Alte Feuerwache

Beim Heimspiel in der Alten Feuerwache rappt OG Keemo knallhart Klartext

Von 
Jörg-Peter Klotz
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OG Keemo zählt zwar zu den ernsthaftesten Vertretern seines Genres, entfesselte in der Feuerwache aber eine Stimmung wie beim Metal-Festival. © Manfred Rinderspacher

Der anhaltende Rummel um den extrem erfolgreichen Ludwigshafener Apache 207 hat fast übertönt, dass ein Wahl-Mannheimer mit „Geist“ die Deutsch-Rap-Platte des Jahres veröffentlicht hat: Am 8. Februar stand OG Keemo noch auf der kleinen Bühne des benachbarten Jugendkulturzentrums Forum, jetzt hätte er die seit Wochen ausverkaufte Alte Feuerwache wohl auch zweimal füllen können. Gefeiert wird der 26-jährige Deutsch-Sudanese nicht nur von Fans und der gern gefälligen Hip-Hop-Presse. Die „Zeit“ nennt ihn „Deutschlands besten Rapper“, der „Musikexpress“ sieht den gebürtigen Mainzer als den Hoffnungsträger seines Genres schlechthin.

Warum das so ist, wird schon beim Blick ins Publikum klar: Da beäugen sich etwas erstaunt die kräftigen, scharfkantig frisierten jungen Männer, die bei Konzerten von Straßenrappern normalerweise die dominante Spezies sind, sehr viele brave Bürgersöhne kurz vor oder nach dem Abitur, Musik-Nerds mehrerer Generationen und Neo-Hipster, darunter nicht wenige Wollmützenträgerinnen mit Bachelor-Plänen. Einig ist man sich im Saal in der Begeisterung für den Hauptdarsteller, der immer wieder wie im Stadion mit „Keemo, Keemo“-Rufen gefeiert wird und zunächst nur mit seinem Produzenten, DJ und Co-Rapper Funkvater Frank auftritt.

So unterschiedliche Hörerschichten unter einen Hut zu bringen, ist per se ein Qualitätsmerkmal. OG Keemo muss dafür keine wortakrobatischen Kunststückchen vorführen und bedient die üblichen, meist stupide materialistischen Gangsta-Rap-Klischees nur am Rande. Durch schonungslose Geschichten aus der Realität, die unsere Mehrheitsgesellschaft beschämen müssen, auch, weil sie aus Erfahrungen im Schatten des ZDF auf dem Mainzer Lerchenberg, in Mannheim oder im pittoresken Ladenburg gespeist sind.

Live liefern Keemo und sein gern auf dem Pult tobender DJ dazu authentisch und mitreißend die genretypische Härte. Die Folge: Die Feuerwache tobt, vor der Bühne bildet sich immer wieder ein großer Moshpit, eine Knochenmühle aus enthusiastisch durcheinandertobenden Fans wie bei Metal- oder Hardcore-Punk-Konzerten. Das ist oft so intensiv, dass der afrodeutsche Hüne mit den Silberzähnen vor dem Lied „Faust“ besorgt rät: „Jeder, der sich nicht wehtun will, geht an die Seite.“

Dass die beiden Mittzwanziger im Konzert vor allem auf Durchschlagskraft setzen, ist verständlich. Es verhindert, dass die komplexe, vor uralten Einflüssen strotzende Musik auf „Geist“ irgendwann nur als Hip-Hop-Arthaus für Studenten und Kritiker gesehen wird. Der düstere, extrem geschmackssicher montierte Sound, mit der Funkvater Frank seinen Freund auf „Geist“ wie die Mischung aus einem modernen Gil Scott-Heron von der Straße, Londons Szene-Meister Stormzy und US-Hip-Hop-Überflieger Kendrick Lamar klingen lässt, wird durch die Wucht des Live-Auftritts leider weitgehend untergepflügt. Vor allem zu Konzertbeginn überrollen die etwas übermotiviert dröhnenden Bässe die Finesse von eindrucksvollen Songs wie „Daimajin“ regelrecht.

