Mit 25 Jahren verließ Pissarro seine Heimat auf der Antilleninsel St. Thomas und ging nach Frankreich. Dort fand er Anschluss bei der Schule von Barbizon, deren Mitglieder in der waldigen Landschaft bei Paris in der freien Natur malten. Bald gehörte Pissarro zum Umkreis des bedeutenden Malers Camille Corot, einem der Häupter der Schule. Nur wenig später freilich schloss er sich in Paris den Impressionisten an.
Wobei der letzte Satz so nicht ganz zutreffend ist. Denn „die Impressionisten“ gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht. Eigentlich hat erst Pissarro aus dem lockeren Kreis von Freunden und Kollegen jene Künstlergemeinschaft gemacht, die später als Vorbild für die Künstlervereinigungen der Moderne diente. „Wir kommen vielleicht alle von Pissarro her“, sagte viel später Paul Cézanne: Mit „wir“ meinte er die Impressionisten, sich selbst eingeschlossen.
Sympathien für Émile Zola
- Als Künstler-Avantgardist hing Pissarro (1830-1903) politisch den seinerzeit weit verbreiteten Ideen des Anarchismus an – ganz ähnlich wie die Künstlerkollegen Georges Seurat und Paul Signac, deren pointillistischen Stil er zeitweilig pflegte.
- Bedeutende Vertreter der anarchistischen Bewegung wie Émile Pouget und Louise Michel gehörten zu Pissarros Bekanntenkreis. Als in der Dreyfus-Affäre verblendete Straßenjungen mit Parolen wie „Tode den Juden! Nieder mit Zola!“ durch die Stadt zogen, bezog Pissarro, Sohn eines sephardischen Juden, gegen die Judenfeindschaft Position.
- Auch Monet und Valloton schlugen sich auf die Seite Zolas. Dagegen kam es über der Affäre zum Zerwürfnis Pissarros mit seinem Freund Edgar Degas.
Mit seinem kollaborativen, auf Zusammenarbeit zielenden Talent wurde Pissarro zur treibenden Kraft der Gruppe und übte mittelbar maßgeblichen Einfluss auf die Moderne aus - ein wichtiger, bisher kaum beachteter Aspekt, den das Kunstmuseum Basel ins Zentrum seiner großen Pissarro-Retrospektive mit dem Titel „Camille Pissarro - Das Atelier der Moderne“ rückt. So hat die Schau einen Schwerpunkt in Künstlerbeziehungen wie der zwischen Pissarro und Cézanne oder Pissarro und Gauguin. Auch Pissarros Zusammenarbeit mit Degas und der amerikanischen Künstlerin Mary Cassatt auf dem Gebiet der Druckgrafik gehört hierher.
Cézanne hatte Pissarro Anfang der 1860er-Jahre in der Académie Suisse in Paris kennen gelernt; dort absolvierten auch Édouard Manet und Claude Monet ihre künstlerische Ausbildung. Zu dem Freund und acht Jahre älteren Kollegen schaute Cézanne bewundernd auf. Er, den er den „ersten Impressionisten“ nannte, war für ihn so etwas „wie der liebe Gott“ der Malerei. Dem losen Freundeskreis impressionistischer Maler gab Pissarro die Organisationsstruktur einer „Société“. Als integrativer Ruhepol der Gruppe knüpfte er Kontakte zu Galeristen und sorgte für gemeinschaftliche Ausstellungen. Und er organisierte die monatlichen Treffen der Künstler bei einem „dîner impressioniste“. Heute würde man ihn einen Netzwerker nennen. Als die gute Seele der Impressionisten hielt er die Gruppe zusammen, sorgte für Harmonie und löste Konflikte.
Unter den rund 180 Werken der Schau sind nicht nur Werke von Pissarro, sondern dem Thema entsprechend auch zahlreiche Gemälde Cézannes, Gauguins oder Monets -auch Gemälde seines Lehrers Corot, dessen Einfluss im Frühwerk noch deutlich spürbar ist. In „Das Dorf, gesehen durch Bäume“ (um 1869) lassen nicht nur die Bäume an Corot denken. In Corots „Italienischer Villa hinter Pinien“ sind sie so schlank und mit gelichteter Krone wie dann bei Pissarro.
Zu Pissarros „Schneelandschaft in Louveciennes“ von 1872 treten Winterbilder von Monet. Impressionismus pur ist das Wechselspiel von Licht und Schatten, zwischen den vom Sonnenlicht beschienenen Partien des Schnees und den Haus- und Baumschatten. Motivisch gesehen ist das Bild zur Entstehungszeit ähnlich kühn wie gut ein Vierteljahrhundert später das Nachtbild „Der Boulevard Montmartre bei Nacht“. Beide Bilder zeigen Pissarro als unermüdlichen Pionier. Nie gab er sich mit dem Erreichten zufrieden, stets strebte er danach, Neuland zu erschließen.
Hatte er bis dahin vor allem Landschaften oder Stillleben gemalt, so werden seine Gemälde um 1880 erstmals von Menschen bevölkert. In den Landschaftsbildern wird jetzt die bäuerliche Arbeit zum Motiv. Pissarro ist der einzige Impressionist, der sich der Darstellung des einfachen ländlichen Lebens widmet, etwa in den Gemälden „Die Erbsenernte“ oder „Jäterinnen, Pontoise“. „Die Ährenleserinnen“, 1889 entstanden, ist im Stil des Pointillismus gemalt. Das Neue, Unkonventionelle reizte ihn stets.
In den Serien von Stadt- und Hafenansichten seit den 1890er-Jahren macht sich ein Einfluss Monets bemerkbar - auch schon in Motiven wie „Die Kathedrale Notre-Dame, Rouen“. Malerisch glänzend ist ein Bild mit einer Brücke in Rouen bei Sonnenuntergang (1896). Und bereits sehr modern muten einige Ansichten des belebten Boulevard Montmartre aus derselben Zeit an.
St. Alban-Graben 16. Bis 23. Januar, Di - So 10-18, Mi bis 20 Uhr.
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