertmitschnitten der Show in Vilnius, die ich mir aus Vorfreude auf das Konzert angeschaut habe, wurden mir in den Feed meiner Social-Media-Kanäle Videos von Frauen gespült, die von ihren schrecklichen Erfahrungen bei den After-Show-Partys berichten. Meine erste Reaktion darauf war vor allem die Reaktion eines Fans: „Ich hoffe, das stimmt nicht!“ Nachdem die ersten Berichte über die Vorfälle rund um den Machtmissbrauch veröffentlicht wurden, habe ich angefangen, jeden Artikel im Internet dazu zu lesen – fast wie besessen. Ich wollte wissen, wie ich die Anschuldigungen einschätzen soll. Denn Till Lindemann und Rammstein haben mich in meiner Jugend stark geprägt, haben mir die Grenzen der Normen und Werte aufgezeigt, mich immer wieder ins Grübeln gebracht und mich auf positive Weise mit Dingen konfrontiert, von denen ich als Jugendliche schlichtweg keine Ahnung hatte. Für diese Gedanken der Bewunderung habe ich Schuldgefühle – aber auch Wut auf den Frontsänger. Er nimmt mir mit den mutmaßlichen Vorfällen die Freude auf das Konzert und vor allem die Freiheit, diese zu zeigen.

Faszination und Schuldgefühle 

Nach unzähligen Gesprächen mit Freunden, Familie, Kollegen und einem langen Hin und Her in meinem Kopf habe ich mich dazu entschlossen, auf das Konzert zu gehen. Also sind meine Freunde und ich am Samstagmorgen mit gemischten Gefühlen nach München gefahren und auch auf der Fahrt haben wir die Vorwürfe rund um den Frontsänger der Band immer wieder diskutiert.

Doch als ich den Weg zum Olympiastadion mit der riesigen Menschenmasse hinaufgegangen bin, waren meine Schuldgefühle kaum noch vorhanden, das muss ich zugeben.

Nach eineinhalb Tagen in München war es dann so weit: Das Konzert war in greifbarer Nähe — inklusive einer sich immer mehr aufbauenden Vorfreude, meist gefolgt von Gedanken der Scham. Sollte ich wirklich hier sein? Doch als ich den Weg zum Olympiastadion mit der riesigen Menschenmasse hinaufgegangen bin, waren meine Schuldgefühle kaum noch vorhanden, das muss ich zugeben. Ich wurde sofort in den Strom der Menge von Fans hineingezogen – und als ich zum ersten Mal einen Blick auf das schon prall gefüllte Stadion werfen konnte, hat mir der Atem gestockt. Schon der Aufbau der Bühne, die große Menschentraube in schwarzer Kleidung und doch bunt zusammengewürfelt und die fast schon ausgelassene Stimmung waren beeindruckend.

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ZRB/dpa/jpk
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Mit einem Becher Bier in der Hand haben wir uns eine etwas ruhigere Stelle gesucht. Nach ein paar La-Ola-Wellen wurde Till Lindemann unter tosendem Applaus und harten Bass- und Schlagzeugtönen am mittleren Turm abgeseilt. Je näher er der Bühne gekommen ist, desto mehr verflogen auch meine negativen Gedanken. Ich war tatsächlich an dem Ort, an dem schon mein elfjähriges Ich stehen wollte, inmitten einer Menge aus Menschen, die vor Freude und Aufregung vibriert. Und spätestens bei dem Refrain zum „Rammlied“ war ich einfach nur noch ein Fan einer der erfolgreichsten und umstrittensten Bands der Welt.

Das ist das Faszinierende an Konzerten – man ist nicht mehr nur eine Person, man verschmilzt mit der Menge und mit der Band, wird zu einem perfekt funktionierenden Organismus. Und auf diesem Konzert im Olympiastadion konnten wir alle – fast 70 000 Menschen – eine der beeindruckendsten Shows erleben, die eine Band spielen kann. Für mich war es eine der besten Live-Shows meines Lebens, ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht die objektivste Meinung zu dem Thema habe.

Und erst jetzt verstehe ich den Vorwurf des Machtgefälles vollständig.

Ich konnte in den schnellen und harten Rhythmen von Mega-Hits wie „Links 2 3 4“ und „Sehnsucht“ alle Anspannungen fallen lassen - singend, tanzend und mit viel headbangen - konnte mich in Songs wie „Zeit“ und „Angst“ und der wundervollen Akustik-Version von „Engel“ verlieren und die Hitze bei der ausgefeilten Feuershow von „Du hast“ und „Sonne“ genießen. Und dann traf es mich wie ein Schlag als die ersten Töne von „Ohne dich“ gespielt wurden.

Das könnte das letzte Konzert der Band sein, die mich seit 20 Jahren begleitet hat. Und ich konnte diesen Gedanken einfach nicht abschütteln, wurde wütend auf diesen Mann, den ich so lange bewundert hatte. Enttäuschung, Trauer und Melancholie sind in Wellen während diesen knapp vier Minuten immer wieder in mir aufgekommen. Und danach kam die Scham. Ich konnte mich nur langsam wieder fangen; bei „Rammstein“ war ich wieder im Sog des Konzerts - die Band und die Fans hatten mich wieder in ihren Bann gezogen.

Band oder Sekte?

Als dann Till Lindemann das fast ausverkaufte Olympiastadion während „Ich will“ fast angefleht hat, ihm zu vertrauen, ist etwas fast unbeschreibliches passiert. Mitten in dieser Menge war es fast so, als wäre man Teil einer Sekte, die ihr Oberhaupt anbetet. Es war faszinierend, erschreckend und doch irgendwie wunderbar.

Und erst jetzt verstehe ich den Vorwurf des Machtgefälles vollständig.

Der Frontsänger der Band hatte einen erschreckend großen Einfluss auf mich und das komplette Stadion.

Ich bin froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Ich bin froh, Diese Band live gesehen zu haben. Und ich bin froh, die Macht, die ein Sänger auf 70.000 Menschen ausüben kann, am eigenen Leib erfahren zu haben. Ich verstehe nun besser, welche Macht eine Rockstar wie Till Lindemann ausüben kann. Und ich frage mich, ob ich in diesem Moment voller intensiver Emotionen wirklich gute Entscheidungen für mich getroffen hätte, wenn er, der Mann, den ich so bewundere, nur einen Meter vor mir stehen würde.

Ich habe mich für eine aufgeklärte, toughe Frau gehalten, die ihre eigenen Entscheidungen trifft, nichts auf die Meinung Fremder gibt und auch selbstbewusst ihre eigene Sexualität auslebt. Das denke ich auch jetzt noch von mir.

Gefährliche Denkmuster

Alles in allem war das Konzert von Rammstein, auf das ich so lange hingefiebert habe, eine der besten und lehrreichsten Erfahrungen der letzten Jahre. Ich muss mich nicht schämen. Nicht dafür, dass ich auf ein Konzert meiner Lieblingsband gegangen bin, nicht dafür, dass ich Till Lindemann in gewissem Maße vertraut habe, und nicht dafür, dass ich mich in nur wenigen Momenten besser gefühlt habe, als inmitten der Menge singend und tanzend, mit meinen besten Freunden. Doch ob ich dem Vertrauen, für das sich Till Lindemann bei den Fans am Ende des Konzerts in der wohl emotionalsten Ansprache der Geschichte der Band, nachkommen kann, wird sich noch entscheiden - denn in erster Linie bin ich eben kein Fan, sondern eine Frau. 

Redaktion Social Media Editorin

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