In dieser Karrierephase, also auf der zweiten größeren Tournee und beim ersten Konzert mit rund 1000 Zuschauern, die nur wegen „Original Gangster“ Keemo kommen, muss das aber so klingen. Wer die Billie-Holiday-Anspielungen und breite Geschmacksprägung des gebürtigen Mainzers mit einer Live-Band aus ausgefuchsten Jazz-Studenten hören will, wird sich noch ein paar Jahre gedulden müssen.

Jetzt ist noch Bodenständigkeit angesagt. Die signalisiert der von der Heimspiel-Atmosphäre sichtlich beflügelte OG Keemo, der Mannheim mehrfach fast zärtlich „meine Heimatstadt“ nennt, am deutlichsten, indem er mit Kumpels wie Binho, oder Lukees von der Zonkeymobb-Crew das Rampenlicht teilt. Das knallt im besten Fall derb, Schweiß und Getränke fliegen auf und vor der Bühne durch die Luft. Insgesamt ein 90-minütiger Triumph, bei dem Lieder wie „Siedlung“ oder die Lebensbilanz „Outro“ textsicher mitgerappt werden als wären sie Radio-Hits. Oder wie beim Lamar-Konzert. Die einzige ruhig gehaltene Nummer „Zinnmann“ sorgt für Gänsehaut.

Nach dem Abräumer „Trap“ bringt in der Zugabe das epische „Vorwort“ in Feuerzeug-Atmosphäre Keemos bisher zentrales Thema in einer Zeile auf den Punkt: „Was ist, wenn der Scheiß funktioniert? „Gemeint ist die Rap-Karriere als utopische „Große Flatter“. Als einzige Möglichkeit, der sozialen Sackgasse aus Ausgegrenztsein, Perspektivlosigkeit und Kriminalität zu entkommen. Der Abend zeigt: Es funktioniert. Und wenn Keemo künftig noch mehr als desillusionierte Bestandsaufnahmen kreieren kann, wird er endgültig die Lücke füllen, die der Heidelberger Torch und Advanced Chemistry hinterlassen haben. Das ist nötig, denn 27 Jahre nach deren antirassistischem Klassiker „Fremd im eigenen Land“ hat sich offensichtlich nichts geändert.

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OG Keemo rappt in der Alten Feuerwache

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Mannheims neuer Rap-Star

  • Der Rapper OG Keemo wurde 1993 in Mainz als Karim Joel Martin geboren, nennt inzwischen Mannheim „meine Heimatstadt“ und wohnt im Rhein-Neckar-Kreis.
  • Nach der Trennung seiner Mutter vom sudanesischen Vater, der in seinen Texten häufig eine Rolle spielt, lebte er unter anderem in Bayreuth, Heidelberg und Mannheim.
  • Er besuchte unter anderem die Ladenburger Merian-Realschule. Mit seinem Klassenkameraden Moritz Gelle, dem als Znkmo bekannten Produzenten, gründete er das Hip-Hop-Kollektiv Zonkeymobb. Dazu gehören die Rapper Binho und Lukees, Visual-Artist Timur, Inu sowie OG Keemos Erfolgsproduzent Funkvater Frank.
  • Das Duo OG Keemo und Funkvater Frank unterschrieb 2017 einen Vertrag bei Chimperator Productions in Stuttgart. Das unter anderem von Popakademie-Absolvent Sebastian Andrej Schweizer geführte Label wurde durch Panda-Rapper Cro bekannt und betreut zum Beispiel Die Orsons, Tua oder Weekend.
  • Spätestens mit der 2018 veröffentlichten Platte „Skalp“ gilt OG Keemo dank seiner düsteren, illusionslosen Texte, in denen viel von Alltagsrassismus die Rede ist, als Hoffnungsträger im Deutsch-Rap. Autobiografische Songs wie „Vorwort“ setzen inhaltlich neue Maßstäbe.
  • Das gerade erschienene Album „Geist“ wird auch außerhalb der Hip-Hop-Filterblase als Meisterwerk gefeiert. Es erreichte Platz 14 der Charts.
  • Der Künstlername OG Keemo soll indianische Wurzeln haben: Ke-Mo-Sah-Bee bedeutet „der, der im Stillen wandelt“ - und charakterisiert den abseits der Bühne ruhig wirkenden Hünen recht treffend.

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